Linkes Zentrum »Nexus«: Vom Ja-sagen

Das Schaffen von Freiräumen ist eine langfristige Angelegenheit: das selbstverwaltete Kulturzentrum »Nexus« in Braunschweig

  • Axel Klingenberg
  • Lesedauer: 6 Min.
Konstant der Treffpunkt der linken Szene in Braunschweig: Das »Nexus«, hier bei der Geburtstagsparty zum 15-jährigen Bestehen im Februar 2020
Konstant der Treffpunkt der linken Szene in Braunschweig: Das »Nexus«, hier bei der Geburtstagsparty zum 15-jährigen Bestehen im Februar 2020

Konstruktiv sein – das ist gar nicht so einfach. Ein »Nein« geht oft leichter von den Lippen als ein »Ja«. Denn wer »Nein« sagt, gilt als kritischer Geist.

Ende 1991 zog ich als kleiner Hardcore-Punk vom heimatlichen Dorf in der Lüneburger Heide in die große Stadt. Also nach Braunschweig. Ich schloss mich dort recht schnell einer antifaschistischen Gruppe an. Unser größter Erfolg war die vorzeitige Beendigung einer winzigen NPD-Demo auf dem Burgplatz. Zwanzig Faschisten wurden von zweihundert Antifaschistinnen und Antifaschisten vom Platz gefegt. Die Polizisten, die ihre Kundgebung schützen sollten, waren völlig überfordert. Ich war begeistert.

Im Jahr darauf begann ich, am Braunschweig-Kolleg mein Abitur nachzumachen. Eines Vormittags lagen im Foyer einige Flugblätter aus. Ein Haus war besetzt worden! In Braunschweig! Da musste ich hin! Nach Schulschluss machte ich mich gleich auf den Weg. Das Haus Magnitorwall 18 konnte ich nachmittags auch problemlos betreten, fand dort allerdings keine Besetzer mehr vor. Nur Polizisten. Einer von ihnen kam sofort auf mich zu und sagte: »Wenn du hier nicht gleich weg bist, behalten wir dich ganz hier!« Das ließ ich mir nicht zweimal sagen und verschwand so schnell ich konnte. Mehr hatte ich zu meiner ersten Hausbesetzung nicht beizutragen, aber immerhin beteiligte ich mich auch in den Folgejahren an weiteren Besetzungen.

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Am erfolgreichsten war 1993 die Besetzung der Frankfurter Straße 253 in Braunschweigs Alternativ- und Arbeiterviertel, dem Westlichen Ringgebiet. »Schon« sechs Jahre später gab es für das Haus die ersten Verträge und nach nur weiteren sechs Jahren konnte das »Nexus« eröffnen. Ein selbstverwaltetes linkes Zentrum, das es bis heute gibt. Ich bin dort schon seit Langem nicht mehr aktiv, auch wenn ich Mitglied des Fördervereins bin. Und ich kenne auch nur noch einen kleinen Teil der Leute, die dort heute herumlaufen. Und doch bin ich stolz darauf, dass wir damals dieses Haus besetzt haben – und dass ich damals verrückt genug war, die Verträge mit der Stadt Braunschweig zu unterschreiben, die bis heute die Überlassung des ehemaligen Verwaltungsgebäudes eines Rüstungsbetriebs an den Trägerverein des »Nexus« regeln.

Das »Nexus«: Das Viertel, in dem es liegt, wird gerne – etwas herablassend – als »sozialer Brennpunkt« bezeichnet. Andere – die, die hier leben – würden es eher als »lebendig« beschreiben. Hier wohnen Studis und Künstlerinnen, Arme und Arbeitende, Menschen mit und ohne Migrationsgeschichte auf engstem Raum – und das meist sehr gut.

Das »Nexus« selbst ist immer noch DER Treffpunkt dessen, was man so als »linke Szene« in Braunschweig bezeichnen kann. Punk und Ska, Rap und House, Wintermarkt und Sommerfest, Spielecafé und Kneipenabend, queere Party und Chorsingen, Black-Metal-Konzert und Biergarten mit Reggae-Beschallung – vieles ist gleich geblieben und einiges hat sich in den letzten Jahrzehnten doch geändert.

