- Politik
- Hungerstreik von Temirlan Sultanbekow
Repressionen gegen Sozialdemokraten in Kirgistan
Der Anführer der kirgisischen Sozialdemokraten Temirlan Sultanbekow setzt seinen Hungerstreik hinter Gittern fort.
Im zentralasiatischen Kirgistan setzt die Regierung ihre im November gegen die sozialdemokratische Partei (SDK) begonnenen Repressionen fort. Bei einer Razzia in der Parteizentrale wurde am 13. November 2024 die Parteiführung um Temirlan Sultanbekow, Irina Karamuschkina und Rosa Turksewer festgenommen.
Der Parteivorsitzende Sultanbekow befindet sich seitdem im Hungerstreik. Seit fast drei Monaten nimmt er nur noch Wasser und Fruchtsaft zu sich. Am 9. Januar verlängerte ein Gericht die Haft bis zum 12. Februar, Sultanbekows Eltern dürfen ihn nicht besuchen.
Frage nach der Verantwortung für Sultanbekows Gesundheit
Das Schicksal der Sozialdemokraten hat inzwischen auch das Parlament erreicht, obwohl die Partei dort nicht vertreten ist. Kamila Talijewa, Abgeordnete der nationalkonservativen Ata-Schurt-Partei, stellte die Frage nach der Verantwortung, sollte Sultanbekow vom Hungerstreik gesundheitlichen Schaden davontragen.
Der Chef der Justizvollzugsbehörde, Kemel Sadykow, verteidigte sich mit dem Hinweis, dass Sultanbekow sich unter ständiger ärztlicher Beobachtung befinde und über die gesundheitlichen Folgen seines Verhaltens belehrt werde. Dennoch habe sich Sultanbekows Gesundheitszustand dramatisch verschlechtert, teilten seine Anwälte mit.
Verfolgung wegen angeblicher Bestechung
Die SDK geriet 2021 ins Visier der Behörden. Bei der damaligen Parlamentswahl verpasste die Partei, die in Opposition zum nationalistischen Präsidenten Sadyr Schaparow steht, mit 3,14 Prozent den Einzug ins Parlament. Dennoch wurde der SDK vorgeworfen, die Bestechung von Wählern geplant zu haben. Die Behörden veröffentlichten den Mitschnitt eines Telefongesprächs, in dem angeblich Karamuschkinas Stimme zu hören ist. Die Partei bestreitet jedoch die Echtheit der Aufnahme.
Die SDK entstand 2018 als Abspaltung der Sozialdemokratischen Partei Kirgistans (SDPK). Aus deren Reihen kamen zwei Präsidenten, darunter mit Rosa Otenbajewa die erste Frau an der Spitze eines zentralasiatischen Staates. Lange Zeit war die SDK Mitglied der Sozialistischen Internationale, Sultanbekow deren Vizepräsident. 2023 trat man der Progressiven Allianz bei. Nennenswerte Wahlerfolge hatte sich die Partei nur bei den Regionalwahlen ausgerechnet. Wegen der laufenden Ermittlungen wurde sie von denen aber ausgeschlossen.
Dschaparow schneidet Kirgistan auf sich zu
Kirgistan, wo ein Drittel der Bevölkerung unter der Armutsgrenze lebt, bekam nach den Wahlen 2021 mit Dschaparow den rechtesten Präsidenten seiner Geschichte. Obwohl Dschaparows eigene Patriotische Partei (Mekentschil) gar nicht im Parlament vertreten ist, stehen die meisten Fraktionen dort loyal zu ihm.
Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.
Nach einem Referendum 2021 änderte er die Verfassung und machte aus Kirgistan eine reine Präsidialrepublik. Unterstützung genießt Dschaparow vor allem in agrarisch-traditionalistischen Südregionen des Landes, die sich durch den stärker russifizierten Norden benachteiligt fühlt. Doch auch unter Dschaparow wird im Staatsdienst und in der Hochschulbildung weiterhin viel Russisch genutzt. Der Vorschlag, das kyrillische Alphabet durch das lateinische zu ersetzen, wurde vom Präsidenten abgelehnt.
Druck auf Oppositionelle und Andersdenkende wächst
In den vergangenen Jahren wurden nach dem russischen Vorbild Gesetze gegen »ausländische Agenten« und LGBT-Propaganda eingeführt, der Druck auf oppositionelle Medien wurde verschärft. Auch für Kriegsgegner aus Russland wurde Kirgistan unsicheres Terrain, da es zur Zusammenarbeit von kirgisischen und russischen Behörden kam. In Bezug auf den Ukraine-Krieg agiert Dschaparow vorsichtig, sein Land ist weiterhin Mitglied in der Organisation des Vertrages für kollektive Sicherheit (ODKB) und der Eurasischen Wirtschaftsunion. In jüngster Zeit aber führt Moskaus Politik gegenüber kirgisischen Arbeitsmigranten zu Verstimmungen.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.