- Politik
- Krieg in der Ukraine
Van Aken: »Der Wiederaufbau muss jetzt angegangen werden«
Der Linke-Vorsitzende Jan van Aken über seine Reise in die Ukraine
Herr van Aken, Sie waren zwei Tage in der Ukraine. Welche Orte haben Sie besucht und mit wem haben Sie sich getroffen?
Wir waren in Kiew und Butscha. In Butscha trafen wir Vertreter*innen der Stadtverwaltung. Im Anschluss an die Gespräche besuchten wir die Gedenkstätte mit den Namen der Toten vom Massaker. Dies war für alle sehr bewegend. Außerdem schauten wir uns den sogenannten Panzerfriedhof an. In Kiew führten wir viele Gespräche mit Aktivist*innen der Zivilgesellschaft, darunter Gewerkschafter*innen, Linken, einer medizinischen NGO sowie der Organisation SOS OST, die kranke und körperbehinderte Menschen aus den Frontgebieten evakuiert. Auch mit dem deutschen Botschafter und einer UN-Hilfsorganisation haben wir uns getroffen.
Was nehmen Sie aus diesen Begegnungen mit?
Ich bin beeindruckt von dem Engagement vieler Gruppen und Aktivist*innen, die in einer sehr schwierigen Lage Enormes leisten. Zugleich fällt auf, dass sie Aufgaben übernehmen, die eigentlich der Staat übernehmen müsste. Besonders wichtig ist die Unterstützung der Binnenflüchtlinge – rund fünf Millionen Menschen, die in der Ukraine unter teils prekären Bedingungen leben. Gleichzeitig steht millionenfacher Wohnraum leer, weil die Bewohner*innen ins Ausland geflüchtet sind. In manchen Dörfern werden schon Listen von leerstehenden Wohnungen geführt. Hier zeigt sich die Härte des Kapitalismus – Wohnungsnot und gleichzeitiger Leerstand sind in diesem Maßstab unhaltbar.
Der studierte Biologe Jan van Aken arbeitete in den Jahren 2004 bis 2006 als Biowaffeninspekteur für die Vereinten Nationen. Von 2009 bis 2017 war er Außenpolitiker der Linksfraktion im Bundestag. Ab 2022 war van Aken Referent der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Im Oktober 2024 wurde er gemeinsam mit Ines Schwertner zum Parteivorsitzenden der Linke gewählt.
Was geben Ihnen die Menschen als Botschaft mit?
Dass es so viele Möglichkeiten der praktischen Solidarität gibt. In Butscha sagte uns die Stadtverwaltung: »Wir brauchen den sofortigen Wiederaufbau.« Man darf damit nicht warten, bis der Krieg endet.
Ihre ukrainischen Gesprächspartner wussten, dass Sie gegen Waffenlieferungen sind?
Ja, das ist bekannt, und ebenso, dass ich an der Seite der Menschen in der Ukraine stehe. Ich lasse mir nicht die angebliche Alternativlosigkeit aufzwingen: Waffen liefern oder gar nichts tun. Es gibt viele Möglichkeiten des Handelns, die dazwischen liegen.
Zum Beispiel?
Zum einen muss der Wiederaufbau jetzt verstärkt angegangen werden. Zum anderen sollten Sanktionen gegen das Zentrum der Macht in Russland entschlossen umgesetzt werden. Die bisherigen Sanktionen lassen einen an der Ernsthaftigkeit der EU zweifeln. Die Sanktionsforschung zeigt, dass Sanktionen, die immer nur schrittweise erweitert werden, wenig bringen. Das EU-Ölembargo dauerte fast ein Jahr und hat Russland Zeit gegeben, eine Schattenflotte aufzubauen, um trotz des Embargos Öl zu exportieren.
Was meinen Sie mit »Schattenflotte«?
Greenpeace warnt schon lange vor dieser russischen Schattenflotte. Es sind alte, oft marode Tanker, die täglich russisches Öl durch die Ostsee transportieren und weltweit verkaufen. Diese Tanker füllen die Kriegskasse des Kreml direkt, und Deutschland unternimmt nichts dagegen. Ein wirksames Ölembargo müsste auch diese Tanker betreffen. Warum stoppt die Küstenwache nicht jedes Mal eines dieser Schiffe? Wenn ein Auto verkehrsuntauglich ist, wird es ja auch aus dem Verkehr gezogen. Jeder Tropfen Öl, den Russland verkauft, finanziert diesen Krieg. Genauso empörend ist es, dass Deutschland weiter mit Russland im Bereich der Atomenergie kooperiert.
Glauben Sie, dass dieser Krieg durch Verhandlungen beendet werden kann?
Verhandlungen können funktionieren, wenn Verbündete genug Druck ausüben. Besonders China hat hier eine Schlüsselrolle. Auch Indien oder die Brics-Staaten könnten Verhandlungen vorantreiben. Das gemeinsame Papier von China und Brasilien finde ich einen ersten Schritt. Es fordert Russland heraus, das es zuerst ablehnte, und spricht den Westen an: »Hey, lasst uns gemeinsam einen Verhandlungsprozess aufbauen.« Schade, dass der Westen darauf nicht reagierte.
Und wie stehen Sie mit Ihrer Position in Ihrer Partei da?
Ich denke, sehr gut. Meine Haltung – gegen Waffenlieferungen und an der Seite der Menschen in der Ukraine zu stehen – finden viele in der Partei nachvollziehbar. Auch jene, die vielleicht Waffenlieferungen befürworten, sehen, dass die Lage komplexer als ein dafür oder dagegen ist. Die Rückmeldungen, die ich bekomme, sind sehr positiv. Und meine Position steht voll auf dem Boden unseres Grundsatzprogramms.
Welche Perspektiven sehen Sie in der Ukraine für linke Politik?
Die vielen Organisationen, die wir trafen, haben oft sehr progressive Ansätze. Sie haben das Bedürfnis, in einem freien und demokratischen Land zu leben. Das Zusammenstehen und einander helfen verbindet enorm. Teilweise verteidigen Menschen an der Front ihr Land und gehen parallel gegen das bestehende System in Arbeitskämpfe. Das ist schon beeindruckend. Es gibt eine neue Arbeitszeitregelung, die wenig arbeitnehmerfreundlich ist. Ich sehe es als eine linke Aufgabe, jene in der Ukraine zu unterstützen, die sich für gerechte Arbeitsbedingungen einsetzen.
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