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Kein Mittel gegen die Lunapharm-Affäre
Schon ein Jahr Prozess am Landgericht Potsdam und kein Ende in Sicht
Zypern gehört zu den wenigen EU-Staaten mit Linksverkehr. Für viele Touristen ist das ungewohnt. Sie geraten beim Abbiegen schnell mal auf die falsche Fahrbahnseite. Doch die Einheimischen sind gewarnt, weil die Mietwagen auf dieser großen Mittelmeerinsel extra mit roten Kennzeichen versehen sind. Nicht nur im Straßenverkehr weichen einige Regeln von denen in der Bundesrepublik ab, auch in der Justiz. So wundert sich Stelios I. am Dienstag im Landgericht Potsdam, dass sich Richter, Staatsanwälte, Verteidiger und Journalisten Notizen machen dürfen, er selbst als Zeuge aber seine mitgebrachten zweieinhalb Seiten mit Aufzeichnungen beiseite legen und aus der Erinnerung schildern soll, was sich vor sieben Jahren 3200 Kilometer entfernt in seiner Heimat zugetragen hat.
Damals soll der Inhaber einer Athener Apotheke auf dem Flughafen von Larnaka gelandet und nach Limmassol gefahren sein. Dort will ihn Stelios I. abgeholt und in sein Büro in der Hauptstadt Nikosia gebracht haben. Vorher hatten sie telefoniert. Nun wollten sie ins Geschäft kommen. Denn Stelios I. ist Pharmagroßhändler. Angeblich sollte die Athener Apotheke nicht nur Arzneien an Kunden verkaufen dürfen. Sie sollte auch über eine Erlaubnis zum Großhandel mit Medikamenten verfügen. Das habe sein Gegenüber behauptet, sagt Stelios I. aus.
Einen Dolmetscher an seiner Seite, spricht er vor Gericht Englisch. So wollte der 51-Jährige das. Dabei ist seine Muttersprache Griechisch. Doch dass der Dolmetscher mit dem einen oder anderen Begriff nichts anfangen kann, liegt nicht an mangelnden Sprachkenntnissen. Es liegt daran, dass hier ein verwickelter Fall mit fachspezifischen Besonderheiten verhandelt wird. Es geht um den Vorwurf, die Lunapharm GmbH aus dem brandenburgischen Blankenfelde-Mahlow habe aus Athen Medikamente bezogen und an Apotheken und Krankenhäuser in Deutschland weiterverkauft, obwohl der Lieferant keine Großhandelserlaubnis besaß. Die fehlende Erlaubnis ist Fakt. Auch Stelios I. will das schnell herausgefunden haben, als er sich bei den Behörden in Zypern erkundigte.
Nachdem der Lunapharm GmbH untersagt worden ist, von der Apotheke in Athen weiter Medikamente zu beziehen, soll der Umweg über Zypern genommen worden sein. Aber nicht etwa die Medikamente sind erst dorthin gegangen, sondern die Firma von Stelios I. stellte nach seiner Darstellung lediglich Rechnungen aus. Er wäre demnach eine Art Strohmann gewesen und sollte für seine Dienste anscheinend ein Prozent Provision erhalten. Die habe er aber nie bekommen, beteuert er vor Gericht. Er äußert den Verdacht, er sollte dafür herhalten, den wahren Lieferweg von Athen nach Blankenfelde-Mahlow zu verschleiern. »So wie ich es verstehe, haben die beiden Medikamente versandt auf illegale Weise.«
So habe er sich das aber damals nicht gedacht. Er habe geglaubt, dass er wirklich Medikamente bekommt und an Lunapharm weiterverkauft. Die per E-Mail vorab zugesandten Rechungen seien noch nicht die Originale gewesen. Diese wären erst den Sendungen beigelegt gewesen. Dann hätte alles seine Ordung gehabt. Woher die Medikamente legal nach Zypern gelangen und von dort aus nach Deutschland abgehen sollen, habe er nicht gewusst. Von Athener Seite habe ihm erst noch ein Lieferant mit Großhandelserlaubnis vermittelt werden sollen. Doch dazu sei es nie gekommen. Er habe die Rechnungen später storniert.
»So wie ich es verstehe, haben die beiden Medikamente versandt auf illegale Weise.«
Stelios I. Zeuge
Nur drei oder vier Kisten mit einem Ersatzpräparat für das Potenzmittel Viagra seien einmal aus Athen eingetroffen – und Medikamente, die bei zwei bis acht Grad Celsius aufbewahrt werden müssen, seien regelwidrig ungekühlt gekommen. Als diese deshalb unbrauchbar geworden waren, habe er sie nach Athen zurückgesendet. Später habe er vom Paketdienst DHL erfahren, dass die Sachen ohne sein Wissen mit dem DHL-Code seiner Firma an ein Hotel in Paris und nach Blankenfelde-Mahlow gingen. Umgekehrt habe er einmal 50 000 Dosen eines Medikaments von Lunapharm für Krankenhäuser in Kurdistan beziehen wollen und diese auch schon bezahlt. Als ein Spediteur die Ware in Blankenfelde-Mahlow abholen wollte, sei sie aber nicht herausgegeben worden.
