- Gesund leben
- Physiologie
Eklig, aber nützlich
Bis zu anderthalb Liter Schleim produziert unser Körper täglich: als Schmierstoff und Schutz
Ob als Rotz aus der Nase, Auswurf aus der Lunge oder Sekret einer nässenden Wunde: Beim Anblick von Schleim denken viele Menschen: »Igitt!« Doch diese oft unterschätzte Körperflüssigkeit spielt eine entscheidende Rolle für unsere Gesundheit. Sie wirkt als erste Verteidigungslinie gegen Krankheitserreger, Lebensraum für unser Mikrobiom und Förderband für unsere Verdauung, damit alles buchstäblich wie geschmiert läuft.
Schon in der Antike wurde Schleim eine zentrale Rolle zugeschrieben: als einem der vier Körpersäfte neben Blut, schwarzer und gelber Galle, die sich für die Gesundheit im Gleichgewicht befinden sollten. Heutzutage gelten die klebrigen Sekrete eher als ekelerregende Krankheitsträger.
Dabei ist Schleim – oder Mucus – viel mehr als ein Auswurfprodukt des Körpers: Als natürlicher Schmierstoff ist er zum Beispiel fürs Schlucken und die Verdauung von großer Bedeutung, verhindert das Eindringen von Krankheitserregern, schützt etwa die Magenwand vor der Magensäure und beherbergt einen Großteil des menschlichen Mikrobioms in der Darmflora.
Insgesamt produziert der menschliche Körper im Schnitt einen bis eineinhalb Liter Schleim am Tag. Je nach Körperregion variiert die Zusammensetzung der gelartigen Substanz, die hauptsächlich aus Wasser, Proteinen, Antikörpern und Enzymen besteht. Für die Beschaffenheit sind bestimmte Glykoproteine verantwortlich, die sogenannten Mucine. Im Zusammenspiel mit ihrer jeweiligen Umgebung bestimmen sie, ob der Schleim dünnflüssig wie in der Lunge ist oder zäher wie im Magen.
Ebenjene Mucine haben wahrscheinlich unter anderem auch einen großen Anteil daran, gefährliche Keime unschädlich zu machen, die über die Nase versuchen, in den Körper einzudringen. Anders als bislang gedacht wirken die Schleimstoffe dabei womöglich nicht wie eine Barriere – vielmehr könnten die Zuckermoleküle in den Mucinen die Signalübertragung der Keime stören und diese so unschädlich machen.
In einer im Juni dieses Jahres im Fachblatt »ACS Applied Bio Materials« publizierten Studie stellte eine indische Forschungsgruppe eine Mucin-basierte Biotinte für den 3D-Druck von Lungengewebe vor. Eine solche Tinte könnte einmal zur Herstellung von 3D-Lungenmodellen verwendet werden, um Erkrankungen zu untersuchen und mögliche Behandlungen zu testen.
Auch an der Technischen Universität München wird unter Leitung von Oliver Lieleg an medizinischen Anwendungen von Mucinen geforscht, darunter ebenfalls an Biotinte aus Mucinen. Lieleg, der sich schon seit 15 Jahren mit dem Thema beschäftigt, führt das große Potenzial der komplexen Schleimmoleküle auf deren vielfältige Eigenschaften zurück: Diese könnten etwa sehr viel Wasser binden, auf vielen Oberflächen haften, das Anhaften von anderen Objekten an sich aber recht gut unterdrücken. »Es gibt aber auch den umgekehrten Fall: Viren zum Beispiel werden von Mucinen sehr gut gebunden, und das ist Teil der Aufgabe von Mucus, damit wir nicht dauernd mit einer Erkältung im Bett liegen.«
Zudem seien Mucine als körpereigenes Material gut verträglich – eine wichtige Eigenschaft für den möglichen medizinischen Einsatz, zu dem etwa spezielle Beschichtungen für Kontaktlinsen oder Intubationsschläuche gehören. Für diese hat sich Lielegs Team zunutze gemacht, dass Mucine ein gutes Schmiermittel sind: »Kontaktlinsen und Intubationsschläuche sind harte Materialien, die im ungünstigsten Fall auf weichen Geweben Schäden hinterlassen können.« Mucin-basierte Beschichtungen könnten derartige Irritationen minimieren – und im Fall der Kontaktlinsen auch dafür sorgen, dass sich Lipide aus dem Tränenfilm der Augen nicht auf den Linsen absetzen.
Die verwendeten Schleimmoleküle gewinnt Lielegs Gruppe aus Schleim aus Schweinemägen, der verdünnt so lange chemisch gereinigt wird, bis am Ende reines Mucin in einer Zuckerwatte-Konsistenz vorliegt.
Darüber hinaus haben die Forschenden ein Wundheilungspflaster speziell für Verletzungen von Weichgewebe wie der Zunge oder im Darm entwickelt. Der Prototyp enthält eine Seite auf Mucin-Basis, die antibakteriell wirkt und so eine Verkeimung der Wunde verhindert.
Lielig betont: »Ich glaube, wir unterschätzen einfach, wie wichtig Schleim für uns ist.« Ohne Mucine im Tränenfilm würde etwa Blinzeln mit der Zeit schwierig werden. Schleim habe ein viel zu schlechtes Image. »Ich denke, dass viele Menschen nicht wissen, wie wichtig er für unser alltägliches Wohlbefinden ist.« dpa/nd
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.