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Helfende Hormone
Auch eine gesunde Ernährung kann Risiken der Geschlechtsangleichung gegensteuern
Noch Jahre später fällt es Benjamin* schwer, darüber zu sprechen. »Essen Sie so viel?«, hatte ein psychiatrischer Gutachter die damalige Bettina* gefragt, die ihrem Körperbau nach wie eine Frau aussah, mit kräftigen Oberschenkeln und breiten Hüften. »Nein!«, mehr kam ihr nicht über die Lippen. Schon lange fühlte sie sich in ihrem Körper unwohl. Seit dem 35. Lebensjahr waren die typisch weiblich aussehenden Beine noch dicker geworden. Aufgrund des Übergewichts riet der Psychiater von einer Hormonbehandlung ab. Erst ein zweiter Arzt begann, Bettina zu unterstützen. Nach langer Leidenszeit benannte sie sich in Benjamin um und konnte unter ärztlicher Kontrolle eine Geschlechtsangleichung beginnen.
Diskriminierungen aufgrund von Übergewicht erleben auch Transmenschen. Sie sind meist auf ein Indikationsschreiben angewiesen, bevor die Krankenkasse die Kosten für eine Geschlechtsangleichung übernimmt. Daran ändert auch das neue Selbstbestimmungsgesetz, das am 1. November in Kraft tritt, nicht viel. Es erleichtert aber die rechtliche Transition, etwa eine Namensänderung, wenn ein Geschlechtswechsel gewünscht ist. Transmenschen, wie oft salopp formuliert wird, haben die starke innere Gewissheit, Frau beziehungsweise Mann zu sein, obwohl sie mit den biologischen Körpermerkmalen des anderen Geschlechts geboren wurden. Schätzungsweise betrifft das 0,5 Prozent der Bevölkerung. Weltweit wird eine Zahl von 25 Millionen erwachsenen transidenten Menschen angenommen.
Bekannt war diese Gruppe vermutlich bereits in der Antike, worauf etwa die Metamorphosen des Ovid hinweisen. Jedoch erst in den letzten Jahrzehnten wird es Menschen medizinisch ermöglicht, eine körperliche Angleichung durch Hormongaben zu erreichen. Damit werden Transmenschen, die sich teils als nicht-binär (nicht eindeutig einem von zwei Geschlechtern zugeordnet) bezeichnen, im Alltag häufiger sichtbar. Nun haben auch Ernährungswissenschaftler den Blick auf sie gerichtet.
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Der Prozess der Transition kann Irritationen des Körpers hervorrufen und erhöht bei Transfrauen zum Beispiel das Risiko für eine Thromboembolie, bei der ein Gerinnsel ein Blutgefäß verstopft. Neue Erkenntnisse aus der Hormonbehandlung tragen dazu bei, eine solche Komplikation möglichst zu vermeiden. Körperidentisches Östrogen wird bevorzugt in transdermaler Form gegeben.
Dafür wird ein Gel auf die Haut aufgetragen oder ein Pflaster aufgeklebt. »Orale Östrogene erhöhen im Vergleich zu transdermal applizierten Östrogenen das Thromboserisiko um das Vier- bis Achtfache. Dies gilt für die cis- als auch transweibliche Patientin«, erläutert Susanne Junginger, Fachärztin für Endokrinologie. Sie ist an einem spezialisierten Versorgungszentrum, dem MVZ Endokrinologikum in Hamburg, tätig.
Die zur Schwangerschaftsverhütung benutzte Pille enthält etwa synthetisches Ethinylestradiol, welches ein deutlich höheres Risiko von Thrombosen und Lungenembolien bewirkt. Auch deshalb werde dieses Östrogenderivat in der transweiblichen Hormontherapie nicht eingesetzt, betont die Expertin. Um einer Thrombose vorzubeugen, ist es zusätzlich ratsam, das Rauchen zu reduzieren oder am besten einzustellen.
Bei Transmännern wurde in Studien beobachtet, dass die kontinuierliche Testosterongabe mit einem Anstieg des systolischen Blutdrucks von 4 bis 13 mmHg verbunden ist. In seltenen Fällen kommt es zu einer noch stärkeren Erhöhung. Zur Einordnung: Ohnehin gut die Hälfte der Bevölkerung in Industriestaaten entwickelt in ihrem Leben eine Hypertonie. Ein erhöhtes Risiko für Bluthochdruck ab dem 45. Lebensjahr ergibt sich sowohl für Cis- als auch für Transmänner. Dadurch steigt auch das Risiko für Herzerkrankungen oder einen Schlaganfall.
