Marzahn: In Berlin sind die Springerstiefel zurück

Querfeminist*innen wollen den antifaschistischen Kampf nach Marzahn tragen. Gewaltbereite Neonazis mobilisierten am Samstag dagegen.

  • Julian Daum
  • Lesedauer: 4 Min.
Teilnehmer einer rechten Demo in Marzahn. Es handelt sich um eine Demonstration gegen eine linke Versammlung unter dem Motto «Patriarchat sterben lassen - Antifaschistisch kämpfen».
Teilnehmer einer rechten Demo in Marzahn. Es handelt sich um eine Demonstration gegen eine linke Versammlung unter dem Motto «Patriarchat sterben lassen - Antifaschistisch kämpfen».

Sie sind wieder da: Fast genau vier Jahre ist es her, dass Neonazis in Berlin zuletzt erfolgreich in Berlin demonstrieren konnten. Damals, zum Tag der Deutschen Einheit 2020, hatte die Kleinpartei »Der III. Weg« 300 Teilnehmer nach Lichtenberg mobilisiert. Am Samstag nun machten sich die Springerstiefel und Bomberjacken auf den Weg nach Marzahn-Hellersdorf: Neonazis hatten in ganz Ostdeutschland mobilisiert, um in der Hauptstadt gegen eine antifaschistische und queerfeministische Demonstration aufzulaufen. Auch aus Sachsen sollten Rechtsextreme anreisen.

Dem Aufruf des Netzwerks »Deutsche Jugend Voran« (DJV) folgten am Ende rund ein Viertel der 400 angekündigten Personen. Laut der Mobilen Beratungsstelle gegen Rechtsextremismus handelt es sich bei der DJV um eine neu gegründete Gruppe von »überwiegend sehr jungen, aktionsorientierten Rechtsextremen.« Auch Logos der rechtsextremen Kleinstpartei »Der III. Weg« waren im Aufzug zu sehen, es wurden Landser- und Reichsflaggen geschwenkt.

Unter »Wir kriegen euch alle«-Rufen und Parolen wie »Bambule! Randale! Rechtsradikale!« marschierte der Zug gegen 16 Uhr auf der Märkischen Allee in Richtung S-Bahn Station Raoul-Wallenberg-Straße, um dort auf die antifaschistische Demonstration zu treffen. Immer wieder zeigten die Rechtsextremen das »White Power«-Zeichen, aus Lautsprechern dröhnte Rammsteins Lied »Mein Land«. Darin heißt es: »Mein Land, mein Land, du bist hier in meinem Land, meine Welle und mein Strand«. Auf ihrem Weg in Richtung der Antifa-Demonstration musste die Polizei eine Geflüchtetenunterkunft schützen.

In der Raoul-Wallenberg-Straße hatten sich zu diesem Zeitpunkt, je nach Angaben von Polizei und Demoleitung, bereits zwischen 1300 und 1500 Menschen versammelt. Ein Bündnis lokaler Antifa-Gruppen hatte dazu aufgerufen, dort Präsenz zu zeigen, um »den Faschos nicht das Spielfeld« in den Kiezen im Osten Berlins zu überlassen, wie eine Rednerin es formulierte. Ausdrücklich richteten sich die Veranstalter*innen auch immer wieder gegen die AfD, die in Marzahn-Hellersdorf seit Jahren Wahlerfolge feiert.

Die Demo-Route führte durch die Hochhaussiedlungen zwischen Raoul-Wallenberg-Straße und Mehrower Allee, wo die Anwohner*innen auf ihren Balkonen immer wieder über Lautsprecher direkt angesprochen wurden. »Wir Kinder aus den Plattenbausiedlungen wollen keine Nazis in unseren Kiezen«, verkündete ein Sprecher und eine weitere fuhr fort: »Wir sind heute hier, weil wir nicht wollen, dass sich 1933 wiederholt.« Die Polizei ließ die Rechtsextremen derweil in weitem Abstand hinter der linken Demonstration laufen.

»Das ist die SA der Grünen«

Während den Antifaschist*innen von einigen Balkonen zugewunken und mit erhobenen Daumen Zustimmung bezeigt wurde, habe mindestens ein Anwohner nach Angaben von Demonstrierenden auch mehrfach den Hitlergruß gezeigt. Die Polizei ließ eine Anfrage hierzu bis Redaktionsschluss unbeantwortet. Am Rande des Demonstrationszugs empörte sich auch ein etwa 60-jähriger Anwohner. Angesprochen auf Rechtsextreme in seinem Kiez sagte er: »Das ist die SA der Grünen.« Gemeint waren damit allerdings die Antifaschist*innen, die seiner Meinung nach alle angriffen, die nicht ihrer Meinung seien. Daher habe er bei den vergangenen Wahlen erstmals AfD gewählt. Eine Gruppe von Rentner*innen beklatschte derweil die Demonstration und freute sich insbesondere über die Anwesenheit von »Omas gegen Rechts«.

Der Polizei gelang es nur bis gegen Ende der beiden Demonstrationen, die Züge vollständig auseinanderzuhalten. Am Rande der Mehrower Allee hätten Gruppen von Neonazis linken Demonstrant*innen aufgelauert. Dabei hätten sie eine Teilnehmerin angegriffen, nachdem diese sich vom Demonstrationszug entfernt hatte. So berichtet es die Demonstrationsleitung. Die Person wurde dabei verletzt, es musste ein Krankenwagen gerufen werden. Die Polizei habe der Betroffenen zuvor nicht gestattet, sich in einer größeren Gruppe zu ihrer eigenen Sicherheit zu entfernen.

DJV mobilisiert seit Sommer gegen LGBTQ

Gerade für queere Menschen hat sich die Bedrohungslage seit dem Sommer weiter verschärft. Mit anderen Gruppen war die DJV den gesamten Sommer über aktiv, um Pride-Paraden und queere Demonstrierende zu bedrohen. So machten ihre Versammlungen in Leipzig, Bautzen und Oranienburg, die sich gegen die dortigen »Christopher-Street-Day«-Demos richteten auch Schlagzeilen in internationalen Medien. Die Gewaltbereitschaft der DJV, von denen viele Mitglieder in Marzahn wohnen, zeigt auch ein Blick ins Berliner Register, wo in den vergangenen Monaten von zahlreichen Bedrohungen durch Neonazigruppen – oft in Kombination mit Raub – berichtet wurde. Insgesamt nimmt die Zahl rechter Straftaten auch in ganz Berlin zu: Bis August zählte die Polizei 111 Straftaten aus dem rechten Spektrum, darunter 49 Körperverletzungen.

Am S-Bahnhof Mehrower Allee soll es während der Abreise vieler Demo-Teilnehmer*innen zu einem Angriff auf einen Mann aus einer Gruppe von etwa 20 Personen heraus gekommen sein. Laut einem Bericht der »Berliner Morgenpost« hätten linke Protestierende auf einen Mann eingetreten. Der Demoleitung war auf Nachfrage zu diesem Vorfall nichts bekannt, die Polizei ließ eine Anfrage bis Redaktionsschluss unbeantwortet.

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