Linke mit innerparteilichem Friedensvertrag

Gleich am ersten Beratungstag ihres Parteitags in Halle fasste Die Linke Beschlüsse zum Krieg in Nahost und zu Antisemitismus

  • Jana Frielinghaus, Pauline Jäckels
  • Lesedauer: 7 Min.
Die Forderungen eines Bündnisses von 30 Nichtregierungsorganisationen, unter ihnen Amnesty International und Pax Christi, das am Freitagabend in Berlin eine Kundgebung für einen »gerechten Frieden in Palästina und Israel« veranstaltet hatte, will sich Die Linke laut einem Parteitagsbeschluss zu eigen machen.
Die Forderungen eines Bündnisses von 30 Nichtregierungsorganisationen, unter ihnen Amnesty International und Pax Christi, das am Freitagabend in Berlin eine Kundgebung für einen »gerechten Frieden in Palästina und Israel« veranstaltet hatte, will sich Die Linke laut einem Parteitagsbeschluss zu eigen machen.

Die Themen Krieg im Nahen Osten und Antisemitismus sollten am Freitagabend auf dem Parteitag eigentlich schnell abgeräumt werden. Doch natürlich werden sie Die Linke nicht loslassen. Zu grauenhaft der Krieg in Gaza und mittlerweile im Libanon, zu groß die Erschütterung und Empörung darüber auch hierzulande, gerade bei jungen Menschen.

Am Samstagmittag waren einige von ihnen zum Versammlungsort gekommen, einer Messehalle am Rande von Halle (Saale), um scharfe Kritik an der Haltung der Partei zum Leid der Palästinenser und Forderungen an sie vorzutragen. Eine Rednerin empörte sich, dass es Politiker der Linken seien, die palästinasolidarische Gruppen wie Handala in Leipzig und Halle als antisemitisch abstempelten. So habe sich die Landtagsabgeordnete Henriette Quade eine angemeldete Demo blockiert und »zusammen mit der Polizei« verhindert.

Quade bestätigte gegenüber »nd«, sie habe sich an einer Blockade gegen eine Demo Ende Mai beteiligt, allerdings nicht allein, sondern mit anderen Personen, die in der Kundgebung eine »klar antisemitische« gesehen hätten. Mit der Polizei habe sie nie zusammengearbeitet, so Quade. Vielmehr sei sie an diesem Tag selbst von Polizisten verletzt worden. Einige Delegierte beantragten, den Protestierenden vor der Tür Redezeit im Saal zu gewähren. Dies wurde mit eher knapper Mehrheit abgelehnt.

Am späten Freitagabend hatten die Delegierten ein Papier mit dem Titel »Deeskalation und Abrüstung in Nahost – für Frieden und Völkerrecht – gegen jeden Rassismus und Antisemitismus« beschlossen, in dem etliche Anträge an den Parteitag, mit teils gegensätzlichen Perspektiven auf den Krieg im Nahen Osten, zusammengeführt wurden; unter Beteiligung der Antragstellenden.

Die designierten Bundesvorsitzenden Ines Schwerdtner und Jan van Aken sollen sich maßgeblich in die Erarbeitung des gemeinsamen Papiers eingebracht und sie mit auf den Weg gebracht haben. Der Kompromisscharakter ist dem Dokument anzumerken, das mehrere andere, zuvor von Delegierten und Gruppierungen der Partei eingereichte Anträge ersetzte.

Einer der Organisatoren der Demo am Versammlungsort sagte im Gespräch mit »nd«, er lehne das gemeinsame Papier als »Formelkompromiss« ab. Es vereine zwar die verschiedenen Positionen, befähige die Partei aber nicht, »in die Debatte wirksam zu intervenieren«. Es brauche klare Positionen der Linken zu Palästina. Dafür sei es »auch wichtig, dass man in die Bewegung reingeht und an Demonstrationen teilnimmt und dafür mobilisiert«.

Im Parteitagspapier heißt es, die Partei beteilige sich an »Demonstrationen für den Frieden, gegen Antisemitismus und Rassismus und für eine gerechte Zweistaatenlösung«. Sie organisiere »Veranstaltungen zur Aufklärung über den Krieg und über die Situation in Israel und Palästina«.

Ganz am Ende des ersten Tages wurden diese Ankündigungen noch mit etwas Leben erfüllt: Einstimmig beschlossen die Delegierten einen Entschließungsantrag, dem zufolge die Partei sich eine Petition eines Bündnisses von 30 Nichtregierungsorganisationen um Amnesty International, Pax Christi und Medico International zu eigen machen und für sie werben will. Darin werden ein Stopp der Waffenexporte an Israel, ein »gerechter Frieden in Israel und Palästina« und ein wirksamer Schutz der Zivilbevölkerung Gaza gefordert. Das Bündnis hatte am Freitagabend zu einer Demonstration in Berlin aufgerufen, an der sich auch Mitglieder der Linken beteiligten.

Zuvor war die Debatte zum Kompromissantrag vergleichsweise ruhig verlaufen, wenn man den Eklat auf dem Berliner Landesparteitag nach einem Streit um ein Papier gegen »jeden Antisemitismus« eine Woche zuvor als Vergleichsmaßstab nimmt. Dort hatten prominente Delegierte wie die bisherige stellvertretende Bundesvorsitzende Katina Schubert und der frühere Berliner Kultursenator Klaus Lederer einen umfangreichen Antrag zum Thema eingereicht, diesen aber, nachdem andere Delegierte Änderungen daran gefordert hatten, zurückgezogen. Dutzende Delegierte verließen wegen »Verwässerungen« und Entstellungen ihrer Positionen die Zusammenkunft.

