Wilderer im Wolfsrevier

Offiziell sind dieses Jahr in Brandenburg vier Wölfe illegal getötet worden – die geschätzte Dunkelziffer liegt bei 40

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 6 Min.
Diese zwei Wölfe sind vor Jägern sicher, denn sie leben in einem weitläufigen Gehege im Wildpark Schorfheide. Ihre Artgenossen in freier Wildbahn droht der Abschuss.
Diese zwei Wölfe sind vor Jägern sicher, denn sie leben in einem weitläufigen Gehege im Wildpark Schorfheide. Ihre Artgenossen in freier Wildbahn droht der Abschuss.

Gut 150 Jahre war der Wolf in Deutschland ausgerottet. 1991 kehrte er aus Polen zurück, breitete sich von der Lausitz aus in Sachsen und Brandenburg aus und von dort weiter in nordwestlicher Richtung. 900 bis 1100 Exemplare soll es mittlerweile wieder geben – bundesweit. Doch Jäger schätzen den Bestand viel größer und behaupten, es müssten allein in Brandenburg schon an die 1000 sein.

Hans-Holger Liste von der Allianz Wolf Brandenburg hält diese Zahl jedoch für »frei erfunden«. Bei 52 bestätigten Rudeln und zehn Wolfspaaren dürften es nicht mehr als 124 erwachsene Exemplare im Bundesland sein, die Welpen würden nicht mitgerechnet, erzählt Liste am Freitag. »Selbst wenn es 1000 wären – in diesem gewaltigen Territorium wäre das nicht viel«, ergänzt Axel Kruschat, Landesgeschäftsführer des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND). Die Männer sind sich einig, dass mit überhöhten Angaben Panik gemacht werde, damit die Jagd auf Wölfe freigegeben wird. Die Tiere stehen unter strengem Artenschutz. Wer sie tötet oder auch nur verletzt, kann mit einer Geldbuße bis zu 65 000 Euro oder mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft werden. Doch Kruschat hat durch Anfragen bei den Staatsanwaltschaften herausgefunden, dass Verfahren in Brandenburg zumeist im Sande verlaufen.

Die Allianz und der BUND haben jetzt gemeinsam mit der Initiative für die Natur, dem Freundeskreis freilebender Wölfe und der Gesellschaft zum Schutz der Wölfe ein Antiwildereibündnis gegründet. Eigentlich müsste es korrekt Antiwildtierkriminalitätsbündnis heißen, erklärt am Freitag der BUND-Landesvorsitzende Carsten Preuß. Das wäre aber ein zu umständlicher Begriff, der Preuß auch nur stockend über die Lippen kommt. Treffender wäre diese Bezeichnung allerdings, betont er. Von Wilderei mache man sich zu leicht eine völlig falsche Vorstellung. Man denke da an den bitterarmen Bauern, der sich im 19. Jahrhundert heimlich im Wald ein Reh schießt, um seine hungernde Familie satt zu bekommen. Heutzutage aber sind die Wilderer Preuß zufolge Jäger, die nach der Methode »Schießen, schaufeln, schweigen« handeln. Das bedeutet, sie erlegen einen Wolf, vergraben den Kadaver und erzählen niemandem davon.

»Das ist eines Rechtsstaats unwürdig.«

Hans-Holger Liste Allianz Wolf

Aber die Hemmschwelle sinkt, wie Hans-Holger Liste beklagt. Ein Jäger in der Lausitz soll auf Nachfrage ziemlich unverblümt geäußert haben: »Bei uns wird regelmäßig geschossen. Das ist auch gar nicht schlimm. Es gräbt sowieso keiner nach.« Die ersten illegal getöteten Wölfe in Brandenburg wurden bereits 1991 registriert, inzwischen summiert sich ihre Zahl auf 34. Allein dieses Jahr seien bereits vier Fälle bekannt geworden, sagt Liste. Er spricht allerdings von einer hohen Dunkelziffer, einem vermuteten Verhältnis von einem registrieren Fall zu zehn Fällen, von denen die Behörden nichts erfahren. Hochgerechnet müssten dann dieses Jahr in Brandenburg schon 40 Wölfe getötet worden sein. Ihre Zahl wäre damit höher als die der bei Verkehrsunfällen gestorbenen Artgenossen. Dass die Verantwortlichen nicht zur Rechenschaft gezogen werden, versteht Liste als »Duldung einer schweren Straftat«, die eines Rechtsstaates unwürdig sei.

