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Hauptstadtzulage in Berlin: Auch Senatoren nutzen Sorgearbeit
Sozialarbeiter kritisieren den Senat für Kürzungspolitik und fordern die Hauptstadtzulage für freie Träger
»So, ihr Märchenerzähler, jetzt ist mal Feierabend!«, steht auf dem Plakat von Sascha Kraft auf einer Demonstration am Montag in Kreuzberg. »Entweder eure Versprechen aus dem Koalitionsvertrag für die Töchter der CFM und Vivantes werden umgesetzt oder Sascha Kraft mit Kollegen werden ab Januar streiken wie ihr es noch nie erlebt habt! Zieht euch warm an, es wird bitter, bitter kalt! Und wir halten unser Versprechen!«, heißt es weiter.
Kraft demonstriert am Montagabend zusammen mit 100 anderen Menschen, die bei freien Trägern beschäftigt sind, vor dem »Statthaus Böcklerpark« anlässlich eines Bürgerdialogs mit dem Regierenden Bürgermeister Kai Wegner (CDU). Kraft arbeitet bei einer Tochterfirma der Charité. Heute ist er gekommen, weil er gegen die Spaltung bei der Hauptstadtzulage protestiert.
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Zur Erinnerung: Die Hauptstadtzulage ist ein Zuschuss von monatlich 150 Euro, den Beschäftigte wegen hoher Miet- und Lebenshaltungskosten in Berlin seit 2020 vom Senat ausgezahlt bekommen. Er gilt jedoch nur für Landesbeschäftigte und nicht für die schätzungsweise bis zu 100 000 Berliner*innen, die bei freien Trägern angestellt sind. Die Gewerkschaft Verdi und die Tarifgemeinschaft deutscher Länder haben sich im Streit um die Hauptstadtzulage darauf geeinigt, dass dieser Zuschuss tarifiert werden soll und vorerst bis zum 31. März 2028 gilt.
Nach der Einigung über die Tarifierung der Hauptstadtzulage hatte der Senat zugesagt, dass der Zuschuss auch für freie Träger kommen wird. Doch diese Zusage hat der Senat kurz darauf zurückgenommen. Darum sprechen viele Demonstrierende am Montag von nichtgehaltenen Versprechen des Senats. Die Begründung des Finanzsenats lautet, dass man erst das Ergebnis der sogenannten Redaktionsverhandlungen abwarte, die das Tarifergebnis der Landesbeschäftigten aus dem Dezember 2023 umsetzten. Das lässt sich einer parlamentarischen Anfrage der Linksfraktion aus dem Mai 2024 entnehmen.
Zur Demonstration riefen der Solidaritätstreff Soziale Arbeit aus Wedding und Neukölln auf. Außerdem beteiligten sich die Initiative Görli 24/7 und das Verdi-Netzwerk »Freie Träger – Faire Löhne«. Sie alle fordern gleiche Löhne für gleiche Arbeit. Außerdem wollen sie, dass der Senat, statt in die innere und äußere Aufrüstung zu investieren, wie es beim Zaunbau um den Görlitzer Park oder mit dem Bundeswehr-Sondervermögen geschieht, die soziale Arbeit besser finanziert.
Simone Scheffler ist beim Verdi-Netzwerk »Freie Träger – Faire Löhne« aktiv. Sie ist Lehrerin für Humanistische Lebenskunde an einer Grundschule. An ihrer Schule arbeiten circa 70 Beschäftigte. Alle von ihnen bekämen die Hauptstadtzulage, nur sie und eine Sozialarbeiterin nicht, sagt sie. In ihrer Arbeit versuche sie, Schüler*innen zu helfen, einen eigenen moralischen Kompass zu entwickeln. »Und welches fatale Signal setzt die Politik für meine wichtige Arbeit? Versprechen, die gegeben werden, müssen nicht gehalten werden«, sagt Scheffler »nd«. Jede*r Berliner*in, auch die Senator*innen, hätten »zu pflegende Angehörige, nutzen Beratungsangebote, Kinder- und Jugendeinrichtungen«, führt sie aus.
Als »Klassenpolitik« bezeichnet eine Sozialarbeiterin in ihrer Rede die Kürzungspolitik des Senats. »Beziehungsarbeit kann nicht gemessen werden von Menschen, die Managergehälter beziehen, in Parlamenten sitzen und täglich beweisen, dass sie den Bezug zu den Problemlagen der Gesamtgesellschaft längst verloren haben, wenn sie ihn überhaupt jemals hatten«, führt sie aus.
