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Ein Albtraum im November

Der Rassist und verurteilte Straftäter Donald Trump wird erneut US-Präsident

  • Reiner Oschmann
  • Lesedauer: 6 Min.
An der afroamerikanisch geprägten privaten Howard University sitzt der Schock über die Niederlage von Kamala Harris tief.
An der afroamerikanisch geprägten privaten Howard University sitzt der Schock über die Niederlage von Kamala Harris tief.

Was für ein Novembernachtstraum: Donald J. Trump, im offenen, dunklen Wollmantel, weißem Hemd und überlanger roter Krawatte, die Haare frisch gebaut, das Gesicht in festlichem Orange – ein Meter neunzig Entschlossenheit am Zaun des Weißen Hauses. Aufgekratzt rüttelt der Mann an den Gitterstäben des Präsidentenamtes: »Ich will da rein!« Und sein Ruf wird erhört. Welch Albtraum.

Ex-Präsident Donald Trump (Republikanische Partei) hat die US-Wahl gewonnen und wird 47. Präsident. Trump ist wegen der Verschleierung von Wahlkampfspenden ein verurteilter Straftäter und in drei weiteren Strafverfahren angeklagt. Die heutige Vizepräsidentin Kamala Harris (Demokraten), die gehofft hatte, erste Präsidentin der Vereinigten Staaten zu werden, trat am Abend nicht einmal mehr vor ihre Anhänger. Trump erklärte sich derweil sogar noch vor Erreichen der erforderlichen Delegiertenzahl zum Sieger und sagte: »Es ist ein politischer Sieg, wie ihn unser Land noch nie erlebt hat. Das wird das goldene Zeitalter für Amerika.«

Die Wahlumfragen hatten bis zuletzt ein offenes Rennen vorhergesagt, vor allem in den meisten der sogenannten Swing States, jenen Bundesstaaten, die mal zu den Demokraten, mal zu den Republikanern tendieren. Präsident wird bekanntlich nicht, wer die meisten direkten Wählerstimmen holt, sondern die meisten indirekt gewählten Wahlleute, die das Electoral College bilden. Es hat 538 Mitglieder. Für die Präsidentschaft braucht ein Kandidat die einfache Mehrheit, also mindestens 270 Wahlleute. Bei Redaktionsschluss hatte Trump bereits 279 sicher, Harris nur 223 Delegierte.

Der Wahlsieg bereitet Trump die Bühne für einen Rechtsruck

Die Republikaner haben nicht nur bei der Präsidentschaftswahl einen entscheidenden Erfolg erzielt, sondern auch bei der Abstimmung über Sitze im US-Senat. Sie eroberten die bislang von Demokraten gehaltene Mehrheit in der Kongresskammer. Sollten sie außerdem die Mehrheit im Repräsentantenhaus verteidigen können, kann Trump durchregieren. Die Erfolge in der Legislative vergolden den Wahlsieg für die Exekutive. Die Bühne für einen wohl großen politischen Rechtsruck ist bereitet.

USA-Wahl

Die Wahlen am 5. November 2024 sind für die US-Bürger wie auch den Rest der Welt eine der wichtigsten Richtungsentscheidungen dieser Zeit. »nd« berichtet über die Stimmung und Probleme im Land, über Kandidaten und ihre Visionen. Alle Texte zur US-Wahl finden Sie hier.

Was waren, in erster Analyse, Schlüsselfaktoren für Trumps Sieg? Der Ex-Präsident profitierte vor allem vom Frust breiter Bevölkerungsteile über soziales Abgehängt-Sein und Inflation, Migrationszahlen und Angst vor Kriminalität. Laut Gallup-Studie gibt mehr als die Hälfte der Wähler an, ihnen gehe es heute schlechter als vor vier Jahren. Viele beklagen die immer größere Kluft zwischen Arm und Reich. Tatsächlich ist sie in keinem entwickelten Land so obszön wie in den USA. Beispiel: Verdienten Vorstandschefs großer Konzerne Mitte der 1960er im Schnitt 21 mal so viel wie einfache Arbeiter und Angestellte, war dieses Verhältnis 2023 auf groteske 290:1 explodiert.

»Amerika ist am Arsch«

Der Milliardär Trump schöpfte daraus verfängliche Alarmismus-Botschaften: »Amerika ist am Arsch«, »Die Welt steht vor dem Dritten Weltkrieg, wenn ich nicht gewählt werde.« »Wenn ich verliere, erleben die USA ein ökonomisches Blutbad.« Sie sicherten ihm die Unterstützung vieler Wähler, die ihm gerade wirtschaftlich mehr zutrauten als Harris. Bereits 2016 hatte Trump gegen Hillary Clinton gewonnen, weil sich Arbeiter in Michigan, Ohio und Pennsylvania von den oft elitär wirkenden Clinton-Demokraten abgestoßen fühlten und – paradox – in Milliardär Trump ihren Anwalt sahen. Das wiederholte sich jetzt und hat wieder mit einer Fehlwahrnehmung auf Wählerseite zu tun. Trumps Verlogenheit hat viele Gesichter, das verlogenste beschrieb George Monbiot, Kolumnist des »Guardian« so: »Seine größte Leistung ist es, einfache Amerikaner zu überzeugen, er sei einer von ihnen. Was nicht stimmt.«

Eine andere Eigenheit Trumps, die ihn mit zum Sieg trug, besteht darin, seine Anziehungskraft auf Lügen, Beleidigungen und seine Abgebrühtheit zu gründen, selbst widerwärtigste Verfehlungen wie eine Auszeichnung vor sich herzutragen. Damit vergiftet er seit Jahren das gesellschaftspolitische Klima in wie außerhalb der USA. Zugleich ändert dieser Befund nichts daran, dass Millionen US-Amerikaner Trump wie eine Droge konsumieren, von der sie nicht lassen können. Nun wieder.

