Krise in Berlin: BVG mit komplizierter Software

Berlins Verkehrssenatorin Bonde lädt Verkehrsbetriebe und Hersteller zu ernstem Gespräch

Bei Stadler Rail stapeln sich die neuen U-Bahnen – wann sie fahren werden, ist weiter ungewiss.
Bei Stadler Rail stapeln sich die neuen U-Bahnen – wann sie fahren werden, ist weiter ungewiss.

»Es ist kompliziert.« Das ist schon das Maximum, was sich Jure Mikolčić über die Softwareprobleme bei der neuen Fahrzeuggeneration für die Berliner U-Bahn entlocken lässt. Er ist Deutschlandchef des Schweizer Schienenfahrzeugkonzerns Stadler Rail, das von den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) den Auftrag für die Produktion von bis zu 1500 Wagen bekommen hat. Mikolčić verweist noch darauf, dass die vielen verschiedenen Konfigurationen, in denen die einzelnen Wagen zu Zügen zusammengestellt werden können, eine Herausforderung seien. Außerdem müsse auch die neue Signaltechnik, die in einigen Jahren zunächst auf der U5 und dann auf der U8 installiert werden soll, in der Softwarearchitektur berücksichtigt werden.

Am vergangenen Donnerstag ist ein Zwei-Wagen-Zug des Typs JK für die sogenannten Kleinprofillinien U1 bis U4 auf der weltgrößten Eisenbahnmesse Innotrans auf dem Berliner Messegelände bei einer kleinen Festlichkeit präsentiert worden. Bereits zu Jahresbeginn wurde das Eintreffen des ersten Vier-Wagen-Zugs auf dem Netz der BVG am Bahnhof Olympia-Stadion gefeiert. Seitdem laufen Testfahrten ohne Fahrgäste. Und bis heute gibt es keinen Termin, wann die Software-Probleme gelöst sein könnten. »Darüber bin ich nicht befugt zu sprechen«, sagt ein Stadler-Beschäftigter lediglich. Und auch der Deutschlandchef des Unternehmens wagt keine öffentliche Prognose.

Software ist die kritische Komponente

Bei Schienenfahrzeugen sei es inzwischen nicht anders als bei Flugzeugen und Autos. Ohne fehlerfrei funktionierende Software könne man das Fahrzeug nicht in Betrieb setzen, erläuterte bereits im Juli ein Insider gegenüber »nd« das Problem. »Türen, Antriebe, Bremsen – alles ist von der Software gesteuert«, verdeutlichte er, wie grundlegend die sich daraus ergebenden Schwierigkeiten sind. Damals stellte die BVG noch die Aufnahme erster Testfahrten mit Fahrgästen für den Herbst in Aussicht. Mit Glück könnte es noch bis Ende dieses Jahres klappen. Sehr allgemein wird der Beginn der Serienlieferung der Züge für 2025 in Aussicht gestellt.

»Wir haben aktuell von dem Fahrzeughersteller, der die U-Bahn-Fahrzeuge liefern kann, noch keine verbindlichen Lieferpläne vorliegen«, bestätigte Berlins Verkehrssenatorin Ute Bonde (CDU) am Mittwoch im Verkehrsausschuss des Abgeordnetenhauses. »Ich habe sowohl die BVG als auch den Geschäftsführer des Fahrzeuglieferanten zu einem Gespräch eingeladen, damit wir Verbindlichkeit in diese Lieferpläne hineinbekommen«, so Bonde weiter.

Stadler Rail produziert fleißig weiter

Die Produktion der Fahrzeuge läuft derweil im Stadler-Werk in Pankow auf Hochtouren. Mehr als 100 Stück stehen sich inzwischen die Räder platt. Über ein Viertel des ersten Bestellabrufs von 140 Wagen für das Kleinprofil und 236 für das sogenannte Großprofil der Linien U5 bis U9. Dort sind die Tunnel großzügiger dimensionert und die Fahrzeuge 2,65 Meter breit. Auf U1 bis U4 müssen sich die Fahrgäste mit 2,40 Metern Wagenbreite begnügen. Beide Varianten sind technisch zu mehr als 90 Prozent identisch.

Angesichts der Hängepartie ist inzwischen auch der Beziehungsstatus zwischen BVG und Stadler als »kompliziert« einzuschätzen. »Es ist natürlich eine Riesenherausforderung und Anforderung unsererseits an den Fahrzeughersteller, diese Fahrzeuge in guter Qualität dann auch zu liefern«, schießt BVG-Betriebsvorstand Rolf Erfurt auf der Bühne am Donnerstag einen Giftpfeil gen Lieferanten. Man müsse »eng schauen, dass die Qualität dann auch erbracht wird«, verdeutlicht er den Unmut. Ein BVG-Insider berichtet, dass man darauf bestehe, die mehrere hundert Positionen umfassende Mängelliste vor der Auslieferung abzuarbeiten.

