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Vom Mut, etwas stehen zu lassen

Wie gelingt jüdisch-muslimischer Dialog? Die Berliner Initiativen Jüdisch-Muslimische Salon und »meet2respect« erzählen

Juden und Muslime an einem Tisch
Juden und Muslime an einem Tisch

Wie gelingt es, im Gespräch zu bleiben, wenn Erfahrungen und Erinnerungen einander trennen? Iman Andrea Reimann leitet im Tandem mit einem Rabbiner den »Jüdisch-Muslimischen Salon«. Sie ist Vorstand einer muslimischen Kita in Berlin und Öffentlichkeitsbeauftragte des Deutschen Muslimischen Zentrums (DMZ), in dem sie seit 1996 aktiv ist. Reimann erzählt im Gespräch mit »nd« vom Mut, den es brauche, um den interreligiösen Dialog zu entwickeln.

»Circa vier Wochen nach dem 7. Oktober fand unser regulärer Termin im Salon statt und wir machten ab: Wir hören uns einfach nur mal zu«, sagt Reimann. Der Salon besteht seit 2018 als geschützter Ort, an dem sich eine kleine feste Gruppe monatlich in den Räumlichkeiten des DMZ in Berlin-Moabit trifft. »Jede*r konnte mal berichten«, erzählt Reimann vom Salon-Treffen kurz nach dem Angriff der palästinensischen Hamas auf Israel. »Wie fühlt es sich an, als Vater Sorge zu haben, seine jüdische Tochter zur Schule zu bringen oder in Gaza innerhalb eines Tages mehrere Angehörige zu verlieren?«

Es brauche Mut, sich zu offenbaren, und Mut, um auszuhalten statt in Rechtfertigungszwang zu verfallen, meint Reimann. »Wenn ich Menschen treffe, die anders sind als ich, aus welchen Gründen auch immer, und ich soll von mir erzählen, dann muss ich mich immer etwas bloßstellen«, sagt sie. Sie erzählt auch vom Mut ihrer jüdischen Freund*innen, die nach dem 7. Oktober sagten: »Wir brauchen jetzt erstmal Zeit.«

Einfach nur mal zuhören: Iman Andrea Reimann
Einfach nur mal zuhören: Iman Andrea Reimann

Mut ist es auch, den es laut Reimann braucht, sich in seinen Geschichten zu offenbaren, wenn diese geprägt sind von Krieg und Leid. »Zugewanderte haben hier kein Recht auf Leiden«, sagt die Erzieherin. Von migrantischen Jugendlichen höre sie oft: »Es ist egal, wie sehr ich mich anstrenge. Ausschlaggebend ist am Ende mein Name, mein Aussehen und mein religiöser Hintergrund.« Das demotiviere junge Menschen. Reimann erzählt von Erfahrungen bei Ausflügen des DMZ nach Brandenburg: Dort begegneten im vergangenen Jahr Frauen, die ein Kopftuch tragen, einer im Auto vorbeifahrenden Frau aus dem Nachbarort. »Schade, ich hätte euch gern überfahren«, soll sie ihnen zugerufen haben. Solche Momente erschüttern die muslimische Gemeinschaft enorm, sagt Reimann.

Umso wichtiger seien Räume des Austauschs, in dem man sich als Mensch begegne und nicht nur als Muslima oder Jude. Für Reimann gehört für den jüdisch-muslimischen Dialog dazu, dass diese Räume nicht staatlich verordnet, sondern von den Communities gestaltet und gut moderiert werden. »Tiefe und Vertrauen entsteht in der Gemeinschaft nur, wenn wir auch etwas davon haben, wenn wir unsere eigenen Formate schaffen«, sagt Reimann. Ein »Leuchtturmprojekt« sei in diesem Zusammenhang die »Drei-Religionen-Haus-Kita«. Seit zehn Jahren arbeiten unter anderem eine Rabbinerin, eine Pfarrerin und Iman Andrea Reimann an ihrer Vision für den interreligiösen Lern- und Begegnungsort.

