- Berlin
- Obdachlosigkeit
Berliner Duschmobil sucht Sozialarbeiterin
Ein Projekt zum Schutz obdachloser Frauen sucht Nachfolge und berichtet von seiner Arbeit
»Gestern hat eine Frau am Leopoldplatz einen Seufzer vor Erleichterung ausgestoßen, als sie aus der Dusche kam«, sagt Rike Lehmbach im Gespräch mit »nd«. Die Sozialarbeiterin fährt seit einem Jahr mit einem Transporter durch Berlins Innenstadt, um obdachlosen Frauen einen Schutzraum zu gewähren, den sie in ihrem Alltag kaum haben.
Ob es das Unwohlsein eines kranken Körpers, das Abwaschen von Schmutz, Schweiß oder schlechten Gefühlen oder einfach nur der kleine Moment des Loslassens ist, bevor man durch den stressigen Alltag hetzt: Jede*r, der Zugang zu einer Dusche hat, weiß, wie wichtig die durchschnittlich 50 bis 150 Liter warmen Wassers sind, die beim Duschen auf den Körper prasseln. Und alle, denen der bedingungslose Zugang zum Duschen fehlt, erst recht.
Unser täglicher Newsletter nd.Kompakt bringt Ordnung in den Nachrichtenwahnsinn. Sie erhalten jeden Tag einen Überblick zu den spannendsten Geschichten aus der Redaktion. Hier das kostenlose Abo holen.
Das Duschmobil fährt seit 2019 durch die Hauptstadt. Das ist in Deutschland einmalig. Getragen wird das Projekt mit seinen zwei Sozialarbeiterinnen, die das Mobil mit einer gewöhnlichen Fahrerlaubnis fahren, vom Verein Sozialdienst katholischer Frauen (SKF). Lehmbach ist eine der Sozialarbeiterinnen, die andere ist Tabea Erkens, für die der SKF eine Nachfolge ab 1. Januar 2025 sucht. Beide Sozialarbeiterinnen beschreiben ihren Job nicht nur als sinnvoll, sondern sprechen auch von guten Arbeitsbedingungen beim katholischen Träger, der sich an den Tarif der Caritas hält.
Am Dienstagmorgen sind die beiden im Duschmobil mit der Bereichsleiterin der Offenen Sozialarbeit des SKF Elke Ihrlich an den Eingang zum Tempelhofer Feld gerollt, nicht nur um Presse und Bezirkspolitik vom Duschmobil zu berichten, sondern auch weil sie hoffen, so öffentlichkeitswirksamer Erkens Stelle zu bewerben. Es sei das erste Mal, dass sie dies tun, sagt Ihrlich zu »nd«.
Wer die Stufen zum Duschmobil hinaufsteigt, findet einen liebevoll eingerichteten Raum vor: Eine Sitzbank, über der eine Lichterkette hängt, lädt zum Verweilen ein. Kekse und Tee stehen bereit, Flyer und Hygieneartikel ebenfalls. Lehmbach zeigt Briefe und ein Foto, die die Wand des Duschmobils schmücken. »Das ist der Hund einer Frau, die uns häufiger besucht«, sagt sie. Auch eine Toilette und ein Waschbecken sind im beheizten Duschmobil vorhanden.
Das Projekt des SKF ist ein sogenanntes Angebot der aufsuchenden sozialen Arbeit. Das bedeutet, dass die Sozialarbeiterinnen dorthin fahren, wo sich die Klientinnen aufhalten. Montags bis sonntags sind das verschiedene Orte in Mitte, Pankow, Kreuzberg-Friedrichshain, Tempelhof-Schöneberg, Neukölln und Charlottenburg. Inspiriert von einem ähnlichen Projekt in Paris habe laut Lehmbach ein privater Spender das Duschmobil selbst ausgebaut und dem Verein zur Verfügung gestellt.
