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Besonnen und entschlossen
Mit »Krieg« unternahm Bob Woodward eine Bilanz der Präsidentschaft von Joe Biden
Wenn der leitende Redakteur der »Washington Post« zur Feder greift, müssen sich die Politiker, über die er schreibt, warm anziehen. Sein jüngstes Buch »Krieg« handelt von Joe Biden. Auch in diesem eigentlich dem Frieden gewidmeten Buch handelt es sich um investigative Publizistik auf höchstem Niveau. Woodward hat als legendärer Aufklärer der Watergate-Affäre offenbar Zugang zu allen Entscheidungsträgern. Aus seinen unzähligen Interviews und Gesprächen mit Leuten wirft er einen faszinierenden Blick in den Innenraum der Macht und auf die Entscheidungen eines Präsidenten, für den es nach dem Urteil des Autors Erfolge und Misserfolge gab. »Doch meiner Ansicht nach spricht alles dafür, dass Präsident Biden und sein Team bei den künftigen Historikern als Beispiel beständiger und zielgerichteter Führung gelten werden.«
Wer gehört zum Team des Präsidenten in Zeiten der Kriege in der Ukraine und in Israel und Gaza? In erster Linie der Nationale Sicherheitsberater des Präsidenten, Jake Sullivan und sein Stellvertreter Jon Finer, CIA-Direktor Bill Burns, Geheimdienstdirektorin Avril Haines, Außenminister Tony Blinken, Verteidigungsminister Lloyd Austin sowie der ehemalige Generalstabschef der Streitkräfte Mike Milley. Das Erbe der Präsidentschaft von Donald Trump war vergiftet. Der hatte mit den Taliban in Afghanistan den Abzug der Amerikaner verabredet und terminiert, aber nicht vorbereitet. Das musste Biden ausbaden, als sich die Geheimdienstnachrichten verdichteten, dass Russland die Ukraine überfallen würden.
Den Amerikanern waren frühzeitig die kompletten Pläne Putins in die Hände gefallen, die so geheim waren, dass nicht einmal der russische Außenminister Lawrow in sie eingeweiht war. Biden und sein Team gingen damit behutsam um: Sie warnten Wolodymyr Selenskyj in Kiew, der ihnen nicht glaubte. Sie informierten vorsichtig die europäischen Verbündeten, die ihnen – bis auf Großbritannien – nicht glaubten. Sie warnten Russland, indem sie sagten, sie wüssten, was dort geplant wurde. Die Russen leugneten derartige Pläne bis unmittelbar vor ihrem Einmarsch. Danach unterstützte die USA die Ukraine mit Waffen und Geld. Das Ringen um mehr Munition oder auch die geächtete Streumunition für die 155-Millimeter-Geschütze ist ein Beispiel für die Skrupel, die Biden vor seinen Entscheidungen bewegten. Er verhinderte jede als direkte Einmischung in den Krieg zu wertende Unterstützung, um einen Dritten Weltkrieg zu vermeiden. Er handelte besonnen, aber auch entschlossen, als Putin erwog, taktische Atomwaffen in der Ukraine einzusetzen und hielt ihn von diesem verhängnisvollen Schritt ab. Die bis jetzt einigermaßen durchgehaltene Devise Bidens und seines Teams lautet: Die Ukraine unterstützen, aber ultimative »rote Linien« Russlands zu respektieren, um keinen Weltkrieg zu riskieren.
Mitten in die schwierigen Entscheidungen um die Ukraine platzte der Überfall der Hamas auf Israel. Auch hier galt für Biden: Unterstützung durch Waffen und Geld, durch die Entsendung eines Flugzeugträgers, aber auch der Versuch, Israel von einem Präventivschlag gegen die Hisbollah im Libanon abzuhalten, um einen noch größeren Krieg dort zu verhindern. Nicht gelungen ist der Versuch, Israel daran zu hindern, die Zivilbevölkerung in Gaza vor den Folgen der Angriffe gegen die Hamas besser zu schützen. Der Respekt vor der souveränen Entscheidung Israels, in welcher Weise sich das Land gegen die Hamas verteidigen müsse, ging vor. Die diplomatischen Bemühungen bei den arabischen Golfstaaten und Saudi-Arabien, um einen Weg zur Befreiung der Geiseln aus Händen der Hamas zu finden, blieben bis heute erfolglos.
Dem Buch Woodwards kann man immerhin entnehmen, welche Abneigung gegen die Hamas in den arabischen Staaten herrscht, die gleichwohl Solidarität mit den muslimischen Glaubensbrüdern in Gaza heucheln. Das alles und viele weitere Einzelheiten wie zum Beispiel die Bemühungen um die Aufnahme Finnlands und Schwedens in die Nato, das immer hochgefährliche Verhältnis zum Iran oder auch die ambivalente Haltung zum Nato-Partner Türkei erfahren die Leserinnen und Leser in einer glänzend geschriebenen, vielfach mit Quellen belegten Darstellung, die ein anderes Amerika zeigt, einen auf den Weltfrieden bedachten Präsidenten, der alles in Bewegung setzt, um den Verbündeten die notwendige Unterstützung zu gewähren und sie zu friedfertiger Vernunft zu bewegen. Die Intensität dieser Bemühungen ist nach der Lektüre von »Krieg« aller Ehren wert und erlaubt einen Blick auf die Bedeutung des ungewissen Ausgangs der Präsidentschaftswahlen in den USA.
Bob Woodward: Krieg. A. d. Amerik. v. 11 Übersetzerinnen und Übersetzern. Hanser, 480 S., geb., 24 €.
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