Zu den Trägerorganisationen des Projekts gehört neben dem DMZ der Verein »Masorti« zur Förderung jüdischer Bildung und jüdischen Lebens und der evangelische Kirchenkreisverband für Kindertageseinrichtungen Berlin Mitte-Nord. Man habe sich in der vergangenen Dekade gut kennenlernen und Konflikte austragen können, sagt Reimann. Nun brauche es Geld, auch in Anbetracht der erhöhten Sicherheitsvorkehrungen, um das Projekt noch im kommenden Jahr umzusetzen und die Kita zu eröffnen. Reimann wünscht sich mehr Fürsorge von Bezirk und Senat für solche Art interreligöser Begegnungsräume. »Es gibt so viele leerstehende Flächen in Einkaufszentren oder bezirklich verwaltete Räume«, sagt sie. Viel Potenzial gehe verloren, weil Initiativen in Berlin ständig nach Räumen suchen müssen.

Es geht auch anders

Der tägliche Strom an Nachrichten über Krieg, Armut und Klimakrise bildet selten ab, dass es bereits Lösungsansätze und -ideen, Alternativprojekte und Best-Practice-Beispiele gibt. Wir wollen das ändern. In unserer konstruktiven Rubrik »Es geht auch anders« blicken wir auf Alternativen zum Bestehenden. Denn manche davon gibt es schon, in Dörfern, Hinterhöfen oder anderen Ländern, andere stehen bislang erst auf dem Papier. Aber sie zeigen, dass es auch anders geht.


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Einen offenen Raum schaffen für Begegnung und Erfahrungsaustausch zu jüdischer und muslimischer Religion und Identität will auch das Berliner Projekt »meet2respect«. Das Projekt organisiert Unterrichtsbesuche in Berlin und Brandenburg für den jüdisch-muslimischen Dialog. Genau wie im Salon, findet dieser im Tandem moderiert statt – entweder mit einem Rabbiner und Imam oder mit einer Person, die sich als religiös muslimisch und einer, die sich als religiös jüdisch versteht. Circa 200 Workshops pro Jahr führt das Projekt an Schulen durch. »Seit dem 7. Oktober sind wir auch an Hochschulen aktiv, wo wir Workshops für Lehramtsstudierende durchführen«, sagt Kommunikationsmanagerin des Projekts Lena Bakman.

Treffen mit Respekt: Rabbiner Elias Dray und die muslimische Referentin Seda Colak
Treffen mit Respekt: Rabbiner Elias Dray und die muslimische Referentin Seda Colak

Seit dem 7. Oktober und dem andauernden Gaza-Krieg sei es für das Dialog-Projekt nochmal besonders wichtig geworden, »den Jugendlichen zu verdeutlichen, dass wir den Konflikt als territorialen und nicht als religiösen Konflikt verstehen«, sagt Bakman. Ziel sei es, zu zeigen, dass die oft als unvereinbar geltenden Religionsgemeinschaften in einem Projekt gemeinsam und in freundlicher Weise kooperieren und die Jugendlichen die Fragen stellen können, die sie beschäftigen. Auch schwierige Themen wie den Nahost-Konflikt bearbeite »meet2respect« mit jungen Menschen.

Oft verlaufe der Austausch in den Klassen harmonisch und offen, beschreibt Bakman ihre Arbeit. Für die Jugendlichen sei der Kontakt mit einem Rabbiner oder auch nur mit einem jüdischen Menschen im Unterricht häufig die erste Erfahrung dieser Art. Manchmal komme es jedoch vor, dass insbesondere gegenüber dem jüdischen Referenten Vorbehalte seitens der Jugendlichen da sind oder dass die Tandems »einseitigen Sichtweisen auf den Nahost-Konflikt« begegnen müssen. Das Projekt setzt auf Offenheit und Information für ein »breiteres Verständnis«, sagt Bakman.

»Unser Ziel ist es, durch Offenheit und Information ein umfassenderes Verständnis, auch für diese schwierigen Themen zu fördern.«

Lena Bakman Kommunikationsmanagerin vom Projekt »meet2respect«

Berlin ist eine Stadt, die von Vielfalt geprägt ist, sagt Kommunikationsmanagerin Lena Bakman vom Projekt »meet2respect«. Das zeige sich auch in der großen, sich als muslimisch verstehenden Schüler*innenschaft. Gerade dort sei das Potenzial für interreligiösen Dialog besonders groß. Es müsse darum gehen, die religiösen Gemeinsamkeiten herauszustellen, aber auch Verständnis für beide Glaubensrichtungen zu entwickeln, sagt sie.

Iman Andrea Reimann vom Deutschen Muslimischen Zentrum antwortet auf die Frage, was es brauche, um jüdisch-muslimischen Dialog zu gestalten: »Mut, etwas stehen zu lassen.«

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