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Paradies abseits der Ozeane

Statt nur an die Karibik- oder Pazifikküste zu reisen, lohnt sich in Costa Rica auch ein Besuch im Zentralen Hochland

  • Wolfgang Scherreiks
  • Lesedauer: 7 Min.
Die Ujarrás-Kirche, die erste Kolonialkirche Costa Ricas, im immergrünen Orosital wurde 1822 durch ein Erdbeben zerstört.
Die Ujarrás-Kirche, die erste Kolonialkirche Costa Ricas, im immergrünen Orosital wurde 1822 durch ein Erdbeben zerstört.

Lange bleibt kein Reisender in San José. In der an Lärm und Abgasen erstickenden Hauptstadt von Costa Rica. Schnell steigt man in den Mietwagen oder Bus, in Richtung eines der beiden Meere. Wir haben anderes im Sinn. Zur Rushhour kriecht unser Taxi zwei Stunden die etwas mehr als 30 Kilometer nach Südosten. Über den ehemaligen Regierungssitz Cartago ins Zentrale Hochland nach Paraíso. Eine 1325 Meter hoch gelegene Kleinstadt. Landwirtschaftlich geprägt. Mit rustikalen Imbissen, Einkaufshallen und schlichten Wohnhäusern bar jeder Eleganz. Dank erträglicher Temperaturen ist sie ein ideales Basislager für Wanderausflüge ins Orosital, zu Kaffeeplantagen und dem Vulkan Irazú.

Mag sein, dass selbst im Paradies Schönheit dem Verfall preisgegeben ist. Klebrig feuchte Schichten nehmen Besitz von den Wänden unseres Bauernhauses in Paraíso. Als strebe das Holz in die Natur zurück. Davon gibt es reichlich um das Domizil am Stadtrand. Mit Garten, sieben Hunden, drei Katzen und einem Papagei. Eines, in dem man Fenster und Türen offen lässt. Wer daran zweifelt, wird bestraft. Als ich den Haustürschlüssel umdrehe, bricht er ab und bleibt im Schloss stecken.

Gastgeber Carlos wohnt ein paar Schritte weiter, macht keine große Sache daraus und bringt einen Ersatzschlüssel. Wichtiger scheint ihm der Fingerzeig zum Guavenbaum: »Ein Bobo, muy bonito.« Bobo steht wie sein anderer Name Motmot lautmalerisch für den Ruf des Vogels. Mit türkisfarbenem Kopf und blattförmiger Schwanzfeder zur Feindabwehr unser erster Paradiesvogel. Ein Morgen in Paraíso startet, wenn so ein Sänger mit Kollegen die Zikaden ablöst, der Nachtregen fortzieht und der Nebel die Berghöhen des Ororsitals freigibt.

Dann schreibe ich auf der Terrasse. Einer der Hunde setzt sich dazu. Der Aufwind trägt den Duft von frischem Blattgrün und Obstgärung. Er steigt aus dem Dickicht der Bananen-, Mango-, Feigen- und Guavenbäume. Auf dem Geländer knabbert ein leuchtend grüner Rosenkäfer an seiner Lieblingsdelikatesse, einem Bananenviertel. Prachtlibellen nehmen Platz, um sich die Flügel unter dem Sonnenlicht zu trocknen.

Oben auf den Stromleitungen streiten sich zwei Papageien, als wir uns auf den Weg machen zum drei Kilometer entfernten Jardín Botánico Lankester. Der Garten gehört der Universität von Costa Rica. Mit seinen 3000 Spezies ist er ein Ort für Fans von Orchideen und Bromelien. Es gilt, Kakteen, Bambushaine und einen japanischen Garten zu entdecken. Auf dem Rundweg spürt man, wie Mikroklimata unsichtbare Grenzen ziehen. Drückt unter Kakteen eine schattenlose Wüstenhitze, kühlt unter den Palmengewächsen ein frischer Luftstrom.

Fantastisch wirkt die Maquenquepalme mit ihren bis zu zwei Meter hohen Wurzelstelzen. Lange Zeit schien der Mythos plausibel, dass sie darauf Dutzende Meter durch den Wald wandert. Sicher ist heute, dass sie einen erstaunlichen Trick beherrscht. Wird ihr Stamm durch andere Bäume umgeworfen, bildet er neue Luftwurzeln. Darauf richtet er sich an einem benachbarten Standort auf. In der Orchideenabteilung wird geforscht, neue Pflanzen in unendlicher Vielfalt kultiviert. Besucher können winzige laborgezüchtete Exemplare in Gläsern mit Nährsubstrat legal erwerben.

