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Klima-Aktivistin Reemtsma: »Klimakanzler hat noch viel zu tun«
Der Klimastreik soll die Regierung an unerfüllte Versprechen erinnern, sagt die Fridays for Future Mitbegründerin
Frau Reemtsma, der letzte globale Klimastreik liegt ein Jahr zurück. Seitdem ist viel passiert. Mit welchen Gefühlen blicken Sie auf den Klimastreik an diesem Freitag?
Wir gehen in Deutschland und weltweit auf die Straßen zu einem Zeitpunkt, an dem es gar nicht so leicht ist, sich für das Klima einzusetzen. Viele Leute fragen verständlicherweise: Haben wir gerade nicht andere Probleme? Aber auch in Zeiten, in denen wir viel über den Rechtsruck und die AfD reden müssen, dürfen wir nicht in der Defensive bleiben. Wir müssen auch über die existenziellen Probleme unserer Zeit sprechen. Ganz oben auf der Liste steht die Klimakrise. Vor Kurzem wurde bestätigt, dass auch der diesjährige Sommer weltweit wieder der heißeste seit Aufzeichnungsbeginn war. Deshalb brauchen wir jetzt endlich konsequenten Klimaschutz.
Beim letzten EU-weiten Klimastreik standen die EU-Parlamentswahlen im Fokus. Worum geht es dieses Mal?
Jetzt richten wir uns mit scharfen Worten an die Ampel-Parteien. Grüne, FDP und SPD haben noch ein Jahr Zeit, ihre Klimaversprechen einzulösen. An manchen Stellen ist etwas passiert wie beim Ausbau der Erneuerbaren. Gleichzeitig soll vor der Insel Borkum nach Gas gebohrt werden, dabei sind neue fossile Projekte nicht vereinbar mit den Pariser Klimazielen. Alle Parteien müssen Programme liefern, mit denen Deutschland seinen Beitrag dazu leistet, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen.
Carla Reemtsma ist Mitbegründerin von Fridays for Future in der Bundesrepublik und Sprecherin der Berliner Gruppe der Klimagerechtigkeitsbewegung. Die 26-Jährige ist eines der bekannten Gesichter der deutschen Klimabewegung.
Die verschiedenen Positionen zum Nahost-Konflikt haben die internationale Zusammenarbeit belastet. Ist eine engere Kooperation inzwischen wieder möglich?
Wir haben die internationale Zusammenarbeit letztes Jahr erstmal pausieren lassen und dann sehr genau geprüft, mit wem wir wie gemeinsam aktiv sein können. Mit einigen Gruppen aus anderen Ländern stehen wir weiterhin in engem Kontakt. Mit anderen nicht. Natürlich sind wir weiter im Gespräch mit vielen Gruppen. Dass jetzt zur selben Zeit an verschiedenen Orten Klimastreiks stattfinden, heißt aber nicht, dass wir mit allen Gruppen zusammenarbeiten.
Also ein gemeinsamer Klimastreik ist möglich, aber über manche Themen wird nicht mehr geredet?
Wir sind junge Menschen, die sich Sorgen ums Klima machen. Die Klimakrise lässt sich nur gemeinsam und international lösen. Deshalb ist Zusammenarbeit essenziell. Gleichzeitig stehen wir mit beiden Füßen auf dem Boden des Grundgesetzes. Wir richten uns gegen jeden Antisemitismus genauso wie gegen jeden Rassismus. Mit Gruppen, die diese Grundwerte nicht teilen, ist keine Kooperation möglich. Unser Hauptthema ist und bleibt aber Klimaschutz und nicht Außenpolitik. Darum geht es deshalb auch bei unseren Protesten.
Wie ist mittlerweile das Verhältnis zu Fridays for Future Schweden und Greta Thunberg?
Greta ist bei keinem unserer Klimastreiks, aber sie wird sicher in Schweden auf die Straße gehen. Einen engen Kontakt gibt es derzeit nicht. In den letzten Jahren hat sich die Bewegung viel breiter aufgestellt und ist viel weniger abhängig von Einzelpersonen.
Es gibt unzählige Erklärungsansätze dafür, warum Fridays for Future einen bisherigen Höhepunkt 2019 erreicht hat und seitdem nicht mehr an die Erfolge von damals anknüpfen konnte. Wie wird es aus Ihrer Sicht weitergehen?
Klimaschutzgesetz, Kohleausstieg: Diese Erfolge zeigen, dass unser Protest wirkt. Aber die Klimabewegung ist immer auch vom aktuellen gesellschaftlichen Kontext abhängig. Während der Corona-Pandemie war das Protestieren für viele gar nicht möglich oder mit extremen Herausforderungen verknüpft. Dann der Ukraine-Krieg, Inflation, Energiekrise und jetzt viele geopolitische Konflikte – all das geht auch an einer Bewegung nicht unbemerkt vorüber. Trotzdem: Umfragen zeigen, wie groß der gesellschaftliche Rückhalt international für Klimaschutz ist. Wie wir am wirksamsten sind, wird in der Bewegung ständig diskutiert. Mittlerweile geht es nicht mehr nur um die Schaffung von Bewusstsein, sondern um die konkrete Umsetzung. Das kann der Kampf für eine Fahrradstraße oder die Gründung einer Arbeitsgruppe Nachhaltigkeit in einem Unternehmen sein.
Verschiedene Klimagerechtigkeitsgruppen fordern, soziale und ökologische Kämpfe stärker zu verbinden und die gemeinsamen Ursachen für die gegenwärtigen Krisen zu benennen. Gibt es hier konkrete Bestrebungen bei Fridays for Future?
Die Klimakrise ist eine gigantische Ungerechtigkeitskrise. Wenn wir von Klimaschutz sprechen, sprechen wir immer von sozial gerechtem Klimaschutz. Dieser Analyse folgend, haben wir Anfang des Jahres mit Beschäftigten des öffentlichen Nahverkehrs und der Gewerkschaft Verdi gestreikt. Nur mit einem gut funktionierenden öffentlichen Verkehr gibt es gerechte Mobilität und lässt sich die Klimakrise bewältigen. Dafür aber braucht es gute Arbeitsbedingungen und Investitionen. Das war ein konkreter Ansatz, um Kämpfe zusammenzubringen.
Von außen wird häufig die Kritik geäußert, Fridays for Future beschäftige sich zu sehr mit vermeintlich klimafernen Themen wie Queerfeminismus oder dem Kampf gegen rechts, man erreiche dadurch zu wenige Menschen. Wie wird das in der Bewegung diskutiert?
Diese Kritik offenbart ein falsches Verständnis der Klimakrise. Sie ist nun mal komplex und verwoben mit allen gesellschaftlichen Bereichen. Darauf aufmerksam zu machen, dass zum Beispiel Frauen überproportional stark unter den Folgen leiden, ist ein wichtiger Teil unserer Aufgabe. Gleichzeitig kann es Klimaschutz nur in einer funktionierenden Demokratie geben. Deshalb werden wir auch weiter gegen rechts protestieren.
Wo werden Sie am Freitag für mehr Klimaschutz demonstrieren?
Ich werde in Berlin auf der Demo mitlaufen und eine Rede halten. Wenn wir durch das Regierungsviertel laufen, werden wir Olaf Scholz sagen, dass er als Klimakanzler noch viel zu tun hat.
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