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Lineares Fernsehen: Sendeschluss!

Mit dem Fernsehen verschwindet nicht nur ein visuelles Medium, sondern auch eine Art zu leben

  • Frank Jöricke
  • Lesedauer: 3 Min.
Fernsehen verbindet – früher jedenfalls.
Fernsehen verbindet – früher jedenfalls.

Es ist schlecht bestellt um die Disziplin. In der Schule sowieso. Jene autoritären Knochen, die ganze Schülergenerationen zum Zittern brachten, sind längst in Rente oder unter der Erde. Auch am Arbeitsplatz versucht man – zumindest offiziell – diese Sekundärtugend zu vermeiden. Wer mit anderen Firmen um Mitarbeiter buhlen muss, beschwört den »Teamspirit«, nicht den Untertanengeist. Ja, sogar bei der Bundeswehr spricht man lieber vom »Staatsbürger in Uniform« als von Kadavergehorsam.

Bei der Freizeitgestaltung hat der Gehorsam erst recht schlechte Karten. Das war mal anders. Noch vor 20 Jahren war das Fernsehen der große Diktator. Dazu brauchte es noch nicht einmal Befehle zu erteilen. Es genügte der bloße Hinweis, an einem bestimmten Tag um eine bestimmte Uhrzeit werde eine bestimmte Sendung laufen – und schon sagten Heerscharen von Menschen ihre Dates ab oder verließen frühzeitig die Kneipe. Die Lieblingsserie zu verpassen, hätte den Tag ruiniert.

Ein solches Verhalten war weniger ungesellig, als es erscheinen mag. Man mochte als Single vor der Flimmerkiste sitzen, doch war man dabei nicht allein. Hunderttausende, häufig Millionen, taten es einem gleich. Fernsehen schauen war ein parallel stattfindendes Kollektiverlebnis. Am nächsten Tag schon würde man sich mit Arbeitskollegen und Freunden über das Gesehene austauschen. Das erklärt den Erfolg von regelmäßigen Sendungen wie der »Harald Schmidt Show«. Es handelte sich um ein Ritual, das davon lebte, dass möglichst viele mitmachten. So brachte das vermeintlich asoziale Fernsehen die Menschen näher.

Zugleich förderte es die Genügsamkeit und Frustrationstoleranz der Zuschauer. Das heute gern praktizierte »Binge Watching«, also Glotzen im Akkord, ist Ausdruck eines Suchtverhaltens. Wie ein Junkie zieht man sich an freien Tagen ganze Staffeln einer Serie nonstop rein. In den Vor-Streaming-Zeiten hingegen musste man seelisch damit klarkommen, dass die aktuelle Folge im spannendsten Moment endete und man erst in einer Woche erfahren würde, wie sich der Cliffhanger auflöste. Das erzog zur Geduld. Man lernte: Sofortige Befriedigung ist nicht immer möglich. Eine Weisheit, die im Zeitalter des totalen Konsums in Vergessenheit zu geraten droht.

Ja, das Fernsehen selbst gerät in Vergessenheit. Bei der Medienauswahl von Teenagern spielt die Glotze kaum noch eine Rolle. Das liegt nicht nur am Programm. Wer mit Youtube, Netflix, Snapchat, Tiktok, Podcasts, Blogs und Vlogs aufgewachsen ist, hat verinnerlicht, dass Inhalte jederzeit abgerufen werden können. Warum also sollte man sich von einer anonymen Instanz, die sich »Fernsehkanal« nennt, vorschreiben lassen, wann man eine bestimmte Sendung zu sehen hat! Wie altmodisch ist das denn! Als würde man auf einer Autobahn Kutsche fahren.

Nein, das Bild passt nicht. Tatsächlich verhält sich das Fernsehen zu sozialen Medien und Streaming-Diensten wie der ländliche ÖPNV zum Individualverkehr. Wir erinnern uns: Solange man auf den Dörfern auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen war, wurden diese ausgiebig genutzt. Dafür nahm man zahlreiche Zwischenstopps und Umwege über entlegene Käffer in Kauf. Doch in dem Augenblick, als sich jeder ein Auto leisten konnte (und sei es nur ein Uralt-Polo, der es mit Ach und Krach durch den TÜV geschafft hatte), sagte man dem Busfahrer Lebewohl.

Dem Fernsehen droht ein ähnliches Schicksal. Es passt nicht mehr zu den heutigen Lebensgewohnheiten. Dagegen helfen keine Reformen, sondern nur das Gegenteil: die museale Aufbereitung. Die konsequente Konservierung des früheren Status quo – Programme wie in den 70ern, 80ern und 90ern. Auf diese Weise möge uns das Fernsehen daran erinnern, wie die Welt einmal aussah! Damals, bevor der digitale Irrsinn über uns hereinbrach.

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