Minen in der Ukraine: Räumung im Kampf nicht möglich

Konferenz in der Schweiz widmet sich nach über zwei Jahren Krieg der verminten Ukraine

  • Bernhard Clasen, Kiew
  • Lesedauer: 4 Min.
Tödliche Gefahr: Eine russische Fahne verweist in einer Pfütze in Cherson auf Minen.
Tödliche Gefahr: Eine russische Fahne verweist in einer Pfütze in Cherson auf Minen.

Für den russischen Dienst von BBC, der sich auf einen Bericht des Think Tanks Globsec beruft, ist es eine »traurige Kreativität«, die die Russen nach einem Rückzug aus einem Gebiet durch das Anbringen von Stolperdrahtminen an den Tag legen. Ausgelöst werden diese Minen durch einen Draht. Die Mine explodiert, wenn jemand den Draht berührt oder über ihn stolpert. Diese Minen sind häufig an Straßenrändern sowie an toten Tieren und den Körpern gefallener Soldaten angebracht. Berührt man also einen verminten Körper, löst diese Berührung eine Explosion aus. Manchmal werden diese Stolperdrähte in Gruppen von zwei oder sogar drei verlegt. In solchen Fällen lockt die erste, meist schwächere Explosion, Menschen an. Und wenn sich nach einer gewissen Zeit mehrere Personen an dieser Stelle eingefunden haben, wird zum zweiten Mal eine Explosion ausgelöst. Und die ist meist stärker als die erste.

Rund 142 000 Quadratkilometer der Ukraine – fast die Hälfte der Fläche
Deutschlands – gelten als mit Minen verseucht. Und die sind sehr vielfältig. 2700 verschiedene Minen, so das ukrainische Portal nv.ua, sollen die russischen Streitkräfte eingesetzt haben.

Pilze sammeln unter Lebensgefahr

Die 60-jährige Bäuerin Taisja, die an der Grenze zu Russland einen kleinen Hof bewirtschaftet, hat ihr ganzes Leben lang gerne Pilze gesammelt. Sie kennt sich aus und sie konnte sich mit dem Verkauf ihrer Pilze ein kleines Zubrot verdienen. Doch seit dem 24. Februar 2022 geht sie nicht mehr in den Wald. Sie habe Angst, in dem ehemals umkämpften Gebiet auf eine Mine zu treten, erzählt sie dem »nd«.

Der ukrainische Dienst von BBC berichtet von einer Lidia aus dem lange umkämpften Isjum. Lidia hatte ihr Leben lang Pilze gesammelt und verkauft. Als Isjum von den Russen besetzt war, war sie geflohen, doch nach der Rückeroberung der Stadt durch die Ukrainer war sie zurückgekehrt, hatte versucht, sich ihr kleines Budget durch das Sammeln und den Verkauf von Pilzen etwas aufzubessern, kannte sie doch die Stellen, an denen Steinpilze wuchsen wie kein anderer. Doch eine sogenannte »Blütenblatt«-Mine wurde ihr zum Verhängnis. Diese Minen sind wegen ihrer grünen Farbe und der Form zwischen den Pflanzen schwer zu erkennen. Nur mit Mühe habe sie es geschafft, ihre Freundin per Telefon um Hilfe zu bitten. Mittlerweile trägt sie eine Prothese. Und nachts träumt sie von Pilzen.

Nach Angaben des ukrainischen Zentrums für Minenräumung gab es in den vergangenen zwei Jahren 664 durch Minen verursachte Explosionen. Dabei starben 297 Menschen, 673 wurden zum Teil schwer verletzt. Die Ukraine ist überfordert mit der großflächigen Verminung ihres Landes. Im Januar 2024 hatte der stellvertretende Wirtschaftsminister Ihor Beskarawainyi in einem Interview mit Ukrinform erklärt, dass die Ukraine aktuell 3500 Entminungsspezialisten habe. Und das sei nicht annähernd ausreichend. Ein weiteres Problem ist der Umstand, dass Organisationen, die Entminung betreiben, nur eine 50-Prozent-Freistellung ihrer männlichen Mitarbeiter vom Kriegsdienst haben. Das bedeutet, dass jederzeit die Hälfte der männlichen Belegschaft durch das Militär abgezogen werden kann.

Nach Angaben der Weltbank belaufen sich die Kosten einer Entminung der Ukraine auf 37 Milliarden Dollar. Doch selbst wenn das Geld da wäre, gibt es Hindernisse, die derzeit nicht überwindbar sind. Gerade in den umkämpften Gebieten, wo die meisten Minen liegen dürften, ist eine Räumung unter Kampfbedingungen nicht möglich. Aber auch nach dem Ende der Kampfhandlungen, so der russische Dienst von BBC unter Berufung auf britische Geheimdienstquellen, werde eine Entminung des Landes zehn Jahre in Anspruch nehmen.

Minenräumung per Fernbedienung

In der Ortschaft Balaklija bei Charkiw will man nicht warten, bis man mit der Minenräumung an der Reihe ist. Hier wird ein neues Minenräumgerät getestet. Entminungsspezialisten, Militärs und Wissenschaftler aus Charkiw haben in Zusammenarbeit einen Traktor mit Ausrüstungsteilen eines Panzers kombiniert. Das Fahrzeug ist fahrerlos und wird per Fernbedienung gesteuert. Ein weiterer Vorteil: Es ist zehnmal billiger als ausländische Modelle.

In Lausanne findet am 17. und 18. Oktober 2024 die »Ukraine Mine Action Conference« (UMAC2024) statt. Ziel der von der Schweiz und der Ukraine gemeinsam organisierten Konferenz ist es, die Bedeutung der humanitären Minenräumung als zentrales Element des sozialen und wirtschaftlichen Wiederaufbaus zu thematisieren. Dafür bringt die UMAC2024 Vertreter von Regierungen, internationalen Organisationen, Partnerakteuren der humanitären Minenräumung und der Zivilgesellschaft zusammen. Klar ist: Ohne ein Ende der Kampfhandlungen lässt sich die Entminung nicht vernünftig in Angriff nehmen.

Mitarbeit: Stanislaw Kibalnyk, Charkiw

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