»Vor der Revolution muss man zusammenkommen – mindestens«

Heute beginnt die 29. Linke Literaturmesse in Nürnberg – ein Gespräch mit Mitorganisator Raphael Fleischer

  • Hendrik Pachinger
  • Lesedauer: 6 Min.
Linke Buchmesse – »Vor der Revolution muss man zusammenkommen – mindestens«

Die Linke Literaturmesse in Nürnberg ist in ihrer Art in Deutschland ziemlich einzigartig. Verlässlich organisiert und stetig wachsend, wurde sie professioneller und umfangreicher. Oder wie würden Sie die Entwicklung seit ihrer Gründung 1996 beschreiben?

Seit ihren mutigen Anfängen 1996 hat sich die Linke Literaturmesse von einem kleinen Vernetzungstreffen zu einer der bedeutendsten und beständigsten linken Literaturveranstaltungen im deutschsprachigen Raum entwickelt. Die Anzahl der teilnehmenden Verlage hat sich kontinuierlich vergrößert, ebenso das Publikum. In den ersten Jahren ging es darum, der linken Literatur eine Bühne zu geben – heute ist die Messe eine breit vernetzte Plattform, die unterschiedliche linke Strömungen, politische Diskurse und auch internationale Themen zusammenbringt. Durch diese wachsende Vielfalt wurde es auch notwendig, die Organisation professioneller zu gestalten, und so wuchs die Messe gemeinsam mit ihrem Publikum und den Ausstellenden. Wir haben Delegitimierungsversuche überstanden, Corona überlebt und schaffen es weiterhin, extrem günstig mit schlanker Struktur einen Dienst für die linke Debatte jenseits von Szenegrenzen zu tun. Was sich nicht geändert hat: das alles ohne einen Cent bezahlter Tätigkeit.

Begonnen hat alles in den Räumen des »Komm«, des berühmten selbstverwalteten Kommunikationszentrums, damals ein Novum in Bayern. Es wurde 1997 kurz nach der Literaturmesse geräumt und geschlossen. Wie konnte es danach mit der »Litmesse« weitergehen?

Damit umzugehen bedeutete natürlich erst einmal viel organisatorische und politische Arbeit. In der Konsequenz hat sich beides bezahlt gemacht: Wir blieben in den Räumlichkeiten. Es hat sich gezeigt, dass sowohl die Verlage als auch das Publikum und das Vorbereitungskollektiv gelernt haben, Hürden zu meistern und flexibel zu bleiben. So hat sich die Litmesse einen festen Platz in der linken Szene behauptet.

Interview

Raphael Fleischer ist Mitglied des Vorbereitungskollektivs der Linken Literaturmesse in Nürnberg – damit linke Debatte »miteinander stattfinden kann anstatt aneinander vorbei«.

Aus dem »Komm« wurde dann das »Künstlerhaus« in städtischer Regie. Für die notwendige Renovierung des Gebäudes musste man von 2018 bis 2022 umziehen, dieses Mal in ein anderes bekanntes Nürnberger Gebäude, das etwas außerhalb liegt: Das ehemalige AEG-Gelände ist ein Relikt der Nürnberger Industriegeschichte. Seit vergangenem Jahr ist man wieder am alten Ort. Ist das eine Rückkehr zur eigenen autonomen Geschichte?

Es freuen sich tatsächlich nicht wenige der Leute, die von Anfang dabei waren und die nun fast 30 Jahre älter sind, wieder dort zu sein, wo alles begann. Die Rückkehr ins »Künstlerhaus« ist eine symbolträchtige und zugleich auch ambivalente Erfahrung. Einerseits ist es ein Erfolg, dass die Linke Literaturmesse im Herzen der Stadt eine langjährige Heimat gefunden hat und nun wieder findet, was gerade im konservativen Bayern nicht selbstverständlich ist. Andererseits ist uns bewusst: Die Literaturmesse steht stets im Spannungsfeld zwischen städtischem Einfluss, Kommerzialisierung und unserem Bedürfnis nach politischer Autonomie. Gerade angesichts zunehmender staatlicher Repression und Raumentzug für linke Organisationen und Solidaritätsbewegungen, wie etwa der Palästina-Solidarität, bleiben wir wachsam und wehren uns mit allen legitimen Mitteln, damit unser Spielraum nicht kleiner wird.