Das »Nexus« ist offener geworden – für die Menschen aus der Nachbarschaft und für Leute, die sich zwar irgendwie links definieren, aber weit davon entfernt sind, autonome Straßenkämpfer*innen zu sein. Und die Volxküche heißt jetzt Küche für alle (was vielleicht sogar ein besserer Name ist). Die großen Themen hingegen sind natürlich geblieben: Antifaschismus, Kapitalismuskritik (aka Klassenkampf!) und Feminismus zum Beispiel. Dabei wird hier immer noch »Do it yourself« großgeschrieben. Denn noch immer wirkt hier vieles improvisiert, noch immer verdient hier keiner von den vielen (zumeist sehr jungen) Freiwilligen, die hinter der Theke stehen, auch nur einen Cent, und noch immer hat der Konzertsaal diesen bezaubernden Wohnzimmer-Charme mit Tapete und Geweih auf der Bühne. Voraussichtlicher (tanzbarer und schweißtreibender) Höhepunkt in diesem Jahr: das Offbeat Attack-Festival am 12. Oktober mit Reggae- und Ska-Bands aus Prag, Berlin, Köln und dem Erzgebirge.

Anfang dieses Jahres wurde ich von einer Studentin angeschrieben, ob ich nicht Lust hätte, etwas über die Besetzungen damals zu erzählen. Sie würde an einem Theaterprojekt mitwirken, das die Hausbesetzung am Magnitorwall 18 thematisiere. Geplant sei eine Aufführung am Originalschauplatz, in dem heute das Kleine Haus des Staatstheaters untergebracht ist. Ich sagte sofort zu. Warum? Weil ich es wichtig finde, dass Dinge wie Hausbesetzungen nicht vergessen werden und dass sie Teil der Stadtgeschichte werden. Und weil ich es interessant finde, mit jungen Leuten in den Dialog zu treten, zum Meinungs- und Erfahrungsaustausch. Anderthalb Stunden stand ich ihr Rede und Antwort. Erzählte ihr von meinem wie gesagt sehr bescheidenen Beitrag zu der Besetzung des Hauses, aber auch von den folgenden Besetzungen. Und wie das damals war in der linken Szene. Was wir gedacht und getan haben. Und was wir für Klamotten trugen.

Anfang Juni war es dann soweit. Vier Aufführungen standen an, von denen ich leider nur die letzte besuchen konnte. Nach dem szenischen Teil folgte eine kleine Talkshow, an der neben mir nicht nur eine weitere ehemalige Besetzerin teilnahm, sondern auch die Frau, die damals die letzte Bewohnerin des Hauses war. Die Autonomen, erzählte sie, hätten ein paar Tage vorher bei ihr angerufen und gefragt, ob es okay sei, wenn sie das Haus besetzen würden. Sie erlaubte dies natürlich (»obwohl es ja gar nicht mein Haus war«) und steckte sogar einen Keil in die Außentür, damit die Besetzer auch wirklich reinkamen. Auch zwei Leute aus dem »Nexus« beteiligten sich an der Diskussion und erzählten, was das Haus heute für sie bedeutet. Und wie sie es mit Leben füllen.

Was wir Leuten raten würden, die heute aktiv sein wollen, wurden wir schließlich gefragt. Meine Antwort (sinngemäß): »Emanzipatorische, progressive, linke Bewegungen – wie auch immer man das nennen möchte – brauchen Freiräume. Das war auch damals einer unserer Slogans: Freiräume schaffen! Frei von Nazis sowieso, aber auch frei von staatlichem Einfluss. Wichtig ist es, nachhaltige Strukturen zu schaffen, denn es ist nicht damit getan, ein paar Demos zu organisieren und dann zu glauben, dass sich die Welt ändert. Tut sie nämlich nicht! Politik ist immer eine langfristige Angelegenheit.«

Ich hatte das damals selber gespürt, als ich Ende der 90er die Verträge für das »Nexus« unterschrieb. Acht Jahre antifaschistischer Politik hatten mich damals ausgelaugt. In der Bauphase des »Nexus« zog ich mich dann aus der Szene zurück, kümmerte mich um meine Kinder, arbeitete als Autor. Und engagierte mich eine Zeit lang im gewerkschaftlichen Schriftstellerverband.

Konstruktiv sein – das ist gar nicht so einfach. Ein »Nein« geht oft leichter von den Lippen als ein »Ja«. Und gerade deshalb bin ich froh, wenigstens einmal »Ja« gesagt zu haben.

»Nexus«, Frankfurter Str. 253B, Braunschweig. Offenes Plenum an jedem ersten, dritten und vierten Montag im Monat ab 19 Uhr. Kneipe jeden Donnerstag ab 19 Uhr

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