Dem Landesumweltamt zufolge haben Wölfe im vergangenen Jahr 1281 Schafe und Ziegen gerissen sowie 90 Rinder. Landwirte bekamen Entschädigungen in Höhe von insgesamt rund 140 Millionen Euro ausgezahlt. Die Herden mit speziellen Zäunen und ausgebildeten Hunden zu schützen, ist sehr teuer. Darum fordern betroffene und davon entnervte Bauern und Schäfer immer wieder, den Abschuss freizugeben und den Wolf wieder auszurotten. Zuspruch erhalten sie aus der Dorfbevölkerung, die sich vor Raubtieren fürchtet, die vereinzelt in Siedlungen eindringen und sich auch nah an Menschen heranwagen. Solange die Jagd offiziell nicht gestattet ist, geschieht sie illegal.

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Anders als mit Wilderei kann sich Nicole Kronauer nicht erklären, dass Wölfe sich nur noch sehr gebremst und ausschließlich von Osten her in der Bundesrepublik ausbreiten und nicht auch aus Nord- und Südeuropa kommen. Das sei ungewöhnlich bei Tieren, die so große Entfernungen zurücklegen und in einer Nacht bis zu 80 Kilometer laufen, erläutert die Vorsitzende der 1991 gegründeten Gesellschaft zum Schutz der Wölfe. Für die genetische Vielfalt der Population sei dies schädlich. »99 Prozent der Wölfe in Deutschland stammen von den Wölfen in Polen ab. Da haben wir eine große Inzuchtgefahr.« Kronauer warnt, die Wilderei helfe den Bauern und Schäfern gar nicht. Denn wenn erfahrene alte Wölfe, die sich im Wald an Rehe heranpirschen, aus einem Rudel geschossen werden, machten sich die unerfahrenen jungen Wölfe noch viel eher an Herden heran, um ihren Hunger zu stillen. Übrigens gebe es in der Slowakei oder in Frankreich, wo der Wolf gejagt werde, in den Rissstatistiken keine rückläufigen Zahlen. Die Freigabe der Jagd diene am Ende nur dafür, die aufgebrachte Bevölkerung zu beruhigen.

Der Wolf hat eine Funktion im Ökosystem. Es gibt viele zu viele Rehe in den Wäldern. Die Förster beklagen Verbissschäden an der Rinde der Bäume. Das ist in Brandenburg ein großes Problem. Wenn die Wölfe ein paar Rehe reißen oder wenn Rehe vor den Raubtieren flüchten und nicht immer im selben Forst die Rinde und junge Triebe abknabbern, schafft das etwas Abhilfe, erläutert Kronauer. Doch mit dem Argument, wie nützlich die Rudel doch seien, möchte Hans-Holger Liste gar nicht kommen. Die Frage zu stellen, wie eine Tierart den Menschen nutzt, sei eine überholte Herangehensweise, mit der man aufhören sollte, meint Liste. »Jedes Geschöpf hat eine Existenzberechtigung auf diesem Planeten.«

Das Anti-Wilderei-Bündnis fordert, dass der Staat künftig gegen die illegale Tötung von Wölfen durchgreift. Aber auch das Zerstören von Adlerhorsten in Gebieten, in denen Windkraftanlagen aufgestellt werden sollen, müsse aufhören, verlangt der BUND-Landeschef Preuß von der Politik. Er leitet nicht nur den Naturpark Dahme-Heideseen. Weniger als eine Woche – bis zur Konstituierung des am 22. September gewählten Landtags – ist er formal selbst noch Politiker. Denn da der Abgeordnete Andreas Büttner (Linke) Beauftragter für die Bekämpfung des Antisemitismus wurde, rückte der parteilose Preuß im Juni für ihn ins Parlament nach. Vorher schon war er einmal von 2018 bis 2019 als Nachrücker im Landtag. Die Linke ist im neuen Landtag nicht mehr vertreten. Preuß war diesmal aber sowieso nicht nominiert.

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