Ein Marxist als Staatschef in Sri Lanka

Auf Sri Lankas neuem Präsidenten Anura Kumara Dissanayaka ruhen viele Erwartungen

  • Thomas Berger
  • Lesedauer: 5 Min.
Der marxistische Politiker Anura Kumara Dissanayake (m), Kandidat der Linksallianz National People’s Power, hat die Präsidentschaftswahl in Sri Lanka für sich entschieden.
Der marxistische Politiker Anura Kumara Dissanayake (m), Kandidat der Linksallianz National People’s Power, hat die Präsidentschaftswahl in Sri Lanka für sich entschieden.

Es ist ein Kürzel, das viele der 22 Millionen Einwohner*innen kennen und nutzen, das sich in der internationalen Berichterstattung aber erst etablieren muss. AKD, so heißt es in Sri Lanka, wenn von dem Mann die Rede ist, der am 21. September mit 42,31 Prozent und 5,74 Millionen Stimmen die Präsidentenwahl gewonnen hat und die kommenden fünf Jahre regieren wird: Anura Kumara Dissanayaka. Der Präsident, das ist in dem Inselstaat nicht nur ein repräsentativer Grüßaugust, sondern das machtvollste politische Amt mit weitreichenden Befugnissen – etwa dem französischen Staatschef vergleichbar.

Doch so beeindruckend als deutliches Mandat der Zehn-Prozent-Vorsprung vor seinem wichtigsten Konkurrenten Sajith Premadasa sein mag: Einfach wird das Regieren für AKD nicht werden. Im bisherigen Parlament spielt seine Linksallianz, die National People’s Power (NPP), mit lediglich 3 von 225 Sitzen nur eine kleine Nebenrolle.

Neuwahlen zum Parlament im November

Nicht unerwartet hat Sri Lankas neuer Präsident daher am Dienstag das Parlament aufgelöst und eine Neuwahl angesetzt – in der Hoffnung, die Mehrheitsverhältnisse zu verschieben. Die vorgezogene Parlamentswahl soll am 14. November stattfinden – fast ein Jahr eher als bisher geplant. Doch dass es bei einer Neuwahl trotz absehbarer Zugewinne zur eigenen Mehrheit reichen wird, ist unwahrscheinlich. Er wird auf Bündnisse angewiesen sein.

Viele Wahlberechtigte haben bei Dissanayake ihr Kreuz gemacht, weil er durchaus überzeugend verkörpert, endlich den Kampf gegen das »Establishment« aufzunehmen; also gegen jene Kaste von Politikern, die ungeachtet der Parteizugehörigkeit immer vorweg die eigene Macht im Blick haben – samt Selbstbereicherung. Allein der Rajapaksa-Clan, der über weite Strecken der letzten 20 Jahre dominierte – erst unter Mahinda Rajapaksa als Präsident (2005-2015), dann ab Ende 2019 zweieinhalb Jahre unter dessen Bruder Gotabaya – soll Millionensummen ins Ausland abgezweigt haben. Tiefer untersucht wurden diese Vorwürfe nie. Sowohl nach dem Machtwechsel bei der Wahl 2015 als auch Mitte 2022, als das Volk Gotabaya zum Abtreten zwang und eine Parlamentsmehrheit den jetzt als Drittplatzierter (17,3 Prozent) aus dem Amt geschiedenen Ranil Wickremesinghe an die Spitze beförderte, blieben die Rajapaksas unbehelligt.

Experten mahnen, dass es drei bis fünf Jahre dauern wird, bis Sri Lanka ökonomisch wieder den Stand von 2018 erreicht.

Wickremesinghe hat es seither zwar vermocht, nach der schwersten ökonomischen Krise seit 1948 die Wirtschaft zu stabilisieren und den freien Fall der Insel ins wirtschaftliche Chaos und eine Versorgungskatastrophe zu stoppen. Die sozialen Härten, die seine Politik und auch die Auflagen des IWF für den drei Milliarden Dollar schweren Notkredit bis 2027 bedeuten, waren für den jahrzehntelang prominenten Vertreter neoliberaler Ideen eher zweitrangig.

Mit AKD, so die verbreitete Erwartung, wird nun ein anderer Kurs in die Politik Einzug halten. Der neue Präsident gilt als bodenständig, auf Augenhöhe mit den vielen Menschen, die ihre Mühe haben, mit unsicherem Einkommen die Familie über den nächsten Monat zu bringen. Was es bedeutet, wenn daheim das Geld knapp ist, weiß der 55-Jährige aus eigenen Kindertagen: Die Mutter kümmerte sich um den Haushalt, sein Vater war Tagelöhner; gute Bildung für den Sohn war den Eltern aber trotzdem wichtig.

AKD hat kein Patentrezept für alternative Politik

Der junge Anura, geboren in Thambuttegama, wenige Kilometer südwestlich der alten Königsstadt Anuradhapura, war der erste Schüler seines Colleges, der es an die Uni schaffte. Dort mischte er bald an der Spitze sozialistischer Studentengruppen mit. Schnell war auch sein Aufstieg in der Janatha Vimukthi Peramuna (JVP), die marxistische Grundwerte mit moderatem singhalesischen Nationalismus verbindet. Zweimal scheiterten 1987 und 1989 bewaffnete Umsturzversuche der Partei, die sich inzwischen deutlich gemäßigter gibt. Für rund ein Jahr war der jetzige Wahlsieger 2004/2005 schon mal kurzzeitig Minister.

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Er sei ein fehlbarer Mensch, der nicht alles wisse, so AKD bei seiner Vereidigung. Eine zweigeteilte Botschaft: Es geht ihm darum, die breite Masse der Bevölkerung beim weiteren Weg aus der Krise mitzunehmen. Gleichwohl hat er kein Patentrezept, wie eine alternative Politik aussehen könnte. Trotz wieder anziehenden Wirtschaftswachstums mahnen Experten, dass es drei bis fünf Jahre dauern wird, bis Sri Lanka ökonomisch wieder den Stand von 2018 erreicht.

Kampf gegen Korruption soll ernst werden

Der Kampf gegen Korruption war für bisherige Regierungen meist nur ein leerer Slogan – AKD will endlich damit ernst machen. Um die unter Wickremesinghe und dem IWF-Diktat gestutzten Sozialausgaben des Staates wieder anzuheben, braucht es jedoch Rückhalt im Parlament, dem er die vergangenen zwei Jahrzehnte selbt angehörte. Immer wieder hatte sich Dissanayake gegen Privatisierungen als angebliches Allheilmittel ausgesprochen. Er will den genossenschaftlichen Sektor stärken und Kleinbetriebe fördern.

Die Untersuchung der Terroranschläge von Ostern 2019 gegen christliche Kirchen und mehrere Nobelhotels in Colombo möchte er neu anschieben, zudem geht es um weitere Versöhnung der Volksgruppen. Der Sprecher der Tamilischen Nationalallianz (TNA) lobte bereits, AKD habe im Wahlkampf nicht wie andere Spitzenpolitiker mit scharfen Tönen in Richtung der Minderheiten auf Spaltung gesetzt.

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