»Auch Senator*innen haben zu pflegende Angehörige, nutzen Beratungsangebote, Kinder- und Jugendeinrichtungen.«
Simone Scheffler Verdi-Gewerkschafterin
Und welches Mittel bleibt den Lohnabhängigen gegen die herrschende Klassenpolitik? Anne Lemke ist Erzieherin in einer landeseigenen Kita, der das Streiken vor wenigen Wochen gerichtlich untersagt wurde. Sie erklärt in ihrer Rede vor dem Statthaus Böcklerpark, dass sie immer mehr Kinder mit »herausforderndem Verhalten« beobachte. Hinzu kämen steigende Sprachbarrieren, weil das Angebot der frühkindlichen Bildung nicht ausreichend finanziert sei. »Wann wird die Politik aufhören, immer nur in vier Jahren Legislaturperiode zu denken?«, fragt Lemke. Sie zitiert Wegners Rede vom diesjährigen 1. Mai. »Die Spaltung, die Rechtspopulisten vorantreiben, die Spaltung, die auch andere Kräfte von innen und außen vorantreiben: Von denen dürfen wir uns nicht beeindrucken lassen, sondern wir müssen auf Zusammenhalt setzen und das geht am besten über einen guten Arbeitsmarkt, über eine solidarische Gesellschaft«, sagte er damals. Laut Lemke finde jedoch mit dem Regierenden Bürgermeister weitere Spaltung statt.
Kai Wegner zieht an der Demonstration am Montag im schwarzen Audi vorbei, um seinen Bürgerdialog zu halten. Das Haus und ein Teil des Parks sind über Stunden hinweg mit Absperrgittern, Polizei und vielen Einsatzfahrzeugen von der Demonstration getrennt. Während der Bürgermeister an den Beschäftigten vorbeirast, machen sie Lärm mit Trillerpfeifen und Kochtöpfen.
Wegner bekräftigt beim Bürgerdialog seine Pläne zur Umzäunung des Görlitzer Parks und nächtlichen Schließlung gegen den Willen des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg. Er spricht auch von weiteren Maßnahmen zur Sicherung des Parks: mehr Licht, mehr Parkpflege, mehr Einsehbarkeit durch Beschneidung von Hecken und Büschen, mehr Angebote für Drogenabhängige und obdachlose Menschen.
Flo Grünbaum von der Initiative Görli 24/7 arbeitet seit zehn Jahren als Sozialarbeiter im Park. »Wenn der Zaun kommt, werden der Drogenverkauf und -konsum nicht aufhören, das Problem wird nur verdrängt«, sagt er. Die meisten Drogenverkäufer, mit denen er während seiner Arbeit spricht, können wegen Asylrechtsbeschränkungen nicht arbeiten, obgleich sie es wollten. Seiner Meinung nach ist die Polizei der kriminellste Akteur im Park. Dies zeige sich zum Beispiel darin, dass sie beim Einziehen von Gegenständen ein Papier aushändigen müsste, um zu belegen, was sie einzieht. »In zehn Jahren habe ich vielleicht zwei Mal so einen Zettel bei Klienten gesehen«, sagt Grünbaum. Für die Initiative Görli 24/7 ist klar: Die fast drei Millionen Euro, die der Zaun mindestens kosten werde, wären besser im Ausbau der sozialen Arbeit angelegt.
Während der Demonstration spricht Wegner beim Bürgerdialog auch über die Hauptstadtzulage. »Wir werden die Hauptstadtzulage, auch wenn ich es wirklich gerne will – und ich weiß auch noch, was ich im Wahlkampf gesagt habe –, angesichts der jetzigen Haushaltslage nicht realisieren.« Den freien Trägern sei über Jahre Sand in die Augen gestreut worden. »Das mache ich nicht mit, ich will auch noch morgen früh in den Spiegel gucken«, so der Bürgermeister. Er könne nicht sagen, die Angestellten freier Träger bekämen die Hauptstadtzulage in dem Wissen, dass es völlig unrealistisch sei. »Wir müssen natürlich gucken: Wie kriegen wir diese Ungerechtigkeit irgendwie abgefedert? Da kann ich Ihnen aber heute noch keine Antwort geben.«
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