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UN-Weltnaturkonferenz sucht nach Frieden mit der Natur
Zentrale Themen beim globalen Artenschutz sind die Umsetzung der 30-Prozent-Ziele und die Finanzierung
Am Montag hat in Cali die 16. Konferenz der Vertragsstaaten der UN-Konvention über biologische Vielfalt begonnen. Mehr als 12 000 Teilnehmer aus aller Welt werden im Laufe der beiden Verhandlungswochen von COP 16 in der kolumbianischen Großstadt erwartet.
Es ist die erste Konferenz nach der Verabschiedung von neuen Zielen für den globalen Artenschutz im Dezember 2022 in Montreal. Demnach sollen 30 Prozent der Land- und der Wasserfläche des Planeten spätestens bis zum Jahr 2030 unter Schutz gestellt werden. »Wir haben erst vor zwei Jahren einen ehrgeizigen Rahmen geschaffen und müssen nun prüfen, ob dieser Rahmen tatsächlich so viel verändert hat, wie die Leute glauben«, sagte die neue Chefin der UN-Biodiversitätskonvention, Astrid Schomaker, mit Blick auf die Cali-Konferenz dem Klimaportal »Carbon Brief«. Aus Sicht der deutschen Diplomatin bedeutet das vor allem: »Wir müssen prüfen, ob diese Verpflichtungen tatsächlich umgesetzt werden.«
Stand heute sieht das eher mau aus: Bislang haben erst 25 Länder und die EU den geforderten »nationalen Artenschutz-Aktionsplan« vorgelegt; die anderen 170 Mitglieder hielten die Frist bis zur Konferenz nicht ein. Dazu gehören auch Deutschland und das Gastgeberland Kolumbien. Schomaker lässt sich davon allerdings nicht beirren und verweist auf die zunehmende Relevanz des Themas in Politik, Medien, Unternehmen und Interessengruppen. »Die Menschen haben erkannt, dass wir eine andere Beziehung zur Natur haben müssen. Sie betrachten die Natur und den Klimawandel zusammen und erkennen, dass wir die Klimakrise nicht lösen können, ohne die Naturkrise zu berücksichtigen.«
Die Konferenz steht denn auch unter dem Motto »Frieden mit der Natur«. Aktuell sieht es allerdings noch weit mehr nach Konflikt aus. Ein Bericht der Umweltorganisation WWF zeigt, dass die durchschnittliche Populationsgröße von Wildtieren in den letzten 50 Jahren um knapp drei Viertel zurückgegangen ist. Der fortschreitende Verlust der biologischen Vielfalt hat auch seit der Verabschiedung der UN-Konvention im Jahr 1993 nicht abgenommen. »Der drastische Rückgang der Wildtierpopulationen ist eine dringende Warnung«, sagt WWF-Expertin Rebecca Shaw. »Wenn die Natur gefährdet ist, wird sie anfälliger für den Klimawandel und rückt näher an regionale Kipppunkte heran. Wenn dies an zu vielen Orten rund um den Globus geschieht, bedroht es die Luft, die wir atmen, das Wasser, das wir trinken, und die Lebensmittel, die wir essen.« Das wäre zudem schlecht für die Wirtschaft, wie selbst das World Economic Forum schon im Jahr 2020 festgestellt hat: Mehr als die Hälfte der globalen Wirtschaftsleistung ist gefährdet, »als Folge der Abhängigkeit von Firmen von der Natur«.
»Der drastische Rückgang der Wildtierpopulationen ist eine dringende Warnung.«
Rebecca Shaw WWF
Geld und der mögliche Beitrag der Wirtschaft werden denn auch ein großes Thema in Kolumbien sein. In Montreal haben sich die Länder darauf geeinigt, 200 Milliarden Dollar für den globalen Artenschutz zu »mobilisieren«. Davon sollen bis nächstes Jahr 20 Milliarden und bis Ende des Jahrzehnts 30 Milliarden aus öffentlichen Mitteln stammen. Damit soll Geld aus der Wirtschaft gehebelt werden, um auf die Gesamtsumme zu kommen. Ein Ansatz, um die erforderlichen Summen und das Potenzial der Wirtschaft zu mobilisieren, sind »Naturgutschriften«, die Artenschutzmaßnahmen lukrativ machen und von Unternehmen bezahlt werden sollen. Die Chefin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, sagte dazu im September: »Wir können einen Markt für die Wiederherstellung unseres Planeten schaffen. Wir müssen all jenen, die Ökosystemleistungen erbringen, Geld zukommen lassen.«
Solche Ansätze werden indes auch kritisch gesehen. Bislang gibt es kaum konkrete Ansätze für eine Bewertung von Naturschutzdienstleistungen. Einige Umweltgruppen warnen zudem vor einer drohenden Inwertsetzung und Finanzialisierung der Natur, die am Ende zu einem Ausverkauf führen könnten. Als Alternative wird gefordert, die viele hundert Milliarden Dollar schweren umweltfeindlichen Subventionen weltweit zu streichen, um genügend Geld für Naturschutzprojekte insbesondere in armen Staaten einzusammeln. Der Abbau von umweltschädlichen Subventionen wie auch die Halbierung des Pestizideinsatzes gehören ebenfalls zu den Beschlüssen aus Montreal.
In Cali soll zudem die Rolle der indigenen Völker und lokalen Gemeinschaften beim Naturschutz gestärkt werden. Diese verwalten rund die Hälfte der globalen Landfläche und mehr als ein Drittel der noch intakten Wälder. Und das mit Erfolg: Die Entwaldung in diesen Gebieten ist geringer als anderswo. Ferner wird es darum gehen, die »Verwaltung« der globalen Artenvielfalt weiter zu verbessern. So müssen verbindliche Systeme zur Messbarkeit erreichter Ziele erst entwickelt werden.
Solche Unklarheiten betreffen auch die Biodiversitätsfinanzierung: Deutschland hat versprochen, dafür 1,5 Milliarden Euro bereitzustellen. Das Umwelt- und das Entwicklungsministerium haben vor wenigen Tagen verkündet, dass die Finanzierung internationaler Projekte im Jahr 2023 auf insgesamt 1,36 Milliarden Euro erhöht worden sei. Umweltverbände wie Greenpeace und Nabu verwiesen in einer gemeinsamen Erklärung darauf, dies sei »aus den Zahlen des Bundeshaushaltes nicht direkt ablesbar«. Man vermutet, dass die Erhöhung großenteils auf eine »geänderte Rechnungslogik« zurückgeht. Offenbar werden einfach Projekte einbezogen, die höchstens einen kleinen Nebeneffekt für die Natur haben. Eine »transparente Darstellung der Anrechnungsmethodik« gehört daher zu den Hauptforderungen der NGO.
Ein heftig umstrittenes Thema ist schließlich die Verteilung der Profite aus der Nutzung der Gene von Tier- und Pflanzenarten, insbesondere durch die Pharmaindustrie. Hier sollen auch die Länder, aus denen diese Tiere und Pflanzen stammen, einen Teil der Einnahmen erhalten. Und vielleicht könnte man diese Mittel dann ja auch für den Artenschutz nutzen, denn: ohne Natur keine Wirtschaft.
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