An drei Tagen kommen ab heute zahlreiche linke Verlage zusammen und präsentieren ein weites Spektrum, das von antiquarischen bis zu neu erschienenen Büchern reicht. Es stehen anarchistische Vertriebe neben den Publikationen der FDJ. Gibt es da nicht auch Reibereien?

Das breite Spektrum an politischen Haltungen, das auf der Messe vertreten ist, spiegelt den Reichtum und die Vielschichtigkeit der linken Bewegung wider. Natürlich gibt es dabei auch unterschiedliche Positionen und manchmal kontroverse Diskussionen – und das ist auch gut so! Diese Vielfalt ist nicht nur erwünscht, sondern notwendig, um den linken Diskurs lebendig zu halten und neue Erkenntnisse zu gewinnen. Gerade durch das Zusammentreffen der verschiedenen linken Positionen entstehen neue Perspektiven und Ideen. Die Linke Literaturmesse versteht sich als Plattform, auf der Austausch, Solidarität und auch konstruktive Auseinandersetzungen möglich sind, ohne dass eine Richtung dominiert. Da die meisten Verlage schon so lange dabei sind, hat sich der respektvolle Umgang mit anderen Positionen auch schon fest etabliert. Darüber sind wir extrem glücklich und damit wird vielleicht auch ein Stück Ideal für die linke Szene Deutschlands vorgelebt.

»Wissen bricht die Ketten der Sklaverei« war ein Leitspruch der sozialistischen Bewegung. Wieso braucht man in den Zeiten der Digitalisierung eine Präsenzmesse mit Printprodukten?

In Zeiten, in denen vieles digital abläuft, ist der persönliche Austausch wichtiger denn je. Eine Präsenzmesse wie die Linke Literaturmesse ermöglicht es, Wissen nicht nur passiv zu konsumieren, sondern gemeinschaftlich zu erleben und wirklich in Kontakt zu kommen. Begegnungen zwischen Leserschaft, Schreibenden und den Verlagen erzeugen einen einzigartigen Austausch, der in der digitalen Welt nur schwer zu reproduzieren ist. Zudem bietet die Messe einen Raum, in dem Bücher greifbar werden und nicht nur auf Bildschirmen erscheinen – etwas, das gerade in der linken Kultur eine tiefere Resonanz hat. Am Ende gilt es ja, dass das Wissen die Menschen ergreifen muss und diese dann ihre Ketten sprengen – und das wird die Menschheit nur gemeinsam schaffen. Dafür muss man für die Revolution zumindest mal zum Austausch vorher zusammenkommen (lacht).

Es gibt auf der Messe auch 65 inhaltliche Veranstaltungen. Auf was dürfen sich Besucher in diesem Jahr freuen?

Wie immer ist das Programm das Spiegelbild der Verlagspublikationen und damit der linken Debatte. Es lesen und diskutieren Evergreens wie Georg Fülberth und Gisela Notz und lokale Newcomer wie Gabi Müller-Ballin. Vom antifaschistischen Kampf, von Feminismus, Ukraine und Nahost über Sanktionspolitik bis hin zum »wilden Leben des Wiglaf Droste« ist da einfach für jeden Geschmack was dabei – und wem dann der Input reicht, der schlendert mal bei den über 60 Ausstellenden vorbei. Wir sind überzeugt, da ist für alle was dabei. Würden wir Eintritt verlangen, wir würden bei Nichtgefallen das Geld zurückerstatten.

Eröffnet wird die Messe hochkarätig am Freitagabend mit einer Diskussion zum Rechtsruck und zur Frage, wie man von links darauf reagieren soll. Was wird hier erwartet?

Wir freuen uns tatsächlich sehr auf diesen starken Auftakt. Wir konnten akademische Reflexion durch den emeritierten Politikprofessor Frank Deppe und durch parlamentarische Perspektiven durch Özlem Demirel, Europa-Abgeordnete der Linkspartei, und die Erfahrung der Straße durch Aktivist Kim Kolja vom Bund der Kommunist*innen Berlin zu einem Podium vereinen. Wenn wir danach alle, wie der mittelalterliche Philosoph Abu Said sagt, von dort, woher wir kommen, uns einen Schritt näher sind, haben wir viel erreicht.

Die Linke Literaturmesse Nürnberg beginnt diesen Freitag und geht bis Sonntagnachmittag im »Künstlerhaus«, Königsstraße 93. Das aktuelle Programm findet sich unter https://www.linke-literaturmesse.org

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