Am nächsten Tag führt uns ein Abstecher entlang der Straße 224 ins immergrüne Orosital zu den Ruinas de Ujarrás. Der Weg ist gesäumt von Chayote-Plantagen. Das Gemüse, das schon von Indigenen angebaut wurde und gekocht leicht nach Kohlrabi schmeckt, hängt wie Kürbisse an niedrigen Holzzäunen.

Unter grauem Wolkenhimmel treten wir zwischen bewachsene Mauerreste der ersten Kolonialkirche. Der von friedlichen Gärten umringte Ort kannte andere Zeiten. 1666 kamen englische Piraten auf Beutezug vorbei. Die Legende behauptet, dass die Jungfrau Maria selbst sie mit einem Heer von 600 Mann vertrieb. 1822 zerstörte ein Erdbeben die Kirche. Nach einer Flut wurde Ujarrás verlassen. Die widerständigen indigenen Hueteras wurden geschlagen. Aber das ersehnte Gold der Costa Rica, der »reichen Küste«, haben die spanischen Konquistadoren nie gefunden.

Zum Gold des Landes wurde stattdessen der Kaffee. Vom zentralen Park in Paraíso sind es nur wenige Autominuten zur Finca Cristina. Dort baut das kanadische Paar Linda Moyher und Ernesto Carman erfreulicherweise Bio-Kaffee an. Erfreulich, weil das Paradies Widersprüche kennt. Zwar gilt Costa Rica als Vorreiter beim Naturschutz und Öko-Tourismus. Gleichzeitig zählt das Land zu den Staaten mit dem höchsten Verbrauch von Pestiziden auf Plantagen.

Auf der Finca Cristina wird komplett auf Pestizide verzichtet. Deswegen finden auch Hunderte Vogel- und Schmetterlingsarten hier Zuflucht. Hinzu kommen Reptilien und Amphibien. Ein Drittel des Areals ist Naturschutzgebiet. Statt in Reih und Glied geordneten Monokulturen, wachsen die Kaffeesträucher der Kanadier unter einem Dschungel aus Korallenbäumen und Bananenstauden. Es ist geradezu eine Wohltat, mittendrin zu stehen, wenn ein leichter Regen fällt.

Doch die Natur ist aus dem Takt geraten, erzählt Plantagenbesitzerin Linda. Es würden »merkwürdige Dinge passieren«, sagt die Frau, die das Grundstück seit bald vier Dekaden bewirtschaftet. »Es regnet oder es ist zu warm. Blätter wachsen größer als üblich.« Neu ist auch, dass Sträucher das ganze Jahr über Früchte ausbilden. Wirtschaftlich ist das nicht. Denn die Erntehelfer aus Nicaragua arbeiten saisonal. »Niemand kommt, um ein paar Früchte zu ernten«, sagt Linda. Außerdem greifen Schädlinge die Pflanzen immer häufiger an. Die Zukunft des Kaffees sieht sie pessimistisch: »Ich werde noch mit Kaffee leben. Die Generation nach uns vielleicht nicht. Das ist der Klimawandel.«

Hauptbedrohung ist der weltweit grassierende Kaffeerost. Ein Pilz, gegen den noch kein rechtes Mittel gefunden wurde. Deswegen wird mit hybriden Pflanzen experimentiert. Lindas Mann Ernesto sitzt an einem Tisch vor Kaffeesetzlingen. Mit einem Messer und einer Klammer pfropft er mit ruhiger Hand Arabica- auf Robusta-Triebe. Die Robustawurzel ist widerständiger gegen Schädlinge. Später wird der obere Teil der Pflanze nach wie vor Arabicabohnen produzieren. »Die Veredelung klappt in 95 Prozent aller Fälle. Man braucht nur ein wenig Übung, um die Schnitte richtig hinzubekommen«, sagt der Kanadier.

