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Neuer Premier in Japan: Auf der Suche nach Vertrauen
Nach seiner Wahl zum Chef der regierenden LDP wird Shigeru Ishiba auch Japans neuer Premier
»Ich werde an die Menschen glauben und ehrlich die Wahrheit aussprechen«, erklärte Shigeru Ishiba am Freitagnachmittag. Für das an sich banale Statement erntete der Politiker einen bemerkenswert starken Applaus. Gerade war der 67-Jährige zum neuen Chef der Liberaldemokratischen Partei Japans (LDP) gewählt worden. Acht weitere Personen hatten sich neben Ishiba um den Posten beworben. Umkämpfter war ein Rennen um den Vorsitz von Japans mächtigster Partei noch nie.
Die Folgen dieser Entscheidung sind enorm. Die konservative LDP hat für sich nämlich die Regel, dass in einer von ihr angeführten Regierung nur der Parteivorsitzende auch Japans Premierminister sein darf. Nachdem Mitte August der unpopuläre Premier Fumio Kishida angekündigt hatte, nicht erneut als Parteichef zu kandidieren, war die Wahl am Freitag quasi gleichbedeutend mit der Wahl eines neuen Premiers. Nur, dass nicht ganz Japan abstimmte.
Das Parlament muss Ishiba noch zustimmen. Aber dort hat seine LDP, in der er seit Jahrzehnten Mitglied ist und für die er schon mehrmals Ministerien geleitet hat, eine klare Mehrheit. Und dennoch war Ishibas Versprechen, dass er in seinem neuen Job ehrlich sein werde, nicht einfach irgendein Satz. In Japan hat er große Bedeutung. Denn die LDP leidet unter einer Vertrauenskrise.
Politikverdrossenheit greift in dem ostasiatischen Land schon lange um sich. Ein Skandal hat die Sache noch schlimmer gemacht: Zahlreiche Politiker – vor allem aus der LDP – haben über Jahre Spenden einer Sekte angenommen, die ihre Mitglieder finanziell ausnutzt. Im Gegenzug für die generöse Unterstützung schien die Politik beim Gebaren der Sekte beide Augen zuzudrücken. Im Juli 2022 erschoss dann der Sohn eines der Opfer den Ex-Premierminister – und Parteikollegen Ishibas – Shinzo Abe.
Als herauskam, wie durchtränkt Japans Politik mit unbekannten Parteispenden war, entließ der nun scheidende Fumio Kishida die Hälfte seines Kabinetts und brachte ein strengeres Spendengesetz auf den Weg. Kishida schaffte es dennoch nicht, damit seine eigene Glaubwürdigkeit zu bewahren. Im Juli zeigte eine Umfrage der Nachrichtenagentur Jiji, dass nur noch 15,5 Prozent zufrieden mit seiner Arbeit waren, so wenig wie nie. Zugleich hofften an die 40 Prozent im Land, dass es bald einen Machtwechsel gibt.
Und jetzt soll also Shigeru Ishiba einen Neuanfang in die Wege leiten. Wer ist der Mann? In der LDP wird Ishiba immer wieder als Außenseiter bezeichnet, weil er sich in seiner Laufbahn wiederholt gegen die Parteilinie geäußert hat. Andererseits war er schon Minister für Verteidigung, Landwirtschaft und Fischerei, Forstwirtschaft sowie für die Wiederbelebung des ländlichen Raums. Er ist also nicht nur erfahren, sondern auch etabliert.
Im gesellschaftspolitisch konservativen Japan könnte Ishiba etwas Fortschritt bringen. So hat er ein Gesetz angekündigt, nach dem Frauen nach ihrer Heirat ihren Geburtsnamen beibehalten können. In Fragen der Energiepolitik will er die Abhängigkeit von Atomenergie – die seit der Katastrophe von Fukushima 2011 weiterhin unbeliebt ist – zumindest reduzieren. Stattdessen sollen Erneuerbare stärker gefördert werden. Zudem verspricht Ishiba steigende Reallöhne – wie, bleibt aber unklar.
Deutlich hingegen ist Ishibas Haltung in Verteidigungsfragen. Der Mann wird im Land auch als »gunjin otaku« bezeichnet, was sich in etwa mit Militärfreak übersetzen lässt. So strebt Ishiba nicht nur eine weitere Aufrüstung der japanischen Selbstverteidigungskräfte an, wie sie von seinen Amtsvorgängern Shinzo Abe und Fumio Kishida über die Jahre schon betrieben wurde.
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Ishiba hat außerdem den Plan geäußert, eine Art asiatische Nato ins Leben rufen zu wollen. Hintergrund ist die Absicht, den Rivalen China, der die über Jahrzehnte gewachsene Vormachtstellung Japans in Asien herausfordert, zurückzudrängen. Wie genau so eine Asien-Nato aussehen soll, ist noch nicht klar. Aus den USA war auch bereits Skepsis zu vernehmen. Ein solches Konstrukt würde China verstimmen und mehrere südostasiatische Länder, die sich nicht binden wollen, in Verlegenheit bringen.
In den letzten eineinhalb Jahrzehnten haben Japans LDP-geführte Regierungen eine schrittweise Abkehr vom in der Verfassung verankerten Pazifismus vollzogen. Unter Fumio Kishida – als Reaktion auf Russlands Angriff auf die Ukraine und aufgrund der Befürchtung, China könnte Ähnliches gegenüber dem Nachbarn Taiwan planen – wurden nicht nur die Befugnisse der Selbstverteidigungskräfte ausgeweitet, sondern auch ihr Budget verdoppelt.
Die Frage der Finanzierung ist bis heute nicht abschließend geklärt. Seine Entscheidung, dafür die Steuern zu erhöhen, musste Fumio Kishida unter großer öffentlicher Kritik vertagen. Sie könnte sich mit einem anderem, wesentlich beliebteren Versprechen Kishidas beißen, nämlich der Verbesserung der Familienpolitik. Das Elterngeld soll eigentlich erhöht und die Verfügbarkeit von Betreuungsplätzen für Kinder ausgeweitet werden.
Allerdings hat Japan eine Staatsverschuldung von weit mehr als 200 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung. Und gerade in der konservativen LDP setzte sich in den letzten Jahren zusehends die Überzeugung durch, das Land dürfe nicht weiter Defizite anhäufen. Für den kommenden Premier Ishiba stehen unpopuläre Entscheidungen an. Und bei seinem Faible fürs Militär könnte das auf Kosten der Familien gehen.
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