Einen Tag vorher sei ein anderer Spediteur mit Vollmacht erschienen und habe die Dosen nach Athen mitgenommen, erklärt dazu Lunapharm-Chefin Susanne K., die seit fast genau einem Jahr vor Gericht steht. K. weist alle Anschuldigungen zurück, die im August 2018 immerhin in den Rücktritt der damaligen Gesundheitsministerin Diana Golze (Linke) mündeten. Golze hatte vorher überhaupt keine Kenntnis von angeblichen kriminellen Machenschaften, über die das ARD-Fernsehmagazin »Kontraste« damals berichtete: Von Lunapharm vertriebene Krebsmedikamente seien in griechischen Krankenhäusern gestohlen und angeblich auf einem Fischmarkt in Athen zwischengelagert worden, bevor Kuriere sie in Koffern per Flugzeug nach Deutschland schafften. Die Kühlkette könnte dabei unterbrochen gewesen sein. Damit wären die Mittel möglicherweise unwirksam geworden.
Nachprüfungen haben allerdings ergeben, dass die vorschriftsmäßig von den Chargen zurückgehaltenen Proben alle einwandfrei waren. Das bietet zwar keine 100-prozentige Sicherheit. Doch lässt sich daraus schließen, dass keine damit behandelten Krebspatienten zu Schaden kamen. Ministerin Golze half das alles nichts mehr. Weil die Medikamentenaufsicht im Landesgesundheitsamt nicht sofort angemessen auf Hinweise zu möglichen Unregelmäßigkeiten reagiert hatte, wurde der Politikerin vorgehalten, in Haushaltsverhandlungen nicht mehr Personal für diese Abteilung durchgesetzt zu haben.
Die letzte von zehn bis 14 Rechnungen aus Zypern – auf die genaue Zahl besinnt sich Stelios I. nach eigener Auskunft nicht mehr – sei im April 2018 geschrieben worden. Die Hälfte der verlangten 80 000 Euro habe Lunapharm angezahlt. Doch wieder sei nichts aus der Sache geworden. Die 40 000 Euro hat Stelios I. dennoch einbehalten. Er werde sie wohl zurückzahlen müssen, gesteht er ein. Sein Zögern versucht er damit zu entschuldigen, dass er von Lunapharm keine Aufstellung aller Transaktionen erhalten habe.
Wie verworren und schwer durchschaubar alles ist, zeigt sich einmal mehr, als das Gericht am Dienstag mit dem Zeugen aus Nikosia eine der Rechnungen vom 23. Mai 2017 anschaut. Darin geht es um 290 800 Euro für das Krebspräparat Avastin und andere Medikamente. Die Summe sollte Lunapharm nicht etwa nach Nikosia überweisen, sondern auf ein Konto der Firma Rheingold bei der Sparkasse Offenbach. Der hier von einem gewissen Mohamed H. als Geschäftsführer eingesetzte Rechtsanwalt Gunter K. steht gemeinsam mit Susanne K. vor Gericht. Mohamed H. war ursprünglich mitangeklagt. Doch zwei Amtsärztinnen aus Offenbach bescheinigten dem alten Mann, er sei reise- und verhandlungsunfähig.
Gegen den Zeugen Stelios I. wurde ebenfalls ermittelt. Doch dieses Verfahren sei abgeschlossen, ihm drohe keine Strafverfolgung mehr, erklärt ihm Richterin Christiane Hesse-Lang. Darauf wartet Susanne K. noch. Sie wartet auch darauf, die ihr entzogene Großhandelserlaubnis zurückzuerhalten. Die Lunapharm GmbH existiert zumindest auf dem Papier noch. Ihre Beschäftigten musste Susanne K. allerdings entlassen. Auf die Aussagen des Zeugen Stelios I. reagiert sie kopfschüttelnd. Sie habe Lieferungen erhalten. Was die Lieferwege betrifft, erzählt Susanne K. ein Beispiel: Wenn sie Medikamente beim Bayer-Konzern bestelle, kämen die auch nicht direkt aus Leverkusen, sondern aus einem Lagerhaus irgendwo. Für deren Zustand wäre sie erst mit der Übernahme verantwortlich.
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