Nach der Ernte trennt eine Maschine die rote Schale und das Fleisch von der Bohne. »Von einer Sechs-Kilo-Ernte verbleibt am Ende ein Kilo Bohnen«, erklärt Ernesto. »Der Rest wird entsorgt.« Damit sich das verbleibende Wasser löst, werden die Bohnen anschließend im Freien getrocknet. Die letzte Pergamenthaut auf den Samen wird kurz vor dem Rösten entfernt. Je länger bei höherer Temperatur geröstet wird, desto dunkler wird der Kaffee. Säure- und Koffeingehalt nehmen ab.

Wer Kaffee von der Bioplantage mitnehmen möchte, kann noch vor Ort probieren, um die richtige Sorte zu finden. Während sich die grüne, leichte Röstung mit ihrer fruchtigen Säure als Fall für hartgesottene Profiverkoster erweist, machen wir mit der dunklen aromatischen Röstung nichts falsch.

Zum buchstäblichen Höhepunkt unserer Reise fahren wir frühmorgens im Auto eine gute Stunde auf den 3432 Meter hohen Vulkan Irazú. Den »grollenden Berg«, wie ihn die Indigenen nannten. Der aktive Schichtvulkan spie 1963 zum letzten Mal Feuer. Erst auf den fünfhundert Metern vom Parkplatz zum Hauptkrater realisiert der Körper den soeben zurückgelegten Höhenunterschied. Eine dünne Luft drückt auf die Stirn. Der Schritt verlangsamt sich. Dafür gibt es viel zu sehen: Auf dem Weg hängt die Wolkendecke tief. Es öffnen sich immer neue Landschaftsausschnitte auf die Täler und Nebelwälder unterhalb.

Die auf Asche und schwarzem Sand aufgeforstete Vegetation, die sich mit natürlichem Wald mischt, verblüfft mit ihrer Blütenfülle, mit Sträuchern und kleinen Bäumen. Darunter die Gunnera Insignis, eine krautige Riesenpflanze, unter der man sich wie Gulliver im Land Brobdingnag vorkommt. Die rhabarberähnlichen Blätter erreichen einen Durchmesser von bis zu zwei Metern. In Costa Rica heißt sie Sombrilla de pobre, der Regenschirm des armen Mannes. Mitunter soll einem auf den Wanderwegen des Nationalparks Irazú auch der mystische Quetzal begegnen. Indigene geben viel, um einmal im Leben den hübschen Vogel zu sehen. So viel Glück haben wir nicht.

Oben auf dem Plateau wähnt man sich in einer Mondlandschaft. Weiße Nebelformationen ziehen über den Kraterrand, als würde dort das Wetter gemacht. Von oben blickt man 300 Meter in die Tiefe auf einen grünen See. Ein leichter Schwefelgeruch steigt herauf. Später sitzen wir im warmen, schwarzen Sand und schauen uns um. Es ist nicht so, dass auf der Hochebene Playa Hermosa nichts gedeiht. Der Kälte und dem sauren Regen zum Trotz wachsen Eschen und Myrten und die besagte Mammutpflanze.

Bevor wir aufbrechen, erinnern wir uns: Jemand hat Geburtstag. Vielleicht der Autor. Also tanzen wir dort oben noch einen stillen Tango. Hatte man jemals so ein Geschenk? Ein Tanz auf dem Vulkan. Ganz ohne Metapher.

Tipps
  • Allgemeine Informationen:
    visitcostarica.com/de
  • Reisezeit: Mit Klimawandel, den Wetter­phäno­menen des Pazifiks und regio­nalen Unter­schieden ist auf Regen- und Trocken­zeiten kein Verlass mehr. Empfoh­len wird das ganze Jahr außer November.
  • Anreise: Zahlreiche Flug­gesell­schaften starten u. a. von Berlin, Frank­furt oder München zum Juan Santa­maría Inter­natio­nal Air­port, San José (SJO). Die Flug­zeit beträgt etwa 13 Stunden. Bei der Ein­reise erhält man ein Touristen­visum. Voraus­set­zung ist ein Reise­pass, der noch sechs Monate gültig ist. Impfun­gen sind nicht erforder­lich. Das Land lässt sich per Miet­wagen, Bussen und Taxis erkunden.
  • Kosten vor Ort: Costa Rica ist kein güns­tiges Reise­land. Die Lebens­mittel­preise sind ver­gleich­bar mit denen in Deutsch­land. Eine Unter­kunft ist kaum unter 100 Dollar zu haben. Beson­ders Kosmetika und Hygiene­artikel sind teurer – am besten von zu Hause mit­bringen!
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