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Deutsche Kolonialverbrechen in Namibia: Zweifelhafte Versöhnung

Die Bundesregierung verweigert den Ovaherero und Nama in Namibia eine Wiedergutmachung

  • Andreas Bohne
  • Lesedauer: 4 Min.
Völkermord-Denkmal in der namibischen Hauptstadt Windhuk
Völkermord-Denkmal in der namibischen Hauptstadt Windhuk

Am 2. Oktober 1904 gab Lothar von Trotha seinen Vernichtungsbefehl für die Kolonie Deutsch-Südwestafrika. In eindeutigem Ton proklamierte der General: »Innerhalb der deutschen Grenze wird jeder Herero mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen, ich nehme keine Weiber und keine Kinder mehr auf, treibe sie zu ihrem Volk zurück oder lasse auf sie schießen.« Kaiser Wilhelm II. direkt unterstellt, konnte von Trotha zu dem Zeitpunkt bereits auf eine »koloniale Karriere« voller Brutalität zurückschauen, etwa bei der »Strafexpedition« im sogenannten Boxerkrieg 1900/01 in China.

Der Krieg begann im Januar 1904 durch einen Aufruf des Ovaherero-Häuptlings Samuel Maharero zum Widerstand gegen die Kolonialtruppen. Im August kam es zu Gefechten am Waterberg, worauf sich Verbände der Ovaherero in die wasserlose Region Omaheke zurückzogen. Eine Rückkehr sollte durch den Vernichtungsbefehl verhindert werden. Kurz danach traten auch Gemeinschaften der Nama in den Krieg ein, gegen die von Trotha am 22. April 1905 ebenfalls einen Vernichtungsbefehl formulierte. Dem Krieg, der erst 1908 endete, fielen circa 80 Prozent der Ovaherero und 20 Prozent der Nama durch Erschießen oder in Konzentrationslagern wie Shark Island zum Opfer. Dies gilt als erster Genozid des 20. Jahrhunderts.

Die Deutschen hatten schon durch ihre koloniale Besitzergreifung im Südwesten Afrikas ab 1884 die Lebensgrundlagen und die Kultur der Bevölkerung zerstört und schufen erste »Reservate«, die durch das rassistische Apartheidsystem institutionalisiert wurden. Die Folgen sind bis heute sichtbar: durch die ungerechte Landverteilung ebenso wie durch das Trauma der Opfer, welches von Generation zu Generation weitergegeben wird.

Die Bundesregierung erkannte erst im Oktober 2015 in einem offiziellen Dokument des Auswärtigen Amts die Massaker an den Ovaherero und Nama als Völkermord an. Noch kurz vorher war der Ovaherero-Chief Vekuii Rukoro vor dem Bundespräsidialamt bei der Übergabe einer Petition brüsk abgewiesen worden. Immer wieder bezieht sich die Bundesregierung trotz Kritik auf das Rückwirkungsverbot, wonach die Völkermord-Konvention von 1948 nicht auf vorherige Taten anwendbar sei. Daher wird offiziell die Phrase »aus heutiger Sicht ein Völkermord« benutzt.

Nach jahrelangen Verhandlungen wurde 2021 eine »Gemeinsame Erklärung« verabschiedet, welche die deutsche Seite euphemistisch als »Versöhnungsabkommen« bezeichnet. Darin wird zwar um Vergebung gebeten, doch rechtliche Ansprüche auf Entschädigungen werden abgelehnt. Stattdessen wurde eine Zahlung von 1,1 Milliarden Euro über einen Zeitraum von 30 Jahren vereinbart.

Nachfahren der Opfer sehen dies als Affront an. Seit Jahrzehnten setzen sie sich für die Anerkennung des Völkermordes, Reparationen und eine offizielle Entschuldigung der Bundesregierung ein. Vor allem der zivilgesellschaftliche Druck hat zu Fortschritten in den vergangenen Jahren geführt. Zuletzt reichten Anwälte und Vertreter*innen der Communities im Jahr 2023 Klage vor dem Obersten Gerichtshof in Namibias Hauptstadt Windhuk ein, um die Unterzeichnung der »Gemeinsamen Erklärung« zu verhindern. Diese ist von den Regierungen bis heute nicht unterzeichnet. Sieben UN-Sonderberichterstatter*innen kritisierten zudem die fehlende Einbeziehung der Gemeinschaften in der Erklärung: Die direkte und effektive Beteiligung durch selbstgewählte Vertreter*innen sei keine Frage des politischen Ermessens der beiden Regierungen, sondern in den Artikeln 11 und 18 der UN-Deklaration über die Rechte indigener Völker völkerrechtlich garantiert.

Währenddessen setzt die Bundesregierung auf ein ritualisiertes Gedenken. Bei Reisen nach Namibia, wie jüngst von Entwicklungsstaatssekretär Jochen Flasbarth, werden Kränze niedergelegt und die Grausamkeiten angesprochen. Auch aus Anlass des jetziges Jahrestages erfolgt lediglich eine Kranzniederlegung durch den Botschafter, wie das von den Grünen geführte Auswärtige Amt mitteilte. Dabei hatte sich die Partei in der Oppositionszeit noch für eine Aufarbeitung ausgesprochen, die »inklusiv, aktiv und unter Beteiligung der von kolonialem Unrecht betroffenen Communities, Gesellschaften und Gruppen« zu gespalten sei. Derzeit gibt es jedoch keine Anzeichen für einen Neuanfang. Maximal wird auf stattfindende »Nachverhandlungen« verwiesen.

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