»Was wir auf keinen Fall wollen, ist, dass uns so etwas passiert wie damals beim ›Talent 2‹, da haben wir ganz hohe Qualitätsanforderungen«, sagt Betriebsvorstand Erfurt zum Bahnfan-Medium Bahninfo.de. Der 2008 auf der Innotrans vorgestellte Regionaltriebzug des inzwischen vom französischen Bahntechnikkonzern Alstom übernommenen Herstellers Bombardier erhielt erst ab dem Jahr 2011 nach und nach die Betriebszulassung. Maßgeblich für die Verzögerungen waren Softwareprobleme und eine mangelhafte Dokumentation. Ohne nachvollziehbare Dokumentation der Fahrzeugtechnik ist eine Zulassung nicht möglich. Erfurt verweist auf die inzwischen sehr hohen Anforderungen an die Dokumentation. Auch daran scheint es also zu haken.

Riesenleistung in den Werkstätten

Auf der Bühne fordert BVG-Mann Erfurt auf zu einem »Applaus für die Kolleginnen und Kollegen, die 60 Jahre alte Fahrzeuge echt noch am Laufen halten. Das ist eine Riesenleistung.« Viele Ersatzteile müssten in den eigenen Werkstätten gefertigt werden.

Doch die ganzen Anstrengungen reichen nicht, um den U-Bahn-Betrieb im gewohnten oder gar bestellten Umfang aufrechtzuerhalten. Anfang September wurde der Fahrplan auf mehreren Linien erneut ausgedünnt, um mehr Stabilität in das Angebot zu bekommen. Vor, aber auch nach dem Schnitt mussten Fahrgäste teilweise bis zu einer halben Stunde auf den nächsten Zug warten. Das größte Problem ist der Fahrzeugmangel wegen der überalterten Flotte. Allerdings herrscht auch Personalmangel, dazu kam noch eine Welle von Krankmeldungen nach einer inzwischen wieder zurückgenommenen Dienstplanänderung.

Leichte Besserung der Lage

In einer für BVG-Verhältnisse erstaunlich kleinlauten Pressemitteilung vermeldet das Landesunternehmen ein »stabileres Angebot«. Am Montag und Dienstag habe die Zuverlässigkeit bei der U-Bahn im Schnitt bei 91 Prozent gelegen im Vergleich zu 88 Prozent in der Vorwoche. Es fällt also nur noch jede neunte Fahrt aus, statt zuvor jede achte. Im Verkehrsvertrag zwischen Land Berlin und BVG vereinbart ist eine Zuverlässigkeit von 99,7 Prozent, eigentlich dürfte also nicht einmal jede 300. Fahrt ausfallen.

Seit vergangenem Mittwoch sei »ein zusätzlicher und vorerst provisorischer Arbeitsplatz in der Leitstelle eingerichtet, der die Echtzeit-Fahrgastinformation künftig deutlich verbessern wird«, erklärt die BVG. Denn zum Unmut über die ausgefallenen Fahrten gesellte sich oft der Frust über komplett unzuverlässige Informationen darüber, wann denn der nächste Zug tatsächlich fährt. In den ebenfalls hoffnungslos veralteten Informationssystemen muss jede ausfallende Fahrt händisch gelöscht werden. Weil die Personaldecke zu kurz ist, werden für diese Schichten Bahnhofsmanager abgezogen, die eigentlich dafür zuständig sind, den Zustand von Stationen und Fahrzeugen im Betrieb zu kontrollieren. Für Unmut sorgt, dass sie mit der Arbeit in der Leitstelle eine Aufgabe übernehmen sollen, die eigentlich wesentlich besser bezahlt wird.

»Stabilität vor Wachstum« nennt BVG-Vorstandschef Henrik Falk die neue Strategie. Zwei bis drei Jahre soll es demnach dauern, bis der Betrieb wieder auf das angesichts der Fahrgastzahlen eigentlich nötige Niveau ausgeweitet werden kann.

Fehlen noch Tunnel und Werkstätten

Neben der Lieferung von Neufahrzeugen müssen allerdings noch weitere Probleme gelöst werden. Dazu gehört, dass das Verbindungsgleis zwischen U5 und U8 endlich wieder nutzbar wird. Denn die Betriebswerkstatt Friedrichsfelde an der U5 ist seit Sperrung des Waisentunnels unter der Spree in der Nähe des Alexanderplatzes im Jahr 2018 unterausgelastet, während sich Arbeit in der zweiten Betriebswerkstatt Britz-Süd an der U7 auftürmt. Doch noch im Oktober, so ist zu vernehmen, könnte für den nötigen Neubau des Waisentunnels endlich Baurecht vorliegen. Und auch die seit Jahren umstrittene Finanzierung der laut aktuellem Stand 78 Millionen Euro teuren Maßnahme stehen soll, wie es aus gut informierten Kreisen heißt.

