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20 Jahre Campact: Ab jetzt auch im Verteidigungsmodus
Die Kampagnen-Organisation tritt für progressive Politik ein und möchte die Demokratie verteidigen
Es waren Erfahrungen aus dem Ausland, die Felix Kolb dazu gebracht haben, eine Organisation zu gründen, in deren Zentrum das Mitmachen steht. In den Jahren 2002 und 2003 war er zum Studium in den USA und erlebte dort, wie die Kampagnenplattform »Move On« Menschen mobilisierte. Ein Anlass damals: der sich abzeichnende Irak-Krieg. »Ich fand die Idee hinter diesem Konzept sofort plausibel: Über das Netz einen Zugang zu Menschen zu bekommen und ihnen die Möglichkeit geben, sich zu engagieren – geil«, sagt Kolb im Rückblick auf diese Zeit. Als er dann wieder zurück in Deutschland war, machte er sich gemeinsam mit Christoph Bautz und Günter Metzges daran, eine Art deutsche Version von zu gründen: Campact.
Vor fast auf den Tag genau zwanzig Jahren erblickte Campact dann das Licht einer sich rasant digitalisierenden Welt. Heute arbeiten für Campact etwa 100 Mitarbeiter, die über das gesamte Bundesgebiet verteilt sind. Auch wenn viele die Organisation der »Berliner Blase« zuordnen, ihre Wurzeln hat sie im niedersächsischen Verden.
»Über das Netz einen Zugang zu Menschen zu bekommen und ihnen die Möglichkeit geben, sich zu engagieren – geil.«
Felix Kolb Geschäftsführender Vorstand und Mitinitiator von Campact
Organisiert ist Campact als eingetragener Verein – und als eine gemeinnützige Stiftung, gegründet, nachdem dem Verein infolge eines heftig umstrittenen Urteils des Bundesfinanzhofs aus dem Jahr 2019 die Gemeinnützigkeit aberkannt worden war. Der Teil der Arbeit von Campact, die ziemlich zweifellos gemeinnützig ist, wird seit dem über die Stiftung abgewickelt.
Finanziert werden die Aktivitäten von Campact über die Spenden seiner Unterstützer, die gemeinsam pro Jahr eine erhebliche Summe aufbringen; von 2019 bis 2023 waren es jährlich zwischen etwa 12 und 17 Millionen Euro.
Verein und Stiftung möchten »für progressive Politik eintreten und unsere Demokratie verteidigen«, so steht es auf der Webseite. Dazu organisiert Campact – maßgeblich gestützt auf E-Mails – politische Kampagnen. Manchmal zu großen Themen wie etwa der Forderung, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk vor Einschnitten zu bewahren, oder der stärkeren Bekämpfung von Femiziden, also der Ermordung von Frauen aufgrund ihres Geschlechts. Manchmal aber auch zu kleineren Themen, die eine größere Metaebene haben. Zu letzterer Kategorie gehört beispielsweise eine Kampagne parallel zu den Landratswahlen in Thüringen im Sommer 2024, als Campact sich nicht nur über das Netz, sondern auch in der analogen Welt mit Plakaten, Anzeigen, Postkarten und der Unterstützung von Demonstrationen dafür eingesetzt hat, dass kein weiterer AfD-Landrat in der Mitte Deutschlands gewählt wird. Dass es dazu nicht gekommen ist, verbucht Campact als einen seiner jüngsten Erfolge.
Eine derartige Einmischung in den Wahlkampf scheint in Deutschland ungewöhnlich und neu, was ein Grund dafür sein mag, dass die Aktionen der Organisation auch zwei Jahrzehnten nach ihrer Gründung alles andere als unumstritten sind. Aus Sicht von Campact allerdings ist diese Art von Intervention nicht nur legitim – sie ist dringend geboten.