Make America WHITE Again

Ebenso niederträchtig suchte er, vom Rassismus zu profitieren. Sein »MAGA«-Mantra ist ein Chauvinismus, der mit Make America Great Again nicht zuletzt Make America WHITE Again meint. Der US-Soziologe Richard Sennett sagte dem »Tagesspiegel«, Trumps Einfluss rühre daher, dass er »ein offener Rassist ist. Für viele Amerikaner ist das sehr attraktiv.« Er ergänzt: »Die USA sind eine zutiefst rassistische Gesellschaft. Seit der Bürgerrechtsbewegung der 1960er Jahre wurde das allerdings gebrandmarkt. Viele dachten weiterhin schlecht über Latinos oder Schwarze, hätten das aber öffentlich nicht geäußert. Trumps offener Rassismus hat dazu geführt, dass sich dieses schwelende Übel wieder schamlos Bahn bricht.«

Schwächen aufseiten von Harris haben Trumps Sieg erleichtert. Die couragierte, mitunter über-choreographierte Kampagne der Demokratin litt zuvorderst unter dem fehlenden Vertrauen zu vieler Wähler gegenüber der Wirtschaftspolitik der regierenden Partei. Viele Bürger, die über hohe Lebensmittel-, Benzin-, und Mietkosten stöhnen, misstrauten den nun freundlicher aussehenden Statistiken, hielten Trump für wirtschaftlich kompetenter und teilten vielfach dessen Klagen über den hohen Migrationsdruck an der Grenze zu Mexiko.

Zu Beginn ihrer Kampagne bezog Harris Stärke aus der Optik. Sie wirkte jünger und optimistischer als Noch-Präsident Biden, und sie verbreitete »joy« (Fröhlichkeit). Das war schon mal mehr, als der zerbrechliche Joe zu bieten hatte, bevor er seine Kandidatur aufgab. Sie trat kämpferisch auf, auch beim rechten Sender Fox News. »Ich repräsentiere eine neue Generation von Führungskräften.« Doch ihre Reden waren oft reich an rhetorischen Windbeuteln und arm an Substanz. Erkennbar litt sie unter Erwartungsdruck, weil sie ihre Nominierung Bidens Notausstieg, nicht jedoch einer erfolgreich erkämpften Eigenkandidatur zu danken hatte. Sie scheute zu lange harte Interviews, hatte Horror vor Spontan-Auftritten. Damit schwächelte sie in einer Disziplin, in der Trump – seine Lügen, Schimpf und Schande beiseite – starke Bilder schaffte: ein Instinkt-Tier, das die Fritten-Schaufel bei McDonald’s schwang und in Müllfahrerweste den Lkw bestieg.

Abtreibungsrecht reicht Harris nicht für ausreichend Stimmen

Einem gesellschaftlichen Problem von Brisanz widmete Kamala Harris sich mit vollem Einsatz: Energisch verurteilte die frühere Generalstaatsanwältin die Aufhebung des Bundesrechts zum Schwangerschaftsabbruch. Viele konservative Staaten hatten danach extreme Abtreibungsverbote erließen und das Thema so ins Zentrum der Kampagne katapultiert. Für viele Frauen war es eines der Kernkriterien für ihre Wahlentscheidung. In Harris fanden sie eine überzeugende Anwältin, in Trump und seinem Vize-Kandidaten J.D. Vance zwei Macho-Men.
Wie in Trumps Wahlkampf gegen Hillary Clinton lag auch Harris bei weiblichen, jüngeren und diversen Wählern vorn. Das reichte aber nicht, um Trumps Vorsprung bei anderen Gruppen wettzumachen. In Summe bestätigte sich so die Blässe ihrer Vizepräsidentinnenzeit und eine Überzeugung vieler Demokraten: Ohne Bidens Hängepartie wäre Kamala Harris die Präsidentschaftsnominierung kaum zugefallen.

Trumps Rassismus und Sexismus, seine Justizklagen, die zwei Amtsenthebungsverfahren aus erster Amtszeit, seine Bewunderung für Demokratiefeinde wie Ungarns Präsident Viktor Orbán und Kriegstreiber wie Russlands Präsident Wladimir Putin und nicht zuletzt die Tatsache, dass er als Straftäter schamlos eine weitere Präsidentschaft suchte – all das bestätigt das Sprichwort, der Verlust von Scham sei das erste Anzeichen von Schwachsinn. Aber er ist wieder da. Das wird einer bösen Spitze Urban Priols neue Nahrung geben. »Was grenzt an absolute Dummheit?«, hatte der Kabarettist unlängst mit Blick auf eine etwaige Trump-Rückkehr gefragt und geantwortet: »Mexiko und Kanada«.

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