Beim Duschmobil wie auch bei anderen sozialen Angeboten des Sozialdienstes katholischer Frauen sei die Selbstbestimmung wichtig. »Hier hat Frau, so viel Zeit, wie sie braucht«, sagt Lehmbach. Solange keine andere Frau auf eine Dusche warte, können sich die Frauen unbegrenzt entspannen. Der 270-Liter-Tank reiche in der Regel für einen Tag und fünf Duschen. Aufgefüllt wird der Wassertank an einem Campingplatz in der Hochstraße im Ortsteil Gesundbrunnen.
Und wer nutzt das Mobil? In der Regel sind es viele bekannte Gesichter, die Lehmbach und Erkens im Duschmobil treffen. Wann immer eine Frau das Auto betrete, schließe sie nicht nur die Tür hinter sich, um ihre Ruhe von der Außenwelt zu haben, sondern auch eine weitere zum Fahrraum, um für sich ganz allein zu sein. »Es geht hier dann einmal nur um sie«, sagt Lehmbach. Trotz bekannter Gesichter, bemerken die Sozialarbeiterinnen nicht nur, dass die Obdachlosigkeit in Berlin zunehme. Auch wen sie wo in der Hauptstadt auffinden können, habe sich gewandelt.
»Gerade in Neukölln und am Leopoldplatz im Wedding beobachten wir Veränderungen.«
Rike Lehmbach Sozialarbeiterin beim Duschmobil
»Gerade in Neukölln und am Leopoldplatz im Wedding beobachten wir Veränderungen«, sagt Lehmbach auf die Frage, ob die Sicherheitspolitik repressiver geworden sei. Diverse Angebote der aufsuchenden Sozialarbeit berichten, dass Projekte wie die »Reinigungsstreife« entlang der U8 und mehr Polizeikräfte am Leopoldplatz dazu führten, dass die Klient*innen nicht mehr auffindbar sind. »Frauen fühlen sich weniger sicher«, sagt Lehmbach über Verdrängungsmaßnahmen durch Sicherheitskräfte.
Gerade Frauen seien es, die laut den Sozialarbeiterinnen vom Duschmobil weniger sichtbar seien als obdach- und wohnungslose Männer. Lehmbach berichtet, dass sie nicht selten sexuelle Dienstleistungen gegen eine Unterkunft anbieten und sich verdeckter im öffentlichen Raum bewegen, weil sie einem höheren Risiko ausgesetzt sind, sexualisierte Gewalt zu erfahren. Auch ein anderes Gefühl von Scham könnte laut Bereichsleiterin Elke Ihrlich eine Rolle für die geringere Sichtbarkeit von obdachlosen Frauen spielen.
Viele obdachlose Frauen sind Prostituierte. Deshalb steht das Duschmobil jeden Montag für zwei Stunden an der Kurfürstenstraße, ein für Sexarbeit bekannter Ort. Die Frauen waschen und pflegen sich im Auto und nutzen die Gesprächsmöglichkeit mit den Sozialarbeiterinnen. Nicht selten verweisen Lehmbach und Erkens an andere Angebote, zum Beispiel ihr Housing-First-Projekt. »Housing First« ist ein Ansatz der sozialen Arbeit, nach dem viele Probleme von Menschen erst entstehen, wenn sie wohnungslos sind, und demnach auch nur gelöst werden können, wenn Menschen in Wohnraum gebracht werden.
Laut Lehmbach braucht es eine grundsätzliche Aufwertung der sozialen Arbeit, zum Beispiel durch bessere Bezahlung. Das Duschmobil, das in Teilen vom Verein Sozialdienst katholischer Frauen finanziert wird, in Teilen durch private Spenden, ist auch abhängig von der Förderung der Sozialsenatsverwaltung, die diese immer nur für ein Jahr geben kann. Ob sie für 2025 gesichert ist, konnte die zuständige Pressestelle auf eine kurzfristige Anfrage nicht beantworten, auch der Bezirksbürgermeister Martin Hikel (SPD) nicht, wenngleich er gegenüber »nd« von einem »Angebot der Würde« sprach.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.