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Gazastreifen: »Die Leute sind müde und hungrig«
Der Gazastreifen kommt der Unbewohnbarkeit von Tag zu Tag näher
Aus der Ferne wird das gesamte Ausmaß der Zerstörung am Sichtbarsten. Auf Satellitenbildern des Gazastreifens sind ganze Stadtteile verschwunden, in Bergen aus Schutt und Schadstoffen. Das muss man erwähnen, denn irgendwann wird der Krieg vorbei sein und der »Kampf« um den Wiederaufbau beginnen. Bei den Vereinten Nationen liegen gleich mehrere interne Studien vor, die davon ausgehen, dass dieser übervölkerte Landstrich wahrscheinlich unbewohnbar sein wird. Schon vor Kriegsbeginn vor einem Jahr waren höchstens noch zehn Prozent des Grundwassers trinkbar. Der Rest: verseucht durch Abwasser. Und nun kommen die Schadstoffe aus den zerstörten Gebäuden sowie aus der überall im Gazastreifen verteilten Munition hinzu.
Durst, Hunger, das sind auch die aktuell akutesten Probleme der Bevölkerung, die immer wieder vom israelischen Militär zur Flucht aufgefordert wird. Von den ausgefeilten Plänen für »sichere Zonen«, gut ausgestatteten Zeltstädten und ausreichender Versorgung durch Hilfsorganisationen, mit denen die Regierung Netanjahu vor einem Jahr versucht hatte, dem Krieg einen humanitär-sauberen Anstrich zu geben, ist nichts mehr übrig geblieben, ebenso wie von den einst kommunizierten Kriegszielen. Längst können selbst Regierungsmitarbeiter nicht mehr sagen, ob es nun um eine Zerstörung der Hamas einschließlich Errichtung einer anderen Verwaltungsform oder die Befreiung der noch lebenden Geiseln geht. Erst vor Kurzem kam die israelische Rechte, darunter auch mehrere Minister und Parlamentsabgeordnete der Regierungspartei Likud zu einem Treffen zusammen, bei dem erneut die Wiedererrichtung der 2005 geräumten israelischen Siedlungen in Gaza gefordert wurde.
Verteidigungsminister Gallant uneins mit Premier Netanjahu
Die Kritik daran kommt mittlerweile selbst aus dem Verteidigungsministerium: Dessen Minister Joaw Gallant warf Regierungschef Benjamin Netanjahu in einem Brief vor, es fehle »der Kompass« für den Krieg. Man solle sich in Gaza darauf konzentrieren, die Geiseln nach Hause zu bringen und Bedrohungen auszuschalten. Dass er die Hamas, die den Gazastreifen seit 2007 regiert, nicht für zerschlagbar hält, ist seit Monaten bekannt. Und die aktuelle Lage gibt ihm recht.
Trotz der massiven Bombenangriffe, der Bodenoffensive, denen mehrere Zehntausend Menschen zum Opfer fielen, scheinen die Strukturen der Organisation immer noch zu funktionieren, so gut, dass die Hamas vor einigen Tagen bekannt gab, erst einmal keinen Nachfolger für den getöteten Gaza-Chef Jahja Sinwar ernennen zu wollen. Stattdessen solle ein fünfköpfiger Rat die Führung übernehmen, auch über das offiziell in Katar ansässige Politbüro, dessen Führung vakant ist, seit dessen Chef Ismail Hanijeh Ende Juli in Teheran getötet wurde. Dieser Schritt könnte darauf hindeuten, dass es im Politbüro Uneinigkeit über das weitere Vorgehen gibt. Innerhalb der Hamas gibt es durchaus auch Stimmen, die eine Unterstützung für die Zweistaatenlösung signalisieren.
Zudem ist auch der öffentliche Druck auf die Hamas nun gigantisch: Kontakte im Gazastreifen berichten von massiver Kritik am Vorgehen der Hamas, und von Hamas-Funktionären, die auf Dissens mit Gewalt reagieren. »Die Leute sind müde und hungrig«, sagt ein palästinensischer Journalist am Telefon: »Von der politischen Führung erwartet man, dass sie sich bemüht, die Lage zu verbessern.«
Vermittler mit zaghaften Vorschlägen
Doch die Vermittler aus Ägypten und Katar sind mittlerweile vor allem bei ganz kleinen Lösungen angekommen: Am Sonntag schlug der ägyptische Präsident Abdel Fattah Al-Sisi einen zweitägigen Waffenstillstand vor, in dessen Verlauf vier Geiseln und mehrere palästinensische Gefangene freigelassen werden sollen. Außerdem solle die Zeit dazu genutzt werden, um möglichst viele Hilfsgüter in den Gazastreifen einzuführen. Denn auch das bleibt ein großer Streitpunkt: Die Uno wirft Israel vor, Lieferungen zu blockieren. Die Regierung indes behauptet, die Einfuhren liefen reibungslos. Den Statistiken zufolge liegen die Lieferungen aber derzeit bei weniger als einem Fünftel der Einfuhren vor Kriegsausbruch.
Mittlerweile konzentriert sich die israelische Offensive wieder verstärkt auf den Norden des Landstrichs. Rund 400 000 Menschen wurden aufgefordert, in den Süden zu fliehen. Im Norden gilt die Lage als besonders schlecht; so schlecht gar, dass Mitte Oktober selbst US-Präsident Joe Biden in einem Brief an Netanjahu drohte: Entweder er sorge dafür, dass genug Hilfsgüter eingeführt werden. Oder die USA stellen die Waffenlieferungen ein.
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