In Frankreich regiert der Rotstift

Kabinett von Michel Barnier will bei der Sozialversicherung durch die Absenkung des Krankengelds kräftig sparen

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 4 Min.
Frankreichs Premierminister Michel Barnier präsentiert der Nationalversammlung einen Sparhaushalt.
Frankreichs Premierminister Michel Barnier präsentiert der Nationalversammlung einen Sparhaushalt.

Obwohl der Einnahmenteil des Staatshaushalts für 2025 wegen der vielen Änderungsvorschläge noch nicht vollständig behandelt werden konnte, hat die französische Nationalversammlung parallel dazu bereits die Debatte über das Budget der Sozialversicherung aufgenommen.

Hier hat die Regierung für nächstes Jahr zahlreiche Kürzungen vorgesehen. So beabsichtigt sie etwa, im öffentlichen Dienst die Karenzzeit bei Krankschreibungen von einem auf drei Tage anzuheben. Erst danach soll die Zahlung von Krankengeld einsetzen. Im Privatsektor ist dies längst die Regel. Die Regierung verspricht sich davon Einsparungen von jährlich 289 Millionen Euro. Außerdem soll aber auch am Krankengeld gespart werden, das heute in voller Höhe dem Gehalt entspricht. Künftig sollen es nur noch 90 Prozent sein. Das würde jährlich 900 Millionen Euro bringen.

Doch während diese 90 Prozent im Privatsektor nur für den ersten Monat gelten und danach je nach Betriebszugehörigkeit gestaffelt reduziert werden, sollen im öffentlichen Dienst drei Monate lang 90 Prozent gezahlt werden, anschließend nur noch 50 Prozent. Von dieser Regelung ausgeschlossen sind Langzeitkrankheiten sowie die Folgen von Arbeitsunfällen und Schwangerschaft.

Zur Begründung führt die Regierung an, dass die Fehlzeiten wegen Krankheit in den letzten Jahren bedenklich zugenommen hätten. Während sie sich 2014 auf 43 Millionen Tage summierten, waren es 2022 bereits 77 Millionen Tage. In diesem Jahr erreichten die dadurch verursachten Kosten die »inakzeptable« Höhe von 15 Milliarden Euro, wie das Gesundheitsministerium präzisierte.

Zwei von der Regierung geplante Maßnahmen dürften im Plenum des Parlaments auf starken Widerstand der um ihre Stammwähler besorgten Zentrumsparteien sowie der Republikaner und Rechtsextremisten stoßen. Es handelt sich um den Plan, die Freistellung der Unternehmer von einem Teil der Sozialabgaben abzuschaffen, was Mehreinnahmen von 4 Milliarden Euro pro Jahr bedeuten würde. Viele dieser Oppositionspolitiker und dazu die linke Volksfront wenden sich auch gegen die Absicht der Regierung, die inflationsbedingte Anhebung der Renten vom 1. Januar auf den 1. Juli 2025 zu verschieben, wodurch weitere 4 Milliarden Euro eingespart werden könnten. In der Finanzkommission war dieser Plan quer durch alle Fraktionen fast einstimmig abgelehnt worden.

Ein weiteres brisantes Thema ist die geplante Anhebung des Anteils der Behandlungskosten, die weder von der staatlichen Krankenkasse noch von den privaten Zusatzkassen erstattet werden, sondern vom Patienten zu tragen sind. Heute entfallen 40 Prozent auf die Krankenkasse und 30 Prozent auf die Zusatzkasse – künftig soll es umgekehrt sein. Das wird zur Folge haben, dass die Zusatzkassen ihre Tarife noch einmal spürbar anheben werden. Wie die Gewerkschaften und die Patientenvertretungen warnen, werden noch mehr Franzosen als heute schon auf eine Zusatzversicherung und letztlich nur zu oft auch ganz auf medizinische Behandlung verzichten. Besonders gefährdet seien Arbeitslose, Bauern, Freiberufler, Zeitbeschäftigte und Rentner.

Stark kritisiert wird auch, dass die Verwaltungskosten der Zusatzkassen unverhältnismäßig hoch sind. Während sie bei der Krankenkasse, die mit 80 Prozent ihres Budgets Behandlungskosten erstattet, 7,5 Milliarden Euro betragen, sind es bei den Privatkassen, die nur 13 Prozent für Erstattungen aufwenden, 7,7 Milliarden Euro. Die Gewerkschaften schlagen vor, das System der privaten gewinnorientierten Zusatzkassen aufzugeben. Stattdessen soll als Filiale der obligatorischen staatlichen Krankenkasse eine fakultative Zusatzkasse geschaffen werden.

Ein Schritt in diese Richtung ist die auf Initiative von Präsident Emmanuel Macron geschaffene öffentlich-rechtliche »Solidarkasse«, wo der Beitrag nur 30 Euro im Monat beträgt, während es bei den Privatkassen 100 bis 300 Euro sind. Allerdings können der »Solidarkasse« nur die einkommensschwächsten Franzosen beitreten.

Übrigens gibt es im Elsass und in Lothringen bereits eine Krankenkasse, die alle Behandlungskosten abdeckt. Sie ist ein Erbe der Zeit zwischen 1871 und 1918, als nach dem Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 Elsass und Lothringen zum Deutschen Reich gehörten und hier das von Reichskanzler Bismarck eingeführte Sozialversicherungssystem galt. Heute möchten es die hier lebenden Franzosen nicht mehr missen. Dafür, es auf ganz Frankreich auszudehnen, fehlt aber der politische Wille.

Es ist fraglich, ob die Debatte zur Sozialversicherung wie geplant bis Ende der Woche abgeschlossen wird. Die Regierung dürfte zunächst auf eine Abstimmung in der Nationalversammlung verzichten und den Text an den Senat, die zweite Kammer des Parlaments, weiterleiten, wo es eine rechte Mehrheit gibt. Wenn der Text dort in erster Lesung behandelt wurde, kommt er zurück in die Nationalversammlung zur zweiten Lesung. Wie ein Regierungssprecher erklärte, will Premier Michel Barnier »den bequemeren Weg« vermeiden und nicht den Paragrafen 49.3 nutzen, bei dem die Annahme ohne Abstimmung mit der Vertrauensfrage verbunden wird.

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