- Politik
- El Salvador
El Salvador: Bukele nimmt Ex-Genossen ins Visier
El Salvadors autoritärer Präsident nutzt die Justiz als politische Waffe gegen ehemalige Weggefährten
»Das Urteil über drei Jahre Haft ist angesichts der 16 Jahre Haft, die die Staatsanwaltschaft gefordert hatte, ein Erfolg. El Salvador ist ein Land, in dem die Gerichte nicht mehr unabhängig sind, hier agiert die Justiz immer öfter nach politischen Kriterien.« So schätzt Lourdes Palacios das Urteil des Gerichts gegen Mauricio Ramírez Landaverde ein. Palacios ist Koordinatorin des Komitees für Gefangene und politisch Verfolgte aus El Salvador (Cofappes). Die ehemalige Abgeordnete hat die Gründung der Menschenrechtsorganisation Cofappes mitinitiiert und den über Jahre laufenden Prozess gegen den ehemaligen Justizminister Mauricio Ramírez Landaverde, den Verantwortlichen für die Justizvollzugsanstalten, Marco Tulio Lima, und mehrere Mitangeklagte begleitet.
Präsident Nayib Bukele höchstselbst hatte im Juni 2019 gegen die Angeklagten öffentlich den Vorwurf der Unterschlagung von 14 Millionen US-Dollar bei der Hilfsorganisation »AsoCambio« erhoben. Die Organisation, die das Angebot von Hygienebedarf und anderen Dingen in den Justizvollzugsanstalten des Landes organisiert, wurde damals von Ramírez Landaverde und Tulio Lima geleitet. Beide sowie andere Angeklagte in diesem Fall hatten sich der Justiz gestellt, ihre Unschuld beteuert und waren in Untersuchungshaft gelandet. »Am 16. August, nach zwei Jahren und neun Monaten, wurde ich aus der Untersuchungshaft in den Hausarrest entlassen. De facto habe ich neun Monate illegal im Gefängnis verbracht, denn die maximal zulässige Untersuchungshaft ist auf zwei Jahre begrenzt«, so der Ex-Minister Ramírez Landaverde gegenüber dem »nd«.
Ramírez Landaverde ist froh, dass er nach der langen Haftzeit und dem langwierigen Prozess nun de facto rehabilitiert ist. »Das Gericht hat festgestellt, dass es bei der Verwendung der Ressourcen von AsoCambio keine Unregelmäßigkeiten gab. Das ist ein Erfolg«, so der Ex-Minister nach der Urteilsverkündung. Allerdings hat das Urteil einen schalen Beigeschmack. Ramírez Landaverde wurde zu drei Jahren Haft wegen angeblicher Fehler in der Buchhaltung verurteilt, wofür die Staatsanwaltschaft 16 Jahre Haft für den Ex-Minister verlangt hatte – ohne einen stichhaltigen Beweis vorlegen zu können.
»In El Salvador haben wir spätestens seit dem Mai 2021, als die Verfassungsrichter vom Parlament ausgetauscht wurden, keine unabhängige Justiz mehr. De facto kontrolliert die Politik unter Präsident Nayib Bukele die Exekutive, die Judikative und die Legislative – das ist schädlich für die Demokratie«, kritisiert Ramírez Landaverde gegenüber »nd«. Weshalb Ramírez Landaverde persönlich im Fokus von Präsident Bukele landete, will er nicht kommentieren.
Es gibt wie Ramírez Landaverde eine ganze Reihe von Politikern, Frauen und Männer der ehemaligen Guerilla und späteren Regierungspartei FMLN (Farabundo Martí para la Liberación Nacional), die sich Prozessen, Ermittlungsverfahren und Diffamierungen gegenübersehen. Es wird immer wieder gemutmaßt, dass Nayib Bukele die Partei, für die er einst selbst angetreten ist und bei der er seine ersten politischen Erfahrungen gemacht hat, ausradieren möchte. Die FMLN, die bei den vergangenen Wahlen im Februar 2024 keine Stadtverwaltung mehr gewann und kein Parlamentsmandat mehr erhielt, ist nach etlichen Korruptionsskandalen, aber auch nach den permanenten Attacken des autoritären und medial dauerpräsenten Präsidenten Nayib Bukele in der politischen Bedeutungslosigkeit angelangt. Bukele, der im Februar mit einer Mehrheit von rund 85 Prozent wiedergewählt wurde, auch wenn die Verfassung eine zweite Amtszeit eigentlich verbietet, ist hingegen die politisch alles dominierende Figur in El Salvador.
Für ehemalige Repräsentanten wie Mauricio Ramírez Landaverde ist die Entwicklung in El Salvador unter Bukele ein emotional schmerzhafter Prozess. Deshalb war es für ihn extrem wichtig, mit weißer Weste aus dem Prozess herauszugehen. Dafür hat der ehemalige Justizminister geduldig Interviews gegeben, immer wieder darauf hingewiesen, dass er auf unabhängige Richter hoffe und für die Zukunft des mittelamerikanischen Landes eine unabhängige Justiz für entscheidend halte.
Ramírez Landaverde darf nach seiner Verurteilung zu drei Jahren Haft die nach Abzug der Untersuchungshaft verbleibenden drei Monate mit gemeinnütziger Arbeit verbringen. Unterm Strich bleibt klar, dass er ohne triftigen Beweis verurteilt wurde. Zudem ist, so Lourdes Palacios, vollkommen unklar, ob die Staatsanwaltschaft nicht eventuell noch in Berufung geht. »Dafür bleiben ihr zehn Tage nach der Urteilsverkündung und es gibt durchaus Fälle, wo das schon vorgekommen ist«, so die Cofappes-Koordinatorin. Im Fall Ramírez Landaverde wird sich die Staatsanwaltschaft diese Blöße vermutlich nicht geben. Zu eindeutig ist die Sachlage.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.