Zu Beginn der Debatte in Halle gab es eine Videobotschaft zweier Aktivist*innen der israelisch-palästinensischen Friedensinitiative Standing Together. Sie forderten die Delegierten auf, Druck auf die deutsche Regierung zu machen, die dem Kabinett von Israels Premier Benjamin Netanjahu bisher eine Art Blankoscheck für ihre Kriegführung gebe.

Für erzielten Kompromiss sprach sich auch Ellen Brombacher von der Kommunistischen Plattform aus, die zur Verhandlungsgruppe gehört hatte: »Ich bin froh dass unsere Partei solidarisch mit dem palästinensischen Volk und mit Jüdinnen und Juden ist. Beides gehört zusammen, die Klammer heißt Menschlichkeit.« Zuvor hatte sie deutliche Kritik am Vorgehen der Gruppe um Lederer und Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau auf dem Berliner Parteitag geübt. Sie hätten ihren Antrag zum Kampf gegen Antisemitismus »satzungswidrig im Diskussionsprozess zurückgezogen« und Genossen, die Änderungsanträge stellten, »in den Medien denunziert«. Demgegenüber solle von Halle das Signal ausgehen, dass »wir auch bei Differenzen solidarisch miteinander umgehen«.

Im Parteitagsbeschluss werden »alle Beteiligten« im Nahen Osten aufgefordert, »den Konflikt einzudämmen statt auszuweiten«. »Alle Seiten« seien »für schwere Kriegsverbrechen verantwortlich«. Die Formulierungen sind häufig seltsam subjektlos. So ist von einem »asymmetrischen Krieg ungleicher Beteiligter« die Rede, was sich »auch an den hohen ungleichen Opferzahlen« zeige. Die drei Hamas-Führer, gegen die der Internationale Strafgerichtshof Haftbefehl erlassen habe, seien inzwischen »außergerichtlich hingerichtet« worden, »mit vielen unbeteiligten Opfern«.

Weiter wird das Bemühen des Internationalen Gerichtshofs begrüßt, mit seinen
Eilentscheidungen »einen Genozid zu verhindern«. In einem der mit dem Kompromisspapier abgeräumten früheren Anträge an den Parteitag war verlangt worden, dass Die Linke »Israels Krieg gegen die palästinensische Bevölkerung« als Genozid bezeichnet. Weiter hatten die Antragstellenden von der Antikapitalistische Linken und Berliner Bezirksverbänden verlangt, dass Die Linke sich in ihrer politischen Praxis gegen Antisemitismus nicht auf die Arbeitsdefinition der International Holocaust Remembrance Association (IHRA) berufen solle, sondern auf die Jerusalemer Erklärung namhafter Holocaustforscher.

In einem weiteren Antrag, über den deshalb ebenfalls nicht abgestimmt wurde, hatten Abgeordnete um Ferat Kocak, Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses, gefordert, dass Die Linke »die Praxis« ablehnt, die IHRA-Definition in Kommunen, Behörden und Bundestagsbeschlüssen als verbindlich vorzuschreiben, »um Zugänge zu Räumen und Fördermitteln zu kontrollieren« und »Geheimdienstkontrollen, Personenüberprüfungen und Bekenntniszwänge« zu legitimieren. Der zunehmende Gebrauch der IHRA-Definition »als juristisches Mittel« sei »Einfallstor für autoritäres, staatliches Handeln« und ein Instrument, um »unliebsame Kritik und politischen Protest zu verhindern«.

Im gemeinsamen Papier heißt es, Die Linke könne niemals die Rolle des Antisemitismus ignorieren, »der den mörderischen Terror von Hamas oder Hisbollah antreibt«. Wer »antisemitische Ressentiments« befeuere oder Terror der Hamas relativiere, könne für Die Linke »ebenso wenig Bündnispartner*in sein wie diejenigen, die rassistische, antimuslimische oder antipalästinensische Angriffe und Propaganda gutheißen oder betreiben«.

Zugleich wird in der Resolution die Vorgeschichte der Massaker der Hamas geschildert: jahrzehntelange Entrechtung und damit einhergehende Perspektivlosigkeit der Palästinenser. Die Regierung Benjamin Netanjahus habe den Konflikt durch Forcierung des illegalen Siedlungsbaus im Westjordanland und das Protegieren der Hamas »als Gegner der palästinensischen Autonomiebehörde« zugespitzt.

Betont wird auch: »Das Unrecht der Besatzung der palästinensischen Gebiete ist niemals eine Rechtfertigung für den menschenverachtenden Terror der Hamas – und genauso rechtfertigt der 7. Oktober nicht die Völkerrechtsverbrechen der israelischen Armee in Gaza oder im Libanon.«

Die Linke stehe für gerechten Frieden, unterstütze insbesondere linke Friedensinitiativen und bestehe auf dem Existenzrecht Israels. Die »historische Verantwortung Deutschlands« könne aber »keine bedingungslose Unterstützung der Kriegsführung der ultrarechten Netanyahu-Regierung bedeuten«. Deshalb fordere man von der Bundesregierung einen konsequenten Einsatz für
einen sofortigen Waffenstillstand. Die Linke stehe »für eine friedliche
Zweistaatenlösung in den Grenzen von 1967«.

In einem umfangreichen Forderungskatalog an die Bundesregierung und alle Akteure im Nahen Osten ist auch jene nach Schutz für Palästinenser in Deutschland enthalten, zu der es zuvor einen separaten Antrag gegeben hatte. Geflüchtete aus Gaza und dem Westjordanland müssten »umgehend den Flüchtlingsstatus in Deutschland erhalten und vor Abschiebung geschützt werden«. Die Bundesregierung wird zudem aufgefordert, die aktuelle Praxis des Bundesamtes für Asyl und Flüchtlinge zu beenden, wonach Anträge nicht behandelt werden, weil die Lage in Gaza »zu unübersichtlich« sei.

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