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Urteil gegen Reichsbürger: Behördenmitarbeiter terrorisiert
Landgericht München wertet Betrieb eines Telegram-Kanals als Bildung einer kriminellen Vereinigung
»Das ist Gotteslästerung, Du Arschloch!« brüllt der Angeklagte den Vorsitzenden Richter Norbert Riedmann an. Der lässt sich nicht aus der Ruhe bringen, ist die Ausbrüche von Johannes M. gewohnt. Im Laufe der mehrmonatigen Verhandlung hat sein Staatsschutzsenat am Landgericht München 27 Ordnungsgelder gegen den Beschuldigten erlassen. Am Freitag fiel das Urteil in dem Prozess gegen M.: zwei Jahre und zehn Monate Haft. Das Gericht sprach ihn der »mitgliedschaftlichen Betätigung in einer kriminellen Vereinigung als Rädelsführer« und einer Vielzahl anderer Straftaten schuldig. Die hohe Zahl an Taten sowie Vorstrafen des Angeklagten wirkten sich dabei strafverschärfend aus.
Die Bildung einer kriminellen Vereinigung war in den Augen des Strafsenats in diesem Fall der Betrieb eines Telegram-Kanals, über den M. seine Anhänger*innen zur Begehung von Straftaten zulasten von Behördenmitarbeiter*innen aufrief. Den Kanal in dem Onlinedienst betrieb er demnach ab dem Jahr 2021. Dort habe er regelmäßig von aus seiner Sicht unzulässigen behördlichen Handlungen berichtet – und seine Anhängerschaft aufgefordert, die entsprechenden Ämter zu »bombardieren« und mit Telefonaten und Mails »kaltzustellen«.
Den heiligen Zorn des Angeklagten hatte der Vorsitzende Richter auf sich gezogen, weil er seine Verwunderung darüber geäußert hatte, wie M. sich in eine absurde Weltanschauung aus Reichsbürger-Ideologie, Verschwörungsmythen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie und anderen Elementen verrennen konnte. Mehr noch aber darüber, dass ihm so viele Anhänger*innen bis in den Gerichtssaal folgten und ihn regelrecht anhimmelten.
Nach einem Rekord an Ordnungsrufen – die dazugehörigen Geldstrafen summieren sich auf 1500 Euro – ließ das Plädoyer der Generalstaatsanwaltschaft am Donnerstag fast hoffen, M. würde etwas »abkühlen« angesichts des bevorstehenden Urteils. Tatsächlich rastete er »nur« einmal aus, als sein Pflichtverteidiger Gerhard Bink versuchte, sein Plädoyer zu halten: Der sei ein Krimineller und Pädophiler, mit dem er nichts zu tun habe und dem er nicht gestatte, in seinem Namen zu sprechen. Dass der Anwalt ihn gegen die Einschätzung der Staatsanwältin in Schutz nahm, er habe mit seinem Telegram-Kanal gemäß Paragraf 129 des Strafgesetzbuchs eine kriminelle Vereinigung gegründet und sei deren Rädelsführer, interessierte M. dabei wenig.
Staatsanwältin Stefanie Ruf hatte sich darauf festgelegt, Dutzende Bedrohungen, Beleidigungen, Nachstellungen, Volksverhetzungen (insgesamt 34), Aufrufe, Billigungen und Belohnungen von Straftaten und die Verwendung verbotener Symbole – bei denen der Telegram-Kanal zentraler Katalysator gewesen sei – hätten eine Organisation nach EU-rechtlich ausgeweitetem Begriff einer kriminellen Vereinigung konstituiert.
M. hatte vielfach Jugendämter, Schulen, Polizeidienststellen und Kinderarztpraxen in ganz Deutschland (etwa Eschborn, Berlin und Weiden) mit Anrufen, Faxen und Emails terrorisiert und Mitarbeiter*innen der Kindeswohlgefährdung, Entführungen und illegaler Gewaltanwendung bezichtigt. Er schnitt diese Tiraden mit, stellte sie dann auf seinen Kanal und rief seine zeitweilig mehr als 50 000 Follower*innen auf, es ihm gleichzutun und diese Stellen zu »bombardieren«.
All das hatte erheblichen psychische Folgen für die Betroffenen: Zahlreiche Zeug*innen schilderten anschaulich, welche Verunsicherung und Verängstigung die haltlosen Beschimpfungen und Bedrohungen für sie hatten. Arztpraxen schlossen zeitweise, Betroffene meldeten sich krank oder mieden ihre zum Teil im Netz veröffentlichten Wohnadressen aus Angst vor tätlichen Angriffen.
Im Prozess hielt Müller viele endlose Monologe, in denen er das unmittelbare bevorstehende Einschreiten des »Militärs« ankündigte, das schon im Lande sei. Nach 109 Jahren Nazikrieg gegen das deutsche Volk träten dann die Chefgesetze des Commanders in Chief Donald J. Trump in Kraft. Die Angestellten der 47000 Firmen, aus welchen die BRD bestehe, würden abgeurteilt und hingerichtet. Dabei flocht er gerne Untergangsprophezeiungen aus der Offenbarung des Johannes ein. So sagte er voraus, dass zwei Drittel der Menschheit vernichtet, ein Drittel »lichter Seelen« jedoch überleben und erhoben würden. Während des Schlussplädoyers hielt er eine Bibel in die Höhe gereckt.
Trotz der offensichtlichen Wahnhaftigkeit seiner Weltsicht bescheinigte der Vorsitzende Richter ihm unter Berufung auf ein forensisches Gutachten eine hohe Intelligenz und keine pathologische Verirrung. Vielleicht versuchte er auch deshalb selbst nach der Verkündung des Urteils weiter, den Angeklagten auf Widersprüche in seinen Aussagen und die regelmäßige Folgenlosigkeit seiner Prophezeiungen hinzuweisen und die rechtsstaatlichen Grundlagen der Bundesrepublik zu referieren.
Das war vergebliche Liebesmüh’: M. wandte sich überhaupt nur dem Senat zu, um die beiden Staatsanwältinnen und seine Verteidiger zu beschimpfen. Ansonsten grimassierte er mit seinen Anhänger*innen und verkündete ihnen kryptische Botschaften. Bei der Urteilsverkündung wurde es im Zuschauer*innenraum unruhiger, und als M. seine mehrheitlich weibliche Gefolgschaft aufforderte, in sein »Großer Gott, wir loben Dich« einzustimmen, wurde es selbst Richter Riedmann zuviel: Er ließ den Saal räumen. Das Urteil gegen M. ist noch nicht rechtskräftig. Es kann noch Revision zum Bundesgerichtshof in Karlsruhe eingelegt werden.
Die Justiz bearbeitet derzeit eine Vielzahl von Delikten Verschwörungsgläubiger. Meist sind die Androhung von Gewalt und sogar des Einsatzes von Waffen Bestandteil der Verfahren – oft, wie in den drei laufenden Prozessen gegen Mitglieder der Gruppe um Heinrich XIII. Prinz Reuß, gar in den Händen an Waffen ausgebildeter potenzieller Attentäter.
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