Richtungskampf in São Paulo

Die Kommunalwahlen in Brasilien demonstrieren die weiter existierende Stärke von Konservativen und Rechtsextremen

Brasiliens Präsident Lula da Silva und der linke Bürgermeisterkandidat Guilherme Boulos Seite an Seite im Wahlkampf in São Paulo.
Brasiliens Präsident Lula da Silva und der linke Bürgermeisterkandidat Guilherme Boulos Seite an Seite im Wahlkampf in São Paulo.

In Brasilien ist am Sonntag über die Bürgermeisterämter und die Sitze in den Räten von 5569 Städten abgestimmt worden, 156 Millionen Bürger waren aufgerufen. Bei den landesweiten Kommunalwahlen konnten vielerorts Konservative und Kandidaten aus dem Lager des rechtsextremen Ex-Präsidenten Jair Bolsonaro Erfolge verbuchen. Landestypisch traten etliche Bewerber für Allianzen aus diversen oder für programmatisch diffuse Parteien an, mit auf die Person zugeschnittenen Wahlkämpfen.

In etlichen Kommunen mit mehr als 200 000 Einwohnern, darunter 15 der 26 Hauptstädte der Bundesstaaten, wird erst eine zweite Runde Ende Oktober die Entscheidung bringen, wer den Schlüssel zum Rathaus erhält. Erhielt hier kein Kandidat die absolute Mehrheit, müssen die Wähler dann noch einmal an die elektronischen Wahlurnen. Das ist unter anderem in den großen Hauptstädten Belo Horizonte, Fortaleza, Curitiba und Porto Alegre der Fall. Ein genaues Bild von den Verschiebungen in der politischen Landschaft wird sich somit erst nach den Stichwahlen zeigen.

In Rio de Janeiro behauptete sich der für die nominellen Sozialdemokraten (PSD) antretende Bürgermeister Eduardo Paes auf Anhieb klar mit 60,5 Prozent und distanzierte den Kandidaten der Bolsonaro-Partei Alexandre Ramagem, der am Zuckerhut auf rund 31 Prozent der Stimmen kam. Bei der Präsidentschaftswahl vor zwei Jahren hatte Paes den Sieger Luiz Inácio Lula da Silva von der linken Arbeiterpartei (PT) unterstützt.

Weiter Chancen auf das Amt des Bürgermeisters der größten Wirtschafts- und Finanzmetropole Lateinamerikas hat Guilherme Boulos. Der 42-jährige Kandidat der Partei für Freiheit und Sozialismus ging am Sonntag mit 29,1 Prozent als zweiter über die Ziellinie. Der von einer Mitte-rechts-Wahlkoalition und Ex-Präsident Bolsonaro unterstützte amtierende Bürgermeister Ricardo Nunes von der bürgerlich-populistischen MDB lag mit 29,5 Prozent nur eine Fußspitze vorn.

Lulas Arbeiterpartei hatte zugunsten von Boulos nach kontroversen Debatten erstmals darauf verzichtet, in São Paulo einen eigenen Bürgermeisterkandidaten aufzustellen. Den Bund besiegelte der Wahlantritt von Marta Suplicy als sein Vize. Die nun zur PT zurückgekehrte Ex-Ministerin war vor zwei Jahrzehnten selbst Bürgermeisterin der Stadt. Im Wahlkampf versprach Boulos, sich für eine »menschlichere und innovative Stadt« einzusetzen. Trotz ihres enormen Reichtums gebe es in São Paulo 70 000 Menschen ohne Obdach und eine enorme Ungleichheit, fehle es an Zukunftschancen für junge Menschen, die deshalb oft in die Kriminalität abgleiten würden.

Für den linken Hoffnungsträger Boulos ist es der zweite Anlauf für das Rathaus von São Paulo. Vor vier Jahren hatte der Politiker und soziale Aktivist in der Stichwahl gegen den dann 2021 verstorbenen Bürgermeister Bruno Covas den Kürzeren gezogen. Auch diesmal wird es kein Spaziergang für Boulos, auch wenn er am Sonntag in etlichen Wahlbezirken der Metropole erstmals vorn lag.

Hinter Nunes und dem Linken schnitt der Kandidat der rechtsextremen PRTB Pablo Marçal fast gleich stark ab. Der millionenschwere Influencer mit Verbindungen zur Halbwelt konnte mit der Selbstinszenierung als volksnaher Provokateur, der »nicht zum System gehört«, beim großen Lager der politischen Analphabeten punkten. Zur Stimmabgabe erschien der Bürgermeisterkandidat barfuß und erst kurz vor Schließung der Wahllokale.

Kurz vor der Wahl hatte Marçal mit der Verbreitung eines medizinischen Berichts für Aufsehen gesorgt, der Guilherme Boulos Kokainsucht bescheinigte. Das wurde als Fälschung entlarvt. Unter anderem meldete sich die Tochter des 2022 verstorbenen Arztes, dessen Unterschrift auf dem Dokument zu sehen sein sollte, in den sozialen Medien zu Wort. Nun drohen Marçal, der die Falschnachricht einräumen musste, strafrechtliche Konsequenzen und der Entzug des passiven Wahlrechts für acht Jahre.

Bürgermeister Nunes, obwohl auf Stimmen aus diesem Lager für die Stichwahl angewiesen, hat sich von Marçal distanziert und erklärt, dass er von »einem Banditen« keine Unterstützung erbitten werde. Auch Bolsonaro will von Marçal, der Stimmen von seiner Basis abzog, nichts wissen. Der Ex-Präsident betont stattdessen sein Bündnis mit dem Konservativen Nunes und will dazu beitragen, dem linken Lager in São Paulo eine Niederlage von nationaler Tragweite zu bereiten.

Unmittelbar nach der Wahl hat Tabata Amaral, die mit einem Stimmenanteil von knapp zehn Prozent auf den vierten Platz kam, ihre Unterstützung für Guilherme Boulos im zweiten Wahlgang erklärt – »aus Überzeugung, nicht als Geschäft«, wie die junge Politikerin der Sozialistischen Partei (PSB) betonte. Diese ist eher in der politischen Mitte angesiedelt, stützt Staatschef Lula und zählt seit 2022 auch Vizepräsident Geraldo Alckmin zu ihren Mitgliedern. Das Duell in São Paulo in dei Wochen wird indirekt ein weiteres zwischen Bolsonaro und Lula.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -