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Joe Biden: Der große Investor
Joe Biden hat einige innenpolitische Vorhaben verwirklicht, trotz des Widerstands auch aus den eigenen Reihen
Auf den Tag 48 Jahre nachdem er in den US-Senat gewählt wurde, endete das nervenaufreibende Warten: Mit seinem Sieg im umkämpften Pennsylvania wurde Joseph R. Biden vor vier Jahren zum Sieger der Präsidentschaftswahlen erklärt. Viele Menschen in den USA und der ganzen Welt atmeten auf. Der Rassist, Sexist und notorische Lügner Donald J. Trump würde das Weiße Haus verlassen müssen. Auch wenn er später noch einen gewaltsamen Putschversuch anzettelte, konnte Biden als 46. Präsident der USA im Januar 2021 seine Arbeit beginnen.
Nun, da die nächste Wahl unmittelbar bevorsteht, lohnt sich eine Bilanz seiner Amtszeit. Außenpolitisch sind der Abzug der US-Truppen aus Afghanistan und die militärische Unterstützung Israels und der Ukraine erwähnenswert. Insbesondere auf Letzteres hätte Biden gern verzichtet. Seine Priorität war neben dem Wettbewerb mit der VR China, der längst wichtiger als die Auseinandersetzung mit Russland geworden ist, der wirtschaftliche Wiederaufbau seines durch Covid gebeutelten Landes.
Anders als Hillary Clinton grenzte Biden sich von den US-Linken um den parteilosen Senator von Vermont, Bernie Sanders, nicht ab. Waren sie in den Vorwahlen noch Konkurrenten, hatte Biden verstanden, dass er deren Unterstützung brauchte, und erarbeitete gemeinsam mit ihnen sein Wahlprogramm. Und nach den Wahlen hielt er Wort. Das Regierungsprogramm würde ihn, »sofern es zur Umsetzung käme, zweifellos zum fortschrittlichsten US-Präsidenten seit Franklin D. Roosevelt machen«, sagte Sanders selbst.
Schon in seiner ersten Rede als Präsident vor dem US-Kongress im April 2021 formulierte er seine als Bidenomics bezeichneten Linie: »My fellow Americans, die ›Trickle-down-Ökonomie‹ hat noch nie funktioniert. Es ist an der Zeit, die Wirtschaft von unten und von der Mittelschicht her wachsen zu lassen.« Diese Absage an die Zauberformel des Neoliberalismus kam durchaus überraschend. Der ehemalige Vizepräsident unter Barack Obama und langjährige Senator Biden war nie als Linker aufgefallen.
Die Wahlen am 5. November 2024 sind für die US-Bürger wie auch den Rest der Welt eine der wichtigsten Richtungsentscheidungen dieser Zeit. »nd« berichtet über die Stimmung und Probleme im Land, über Kandidaten und ihre Visionen. Alle Texte zur US-Wahl finden Sie hier.
Und er startete energisch. Mit dem American Rescue Plan brachte er allein mit den Stimmen der Demokraten ein Rettungspaket von 1,9 Billionen US-Dollar zur Ankurbelung der Konjunktur nach der Pandemie durch den Senat. Es enthielt Direktzahlungen an notleidende Familien, schützte die Arbeitslosen, versorgte die Hungrigen, half Kleinunternehmen und weitete das Impfprogramm massiv aus.
Im November 2021 gelang ihm dann etwas, woran seine Vorgänger stets gescheitert waren. Auch mit Unterstützung von Republikanern wurde beschlossen, 550 Milliarden US-Dollar in die Infrastruktur zu investieren. Die maroden Straßen, Brücken und Schienen werden nun in einem Ausmaß repariert, das es seit Langem nicht mehr gegeben hat. Allein die Investition in den staatlichen Bahnkonzern Amtrak in Höhe von 66 Milliarden US-Dollar wird die größte seit dessen Gründung 1971 sein.
Ab 2022 aber stockte es. Bidens ambitioniertes Programm »Build Back Better« wurde nicht nur von den Republikanern, sondern auch aus den eigenen Reihen torpediert. Zwei eher rechts stehende Demokraten, Joe Manchin aus West-Virginia und Kyrsten Sinema (Arizona), blockierten. In ermüdenden Verhandlungen verhinderten sie eine geplante soziale Maßnahme nach der anderen, weil diese die Staatsverschuldung angeblich zu sehr steigen ließen. Die Steuererleichterungen für Familien mit Kindern liefen aus, was dazu führte, dass sich die Kinderarmut wieder drastisch erhöhte. Die geplante Gebührenfreiheit für Community Colleges und die Ausweitung der Leistungen der Krankenversicherung für ältere Amerikanerinnen und Amerikaner auf Brillen, Hörgeräte und Zahnbehandlungen fielen weg. Und auf der anderen Seite wurden Trumps Steuersenkungen für Reiche, deren Abschaffung die Demokraten im Wahlkampf versprochen hatten, beibehalten.
Als Monate später schließlich die Inflation endgültig außer Kontrolle zu geraten drohte, wurde eine in »Inflation Reduction Act« umbenannte und deutlich geschrumpfte Variante des Gesetzesvorhabens beschlossen. Aber das kostete einen hohen Preis, darunter Steuergeschenke für die Fossilindustrie und die Genehmigung einer Pipeline. Das Gesetz enthielt trotzdem noch bemerkenswerte Vorhaben: 370 Milliarden US-Dollar stellte es für den Kampf gegen den Klimawandel und die Verbesserung der Gesundheitsversorgung bereit. Außerdem legte es einen Mindeststeuersatz von 15 Prozent für Unternehmen fest und stattete die Finanzämter besser aus, um Steuerhinterziehung zu bekämpfen.
Mit der Idee, dass der Staat sich für Investitionen verschulden darf, steht Biden links von der deutschen Bundesregierung.
Da in den USA oft mehreren Zehntausend US-Dollar für ein Universitätsstudium verlangt werden und viele Jugendliche keine reichen Eltern haben, die sich die hohen Gebühren leisten können, sind etliche Amerikanerinnen und Amerikaner hoch verschuldet. Auch dieses Thema packte der Präsident an. Weil ihm diesmal der mehrheitlich konservative Supreme Court erbitterten Widerstand leistete, konnte er schließlich nur 5 Millionen Menschen mehr als 175 Milliarden US-Dollar Schulden erlassen. Der ursprüngliche Plan hätte dreimal so viele Schulden abgebaut.
Als erster Präsident in der US-Geschichte stand Biden persönlich an der Seite von streikenden Arbeiterinnen und Arbeitern während des großen Ausstands in der Automobilindustrie, der zu drastischen Lohnerhöhungen führte. Damit setzte er sich von der gewerkschaftsfeindlichen Haltung seines Vorgängers ab.
Die Wirtschaft wird bei den kommenden Wahlen als das Thema Nummer eins betrachtet. Doch leider stimmen die meisten US-Bürgerinnen und Bürger nicht über die zwei gegensätzlichen Programme ab. Trump will weiter die Steuern für Reiche senken und die Rechte der Gewerkschaften einschränken, die demokratische Kandidatin Kamala Harris will in Fortsetzung der Politik von Biden das Gegenteil. Stattdessen schauen die Menschen, wie es ihnen jetzt, nach vier Jahren Biden-Harris-Administration geht. Und vielen geht es nicht gut. 40 Millionen Menschen in den USA leben in Armut. 60 Prozent der Bevölkerung kommen mit ihrem Einkommen gerade so über die Runden. Für sie sind die wirklich guten Zahlen beim Wirtschaftswachstum, die geringere Arbeitslosigkeit und die sinkende Inflation weit weg von ihrer täglichen Lebensrealität.
Joe Biden ist kein Sozialist, aber er wollte wie Präsident Franklin D. Roosevelt in den 1930ern die übermäßige Ausbeutung der Beschäftigten begrenzen. Beide hatten verstanden, dass der Kapitalismus vor rechtem Autoritarismus nur zu retten ist, wenn die Menschen wieder etwas davon haben und an das alte Versprechen glauben, dass es ihren Kindern einmal besser gehen wird als ihnen selbst. Biden hat viel versucht und einiges erreicht. An etlichen Punkten ist er jedoch auch gescheitert. Manche hat er nicht mal angepackt. Mit der grundsätzlichen Idee, dass der Staat aktiv in die Wirtschaft eingreifen und sich für Investitionen auch verschulden darf, war er jedoch erfolgreich und steht damit links von der deutschen Bundesregierung und ihrer schwarzen Null. Ob dieser Kurs unter Kamala Harris fortgesetzt werden kann, wird sich am 5. November zeigen.
Stefan Liebich leitet das Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung in New York.
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