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»The Substance«: Hasserfüllter Blick auf vermeintliche Makel
Für Verinika Kracher sagt der Film »The Substance« viel über von Männern dominierte Gesellschaften aus
Aktuell läuft der feministischen Body-Horror-Film »The Substance« mit Demi Moore und Margaret Qualley in ausgewählten Kino. Regisseurin ist Coralie Fargeat, die bereits mit Revenge (2017) einen großartigen, feministischen Rape-Revenge-Film gedreht hatte. Ein Film, der sich durch eine starke Dekonstruktion des Male Gaze, also des patriarchalen Blicks auf den weiblichen Körper, auszeichnet. Eine Freundin und ich haben es uns nicht nehmen lassen, »The Substance« zu sehen. Es ist ein guter Horrofilm. Er ist zudem komisch, zumindest für Menschen mit einer Affinität für grotesken Humor.
Doch »The Substance« ist mehr. Es ist ein Film über die patriarchalen Zurichtungen auf den weiblichen Körper, auf Körperdysphorie, Entfremdung vor sich selbst, die Angst, nicht mehr jung, schön, begehrenswert zu sein. Ein Film über eine Gesellschaft, die Frauen als Fleisch betrachtet und wegwirft, wenn sie nicht mehr konsumierbar genug sind.
Protagonistin des Films ist die alternde Hollywood-Schauspielerin Elizabeth Sparkle, die Kinoleinwände und Oscar-prämierte Filme inzwischen gegen eine an die Ästhetik der 1980er Jahre erinnernde Aerobic-Show eingetauscht hat. Doch auch für die ist sie inzwischen zu alt, erklärt ihr der Produzent Harvey (ein fast schon cartoonhaft ekliger Dennis Qaid). Die Kamera zoomt auf seinen Mund, während er isst: Er zerreißt seine Shrimps, zermalmt sie, sein Kinn ist verschmiert von Cocktailsauce, er spuckt kleine Essensbröckchen aus, während er Elizabeth mitteilt, dass sie nicht mehr begehrenswert sei. Dann lässt Harvey Elisabeth sitzen, um andere reiche Männer mittleren Alters zu begrüßen.
Veronika Kracher, geboren 1990, hat Soziologie und Literatur studiert und ist seit 2015 regelmäßig als Autorin und Referentin mit den Arbeitsschwerpunkten Antifeminismus, Rechtsextremismus und Online-Radikalisierung tätig. Zudem ist sie Expertin für belastende Männer im Internet. Für »nd« schreibt sie die monatliche Kolumne »Jenseits des Patriarchats«.
Eine weitere Demütigung erfährt Elizabeth, als sie nach Hause fährt: Ein Plakat mit ihrem Gesicht wird abmontiert – und in dem Moment der Ablenkung wird sie von einem Auto erfasst und landet im Krankenhaus. Einer ihrer Ärzte steckt ihr einen USB-Stick zu: Werbung für das Produkt »The Substance«, ein mysteriöses Serum, das verspricht, eine »jüngere, schönere, perfektere Version« der Nutzerin zu schaffen. Elizabeth schlägt zu – und erhält ein Paket mit einer Ansammlung von Spritzen und Flüssignahrung. Durch das Serum schafft sie eine neue Version von sich selbst: die junge Sue, die wörtlich aus Elizabeth’ Körper ausbricht. Wie eine Schlange, die sich häutet und den alten Leib abstreift. Elizabeth‘ alternder Leib bleibt lieblos auf dem kalten Badezimmerboden liegen.
Obwohl Elizabeth und Sue verschiedene Körper bewohnen, sind sie eins, erklärt die Anleitung der »Substance«. Und alle sieben Tage müssen sie die Körper wieder tauschen, ansonsten könnte es zu unvorhergesehenen Konsequenzen kommen.
Sue, eine für den kulturindustriellen Apparat perfekte Mischung aus Unschuld, Sexyness und Natürlichkeit, übernimmt die Rolle in der neuen Version von Elizabeth’ Aerobic-Sendung. Die Kamera fokussiert sich auf ihr Becken, auf ihren Hintern, ihre Brust, ihre leicht geöffneten Lippen, dazu pumpende Musik. Dennoch ist nichts an diesen Shots erotisch: Sie sind klinisch und kalt. Sue erklärt Harvey und seinen Casting-Direktoren, die eine andere Bewerberin mit den Worten »Zu schade, dass ihre Titten nicht mitten im Gesicht sind« kommentieren, sie müsse jedoch jede zweite Woche auf ihre alternde Mutter aufpassen.
Sue genießt all das, was die Gesellschaft einer alternden Frau wie Elizabeth verwehrt: Aufmerksamkeit, Sex und Partys. Erinnern wir uns: Elizabeth wird von Demi Moore gespielt, einer wunderschönen Frau. Doch der Blick, den Elizabeth selbst auf ihren Körper hat, ist von Melancholie und Verachtung geprägt. Es ist der internalisierte Blick des Patriarchats, von Männern wie Harvey und seinen Kollegen, für die Frauen immer schöner, jünger, formbarer sein müssen.
Elizabeth und Sue scheitern daran, den symbiotischen Charakter ihrer Beziehung aufrecht zu erhalten. Und Sue, begeistert von dem neu gewonnenen Begehren, verweigert den pünktlichen »Switch«. Die Strafe erfolgt am nächsten Tag: Elizabeth’ Leib verfällt, ihre Lebenszeit wird auf Sue übertragen – ein Prozess, der nicht mehr rückgängig zu machen ist.
»The Substance« erinnert gerade im letzten Teil stark an die Filme von David Cronenberg und »The Thing« von John Carpenter, beides Könige des Body Horror. Bei Fargeat sind es jedoch keine Aliens oder fehlgeschlagene Experimente, die für den Horror verantwortlich sind: Es ist der Zwang zur permanenten Selbstzurichtung, der den weiblichen Körper in etwas Monströses verwandelt. Die Bildsprache schwankt zwischen der Objektifizierung von Frauenkörpern und Szenen des Ekels: zerhacktes Fleisch, ein gewaltvoll gestopftes Huhn, Fressorgien, deformierte Leiber.
Die Allegorie von »weibliche Körper als Konsumprodukt« ist stellenweise etwas aufdringlich, aber jede Frau kennt die Erfahrungen von Elizabeth: der hasserfüllte Blick auf die eigenen vermeintlichen Makel, der Wunsch nach Jugend, die Bereitwilligkeit, sich selbst mit fragwürdigen Prozeduren herrschenden Schönheitsvorstellungen anzupassen.
Also: Besser das Geld für die nächste Botox-Behandlung sparen und statdessen in einen Kino-Abend mit Freundinnen investieren und zusammen »The Substance« schauen. Feministischer Horror ist nämlich eine wesentlich bessere Form von Self Care als Schönheitsoperationen.
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