Zur Prävention von Thrombosen oder Bluthochdruck gehört bei Übergewicht eine Gewichtsreduktion. Dass dies gelingen kann, bezeugt Benjamin einige Jahre nach der Angleichung seiner inneren Identität mit dem äußeren Erscheinungsbild: »Endlich konnte ich mich achtsamer um meinen Körper kümmern und kam auch dem sogenannten Normalgewicht näher als zuvor.« Aber lässt sich für Transmenschen ein besonderer, spezieller Bedarf an Nährstoffen ableiten? Die Frage wurde kürzlich in der Fachzeitschrift »Ernährungs-Umschau« gestellt. Letztlich ging es darum, ob auch Transmänner als typisch maskulin betrachtete Ernährungsweisen an den Tag legen, also etwa mehr Fleisch und Wurst zu essen. Das würde die negativen Effekte auf das Herz-Kreislauf-System mitbegründen. Studien bestätigten diese These aber nicht.
Bei einem Herzinfarkt können die Symptome eines Transmanns typisch weiblich oder die einer Transfrau typisch männlich sein.
Zudem gibt es weitere Kriterien für die Verzehrentscheidung, etwa ökologische, soziale oder ethische. So erzählt Jasper Stegen, der als Peer-Berater der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität arbeitet: »Ich war sieben Jahre Vegetarier und lebe seit dreieinhalb Jahren vegan. Während meiner Geschlechtsangleichung habe ich nicht bemerkt, dass mein Verlangen nach Fleisch gestiegen ist.«
Wichtiger als die Erforschung typisch männlicher Ernährungsweisen bei phänotypisch als Mädchen geborenen Menschen wären grundsätzlich eine gute medizinische Versorgung sowie eine Ernährungsberatung, welche über Risiken aufklärt. Zu beachten wären auch Tatsachen aus der Anatomie, etwa Unterschiede zwischen Frauen- und Männerherzen betreffend. Die Herzen der Frauen sind im Durchschnitt zehn Prozent kleiner als die der Männer. Das Frauenherz schlägt etwa zehnmal häufiger pro Minute. Auch die Herzkranzgefäße sind bei Frauen dünner.
Darüber hinaus haben Östrogene direkten Einfluss auf Arterien und Venen. Die Blutgefäße werden durch das weibliche Hormon elastisch gehalten. Eine regelmäßige Kontrolle des Blutdrucks bei Transmenschen ist auch aus diesem Grund zu empfehlen, wie überhaupt die ärztliche Kontrolle einer gut austarierten, nicht schädlichen Hormondosis die Regel sein sollte. Nicht nur Medizinern sollte bewusst sein, dass etwa bei einem Herzinfarkt die Symptome eines Transmanns typisch weiblich oder die einer Transfrau typisch männlich sein können. Das würde helfen, Fehldiagnosen zu vermeiden.
Bekannt ist auch der Einfluss von Hormonen auf den Knochenstoffwechsel. Eine gute Versorgung mit Vitamin D ist in jedem Fall wichtig. »Eine höhere Einnahme aufgrund der geschlechtsangleichenden Hormontherapie ist nicht notwendig«, konstatiert Jenny Bischoff, Fachärztin für Endokrinologie am Universitätsklinikum Bonn. Sie räumt aber ein: »Eine niedrige Knochenmasse findet sich häufig in Transpersonen vor Einleitung einer Hormonbehandlung, während nach deren Beginn häufig eine Verbesserung zu verzeichnen ist.«
Somit gelten auch für Transmenschen die allgemeinen Nährstoff-Empfehlungen: Für eine gute Knochenstabilität sollten genügend kalziumreiche Lebensmittel verzehrt werden, bei Gemüse vor allem Brokkoli, Grünkohl, Kresse, zudem Saaten wie Sonnenblumenkerne, Mohn und Sesam. Bei Veranlagung für erhöhten Blutdruck können Sellerie, Rote Bete und andere Lebensmittel mit viel Kalium auf den Tisch kommen, darunter Möhren, Kartoffeln, Zwiebeln, Mandeln und Bananen. Ausreichend Bewegung – gern im Freien – hilft dabei, Herz und Knochen gesund zu erhalten.
*Name redaktionell geändert
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