Denn die Demokratie in Deutschland sei durch rechtsextreme und rechtspopulistische Kräfte so bedroht sei wie nie zuvor seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Erst vor einigen Monaten habe Campact sein Mission-Statement angepasst und dabei die Verteidigung der Demokratie als Kernziel formuliert. »Das ist für uns schon eine Schwerpunktverlagerung«, sagt Kolb, der heute als einer der geschäftsführenden Vorstände von Campact arbeitet. »Wir können unsere Demokratie nicht mehr als so gesichert erachten wie noch vor einigen Jahren, weil es so starke Angriffe gegen sie gibt, von innen und von außen.«
»Wir können unsere Demokratie nicht mehr als so gesichert erachten wie noch vor einigen Jahren«
Felix Kolb
Damit würden sich allerdings auch ganz neue Fragen für Campact stellen, müsse Campact auch eine ganz neue Balance finden, weil die Organisation nun ein Stück weit auch als Verteidigerin von staatlichen und gesellschaftlichen Institutionen auftreten müsse, die sie in der Vergangenheit ziemlich häufig ziemlich harsch kritisiert hatte. »Es gibt ja viele Punkte, die an unserem System kritisiert werden können«, sagt Kolb. Dies weiterhin zu tun, ohne in eine Fundamentalkritik zu verfallen, sei alles andere als einfach. Beispiel Medien: »Als ich ein junger Mensch war, war Medienkritik ein eher linkes Unterfangen, da ging es um Konzentrationsprozesse, einseitige Berichterstattung, solche Sachen.« Seit von rechts allerdings ein »Lügenpresse«-Diskurs entfacht worden sei, gelte es für Campact, die Medien grundsätzlich zu verteidigen. »Das ist eine ganz große Herausforderung: Einerseits die Grundprinzipien unserer Gesellschaft zu verteidigen, ohne aber andererseits die berechtigte Kritik an bestimmten Zuständen und Institutionen zu unterlassen und damit den Eindruck zu erwecken, alles sei gut, was nicht der Fall ist.«
Den Vorhalt, Campact mische sich auf eine völlig neue Art und Weise in die deutsche Politik ein, den wiederum hält Kolb für ahistorisch – und falsch. In der alten Bundesrepublik beispielsweise sei es völlig normal gewesen, dass die Gewerkschaften zur Wahl der SPD aufgerufen hätten. »Die Arbeitgeber und die Kirchen haben das für die CDU gemacht«, sagt Kolb. Warum also sollte es da etwas Neues oder gar Falsches sein, wenn Campact zur Wahl einer bestimmten Person oder Partei aufrufe – wie Campact das im Bundestagswahlkampf 2021 und im jüngsten Thüringer Landtagswahlkampf getan hat. Auf Bundesebene hatte Campact im Wahlkreis 196 erfolgreich dazu aufgerufen, den dortigen SPD-Bewerber Frank Ullrich zu wählen, um zu verhindern, dass der Ex-Verfassungsschutzpräsident und Rechtsaußen Hans-Georg Maaßen über das dortige CDU-Direktmandat in den Bundestag einzieht. Für die Landtagswahl hatte Campact seine Thüringer Unterstützer dazu animiert, die Grünen zu wählen, in der – letztlich enttäuschten – Hoffnung, der Partei so den Einzug in den Landtag zu sichern.
Zwei Sachen zeigen diese Fälle exemplarisch: Erstens, wie sehr derartige Kampagnen bei vielen Menschen vor Ort oft als Einmischung von außen – »aus Berlin« – in ihren unmittelbaren Lebensbereich wahrgenommen werden, von dem sie glauben, ihn viel besser zu verstehen als andere, Auswärtige, Fachfremde. In beiden Wahlkämpfen hatte es angesichts der Kampagnen heftige Debatten darüber gegeben, ob Campact mit seinen Aktionen nicht genau die stark machen würde, die es verhindern will, weil es deren Anhänger zusätzlich mobilisiere und ihnen vielleicht sogar Unentschlossene zutreibe, die es aus einer Trotzreaktion heraus, »denen in Berlin« zeigen wollen. Dass es so gekommen ist, ist ebenso unbewiesen wie das Gegenteil.
Und zweitens: Gerade in Ostdeutschland könnte Campact in den nächsten Jahren eine noch viel größere Rolle spielen als zuletzt – weil progressiv-politische Akteure wie beispielsweise die Linken, die SPD, die Grünen oder die Gewerkschaften dort in den vergangenen Jahren erheblich an Einfluss verloren haben und sich damit ein Raum öffnet, den es zu füllen gilt, will man ihn nicht rechts außen Kräften überlassen.
In welchem Umfang Campact diesen Raum nutzen wird, ist Kolb zufolge aber noch nicht abschließend entschieden. »Das diskutieren wir«, sagt er. »Was wir uns aber auf jeden Fall vorgenommen haben, ist, dass wir andere Akteure, die in Ostdeutschland ein demokratisches Bollwerk darstellen, unterstützen und nicht im Regen stehen lassen wollen.«
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