Dringend nötig ist auch der Ausbau und die Modernisierung der U-Bahn-Werkstätten, um die neue Fahrzeugflotte auch dauerhaft in Betrieb halten zu können. Dem Vernehmen nach gestaltet sich die Suche nach Planungsbüros, die das Projekt zur Ausführungsreife bringen sollen, äußerst schwierig. Und auch die Finanzierung der mehr als 300 Millionen Euro schweren Maßnahme ist nach wie vor nicht abschließend geklärt.

Mehr Freude bei der Tram

Deutlich freundlicher als am Donnerstag war der Termin am Dienstag, den BVG-Betriebsvorstand Rolf Erfurt auf der Innotrans wahrnahm. Er war bei der Vorstellung der neuen Straßenbahngeneration für Berlin dabei. Zusammen mit Alstom-Vorstandschef Henri Poupart-Lafarge stellte er dem Fachpublikum das »Urbanliner« getaufte Fahrzeug vor. Fast 51 Meter misst es und ist damit die bisher längste Tram auf Berliner Gleisen.

20 Fahrzeuge sind bestellt, das erste ist bereits bei der BVG eingetroffen und absolviert Test- und Zulassungsfahrten. Rolf Erfurt rechnet mit dem Einsatz im Fahrgastbetrieb ab dem kommenden Frühjahr. Zunächst soll der »Urbanliner« auf der M4 die bisher eingesetzten Doppeltraktionen der ab 1994 beschafften Baureihe GT6 ablösen. Nach 30 Jahren Einsatz nähern sich diese Züge rapide dem Ende der wirtschaftlich sinnvollen Lebensdauer in Berlin.

Schmierung ist die Achillesferse

Besonders stolz ist man bei Alstom auf die neu konstruierten Fahrgestelle, die man aber nicht zeigen will, um die Technologie vor Nachahmung zu schützen. Sie sollen wesentlich leichter konstruiert sein als jene der Vorgängerbaureihe Flexity des gleichen Herstellers, von denen 229 Stück bei der BVG fahren. Poupart-Lafarge verspricht, dass die neuen Züge wesentlich gleisschonender sind.

Im Sommer musste eine größere Anzahl Flexity wegen hoher Abnutzung an den Rädern abgestellt werden. Schuld sollen Probleme bei der Schmierung der Räder in Kurven sein. Einerseits verweigerte die Technische Aufsichtsbehörde (TAB) der BVG die Inbetriebnahme von Schmiereinrichtungen an Gleisen unter anderem an der Neubaustrecke zur Turmstraße und einem erneuerten Abschnitt an der Allee der Kosmonauten. Andererseits ist eine automatische Schmierung in den Fahrzeugen erst im zweiten Fahrgestell eingebaut. Der erste Radsatz läuft also oft nicht ausreichend geschmiert in die Kurve. Beim »Urbanliner« ist die Schmierung erst im dritten Radsatz verbaut. Ob das durch den geplanten Einsatz eines neuen Schmiermittels kompensiert werden kann, muss sich noch zeigen.

Bei der BVG ist man so zuversichtlich, dass sehr bald die zweite Tranche der neuen Serie abgerufen werden soll, noch steht der Aufsichtsratsbeschluss dazu aus. 30 weitere 51-Meter-Züge sollen folgen. »Als nächste Linie soll die M10 auf ›Urbanliner‹ umgestellt werden«, sagt BVG-Mann Erfurt dem »nd«. Seit der Eröffnung der Verlängerung vom Hauptbahnhof zum U-Bahnhof Turmstraße zählt auch die M10 wie die M4 über 100 000 Fahrgäste pro Tag.

Tram Jungfernheide priorisiert

Laut Verkehrssenatorin Ute Bonde steht als nächste Neubaustrecke in Berlin die Verlängerung der M10 von der Turmstraße zum Bahnhof Jungfernheide an, was einen weiteren Schub bei den Fahrgastzahlen bringen wird. Diese Strecke sei von ihr »priorisiert« worden, sagte sie im Inforadio. Sie plane einen Spatenstich im Jahr 2026. Beobachter halten das für äußerst ambitioniert, wenn nicht unrealistisch, da das Planfeststellungsverfahren noch nicht einmal begonnen hat.

Anwohnende begrüßen mehrheitlich die Verlängerung sehr deutlich, allerdings gibt es Kritik an der geplanten Lage der Gleise in den Straßen. Sie sind wild entschlossen, ihre bisher ungehörten Alternativvorschläge durchzusetzen. »Es wird viel Zeit und Geld kosten, wenn man unsere Einwände erst im Planfeststellungsverfahren berücksichtigen muss«, sagte Wulf Heineking von der Stadtteilvertretung Turmstraße im Vorjahr zu »nd«. Er war bis zu seiner Pensionierung Straßenbahn-Chefplaner der BVG.

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