- Berlin
- Wissenschaft
Neues Semester, alte Ressentiments
Abgeordnetenhaus debattiert über Antisemitismus an Berliner Hochschulen
Die einen reden noch, die anderen handeln: Während am Donnerstag im Abgeordnetenhaus über Antisemitismus an Berliner Hochschulen debattiert wurde, kam es an der Freien Universität parallel zur nächsten kontroversen Aktion von propalästinensischen Gruppen: Schwarz Vermummte verschafften sich Zugang zum Gebäude des Präsidiums in Dahlem und trugen Möbel aus dem Haus. Sie skandierten Parolen und zerstörten technische Geräte wie Drucker. Auch Mitarbeiter sollen bedrängt worden sein.
Die Polizei bestätigte den Vorfall wenig später. Als sie in das Gebäude eindrang, seien demnach keine Personen mehr angetroffen worden. Anschließend habe man im Umfeld allerdings Verdächtige festgenommen. Die Aktion ereignete sich einen Tag, nachdem FU-Präsident Günter M. Ziegler im Akademischen Senat angekündigt hatte, Strafanträge gegen die Besetzer des Theaterhofs an der FU im Sommer nicht zurücknehmen zu wollen.
»Hochschulen werden zu Austragungsorten eines offenen Antisemitismus«, sagte Adrian Grasse, wissenschaftspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion, am Donnerstag im Abgeordnetenhaus. Er verwies auf die Besetzung des Instituts für Sozialwissenschaften der Humboldt-Universität, die in der »Verwüstung« der Räumlichkeiten geendet habe. Auch der gewaltsame Angriff auf den jüdischen Studenten Lahav Shapira, der von einem Kommilitonen attackiert wurde, sei ein Beispiel für den grassierenden Antisemitismus an den Berliner Hochschulen. Shapira besuche die Uni zwar inzwischen wieder, müsse aber von Bodyguards begleitet werden. »Stellen wir uns so unsere Universitäten vor?«, fragte Grasse.
Der schwarz-rote Senat habe mit der Wiedereinführung des Ordnungsrechts versucht, der Entwicklung Einhalt zu gebieten. Mit dem Ordnungsrecht können Studierende mit Sanktionen bis hin zur Exmatrikulation belegt werden, wenn sie sich körperlich gewalttätig oder sexuell belästigend gegenüber Kommilitonen oder Mitarbeitern der Universität verhalten. »Das Ordnungsrecht ist ein wirksamer Instrumentenkasten«, sagte Grasse. »Jetzt erwarte ich, dass dieser Instrumentenkasten auch genutzt wird.«
»Sie sehen die Verschärfung des Ordnungsrechts als Lösung aller Probleme«, entgegnete Laura Neugebauer, hochschulpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion. »Wir brauchen aber weitreichendere Maßnahmen.« Es müsse mehr in die Prävention von Antisemitismus an den Hochschulen investiert werden, etwa in Ansprechpartner für jüdische Studierende und Dialogformate. Nur so könne erreicht werden, dass die Hochschulen »wieder sichere Orte für jüdische Studierende« werden.
Das Thema auf die Tagesordnung des Abgeordnetenhauses gesetzt hatte die AfD. Alle anderen im Landesparlament vertretenen Parteien kritisierten das als heuchlerisch. »Sie sind niemals ein Verbündeter im Kampf gegen Antisemitismus«, sagte der SPD-Abgeordnete Marcel Hopp in Richtung der AfD. »Sie machen Millionen Migranten pauschal für Antisemitismus verantwortlich.« Die AfD würde zwar ein real existierendes Problem ansprechen, aber keine Lösung anbieten. Stattdessen »ethnisiere« sie das Problem. »Sie geben Migranten die Schuld an Kriminalität und Antisemitismus«, sagte Hopp. So solle der Diskurs vergiftet werden.
»Die AfD ist niemals Verbündeter im Kampf gegen Antisemitismus.«
Marcel Hopp (SPD)
wissenschaftspolitischer Sprecher
Dabei habe die AfD selbst von allen Parteien »mit Abstand das größte Antisemitismusproblem.« Viele Funktionäre der Partei zeigten »offene Nähe zur Neonazisszene«. Hopp erinnerte daran, dass der Thüringer AfD-Landesvorsitzende Björn Höcke das Holocaust-Mahnmal in Mitte ein »Denkmal der Schande« genannt und ein Ende der Bewältigungspolitik gefordert hatte. Andere Parteimitglieder hingen offen antisemitischen Verschwörungstheorien wie der vom »Großen Austausch« an. »Sie sind Teil des Problems, nicht der Lösung«, so Hopp.
Linke-Fraktionsvorsitzender Tobias Schulze erinnerte daran, dass die Hochschulen neben Antisemitismus noch vor anderen Herausforderungen stünden. »Berlin wird zu einer Stadt, die sich nur noch Studierende mit reichen Eltern leisten können«, sagte er. Das Studierendenwerk könne nicht genügend Wohnheime bauen, weil es keine Kredite aufnehmen könne. Viele Studierende könnten daher keinen bezahlbaren Wohnraum finden. »Lösen Sie die Wohnungskrise«, forderte er den Senat auf.
Auch Mitarbeiter der Hochschulen litten unter der Wohnraumsituation. Zusätzlich müssten sie sich um die Zukunft sorgen. »Viele haben ihre Hoffnung in dieses Semester gesetzt – vor allem die, die sich von Befristung zu Befristung hangeln«, so Schulze. Nach einer Novelle des Hochschulgesetzes sollten eigentlich allen Post-Docs eine Dauerstelle in Aussicht gestellt werden. Doch der schwarz-rote Senat verschiebe das Vorhaben immer wieder. »Jetzt könnte der Senat das Vorhaben endgültig kippen«, warnte Schulze. »Ich kann Sie nur warnen: Schreddern Sie nicht die Arbeitsbedingungen für den Nachwuchs.«
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.