Frankreich ringt um Pharma-Autonomie

50 Prozent der französischen Sanofi-Tochtergesellschaft gehen an US-Investor CD & R – mit hohen Auflagen

  • Ralph Klingsieck
  • Lesedauer: 4 Min.
Am französischen Produktionsstandort Lisieux kam es in der vergangenen Woche zu Warnstreiks.
Am französischen Produktionsstandort Lisieux kam es in der vergangenen Woche zu Warnstreiks.

So manche frei verkäufliche Schmerztabletten dürfen in keinem französischen Haushalt fehlen. Die grell-gelben Schachteln mit Doliprane sind dort aber mit Abstand der unangefochtene Marktführer. Entsprechend groß war die Empörung, als in der vergangenen Woche die Absicht des größten französischen Pharmakonzerns Sanofi bekannt wurde, 50 Prozent des Doliprane-Produzenten Opella an den US-amerikanischen Investmentfonds CD & R zu verkaufen.

Opella produziert rezeptfreie Medikamente und Nahrungsmittelzusatzstoffe, zählt weltweit 11 000 Beschäftigte und verzeichnete 2023 einen Umsatz von 5,3 Milliarden Euro. Als Sanofi vor Jahren schon einmal versucht hatte, die Tochtergesellschaft zu verkaufen, legten Streiks den Konzern für Wochen lahm. Darum wurde das Vorhaben seinerzeit aufgegeben.

Beim nun zweiten Anlauf beschränkt sich Sanofi auf die Hälfte der Tochtergesellschaft. Verkauft werden soll aber auf jeden Fall, denn der Konzern braucht Geld, um in die Forschung und Entwicklung neuer Medikamente zu investieren. Doliprane ist dagegen ein Produkt der Vergangenheit – auch wenn die Tabletten regelmäßige gute Einnahmen sichern.

An den Produktionsstandorten Lisieux und Compiègne, die jeweils etwa 100 Kilometer westlich beziehungsweise nördlich von Paris liegen, kam es in der vergangenen Woche zu Warnstreiks. Die Beschäftigten und die Gewerkschaften befürchteten, dass der neue Hauptaktionär die Herstellung in ein asiatisches Billiglohnland verfügen und damit mehrere Tausend Arbeitsplätze in Frankreich vernichten könnte.

Die Verbraucherverbände und die linken Oppositionsparteien sehen darüber hinaus auch die Versorgung mit wichtigen Medikamenten gefährdet. Die Covidkrise legte die Engpässe bei Impfstoffen offen. Seitdem kommt es immer häufiger zu Versorgungslücken bei Medikamenten, nicht zuletzt bei lebenswichtigen Mitteln zur Krebsbehandlung. Es wird vermutet, dass die Pharmakonzerne bei der Belieferung die Länder bevorzugen, in denen ihre Gewinnspanne am höchsten ist.

Die Regierung unter Emmanuel Macron veranlasste deswegen bereits zahlreiche französische Unternehmen – oft mithilfe steuerlicher und finanzieller Anreize – die vor Jahren ins billigere Ausland verlegte Produktion nach Frankreich zurückzuholen. Der Staat übernahm hierfür ein Verfahren aus der Rüstungsindustrie. Er nahm in strategisch wichtigen Unternehmen eine Minderheitsbeteiligung auf, um im Aufsichtsrat vertreten und informiert zu sein und Einfluss nehmen zu können. Notfalls sogar mit gesetzgeberischen Mitteln.

Auf dieses Verfahren griff er auch im Fall Sanofi und Doliprane zurück. Das liegt nicht zuletzt an einer gegenwärtig innenpolitisch unsicheren Situation der Mitte-Rechts-Regierung und der daraus resultierenden Notwendigkeit für Premier Michel Barnier und seiner bunt zusammengesetzten Koalition, Konflikte zu vermeiden und Erfolge vorzuweisen.

So handelten am vergangenen Wochenende Wirtschaftsminister Antoine Armand und die am Opella-Geschäft beteiligten Wirtschaftspartner einen Kompromiss aus. Der Staat genehmigte die Übernahme, stellte aber einige Bedingungen. Der US-Fonds kann 50 Prozent der Anteile von Opella übernehmen und Mehrheitsteilhaber werden. Sanofi behält 48 bis 49 Prozent. Der Staat erwirbt seinerseits für 100 bis 200 Millionen Euro ein bis zwei Prozent der Anteile.

Damit durchkreuzten die Verhandlungen auch ein in letzter Minute eingefädeltes Manöver des französischen Investmentfonds PAI Partners. Er wollte sich die Standortdebatte des Geschäfts zunutze machen, machte seine französische Herkunft zum Verkaufsargument und bot darüber hinaus 200 Millionen Euro mehr als CD & R. Doch Sanofi ließ PAI Partners abblitzen und verhandelte weiter ausschließlich mit CD & R. Sanofi und CD & R akzeptierten alle Bedingungen der Regierungsvertreter. Diese sollen vor allem sicherstellen, dass die Produktion und damit die Arbeitsplätze in Frankreich bleiben.

Sollte CD & R Personal abbauen, muss der Investor 100 000 Euro pro Arbeitsplatz bezahlen.

Für den Fall, dass die Zusagen nicht eingehalten werden, drohen empfindliche Geldstrafen. CD & R musste sich verpflichten, die Werke in Lisieux und Compiègne unverändert zu erhalten und dort innerhalb von fünf Jahren 70 Millionen Euro zu investieren. Ferner musste der Käufer der Regierung schriftlich zusichern, hier mindestens fünf Jahre lang auf dem heutigen Niveau zu produzieren.

Falls die Beteiligungsgesellschaft den Betrieb des Werks dennoch unterbrechen sollte, wird eine Strafe von 40 Millionen Euro fällig. Sollte CD & R Personal abbauen, muss der Investor 100 000 Euro pro Arbeitsplatz bezahlen.

Der neue Hauptaktionär musste sich auch verpflichten, Paracetamol bei der französischen Gruppe Seqens zu beziehen. Paracetamol ist der Wirkstoff der Doliprane-Schmerztabletten. Seqens holt dessen Produktion gegenwärtig schrittweise von Asien nach Frankreich zurück.

Dafür entsteht in Roussillon, im Voralpen-Department Isère, für 100 Millionen Euro ein neues Werk. Das wird 2026 in Betrieb genommen. Ziel ist, Paracetamol mit modernen, energiesparenden und umweltverträglichen Methoden zu produzieren und damit künftig ganz Europa zu beliefern. Die effektive Übernahme von Opella soll im zweiten Quartal 2025 erfolgen.

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