- Politik
- Dorffest in Burgholzhausen
Rassismusvorfall mit »L’amour toujours« wird zur Farce
Staatsanwaltschaft stellt Ermittlungen ein, Verein schmäht Hinweisgeber
Im Oktober sorgte ein Video von einem Dorffest in Burgholzhausen im hessischen Hochtaunuskreis für Aufsehen. In der Aufnahme skandierten Partygäste zur Melodie des 2000er-Hits »L’amour toujours« von Gigi D’Agostino die Parole »Ausländer raus«. Diese Kombination wurde zuerst durch einen Vorfall auf Sylt bekannt und führte zu bundesweiter Empörung; auch Bundeskanzler Scholz äußerte sich dazu und nannte das Gegröle »eklig«.
Der auf der Kerb in Burgholzhausen als Lichttechniker tätige Patrick Reitz hat auf der Plattform X Aufnahmen von dem Abend online gestellt. In der Folge nahm der Staatsschutz Ermittlungen auf, die aber nicht zur Anklage gebracht wurden. Laut Staatsanwaltschaft Frankfurt sei der Slogan »Ausländer raus« strafrechtlich nur relevant, »wenn weitere äußere Anzeichen für eine feindselige Gesinnung und/oder die Bereitschaft zu Übergriffen oder Gewalttätigkeiten gegenüber ausländischen Personen« vorlägen. Dies sei nach der Vernehmung von fünf Zeugen, die sich bei der Polizei gemeldet haben, nicht ersichtlich.
Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.
Anfangs hatte der Kerbeverein, der die Veranstaltung jedes Jahr organisiert, die »ausländerfeindlichen und rassistischen Parolen« verurteilt und eine Aufarbeitung versprochen. Davon ist nun nichts mehr zu hören. Stattdessen erhielt Reitz ein Schreiben eines Anwalts aus Düsseldorf, das ihn aufforderte, bis zum 29. Oktober eine Unterlassungserklärung zu unterzeichnen, andernfalls drohe eine Geldstrafe. Außerdem soll er weit über 1000 Euro für »Rechtsverfolgungskosten« an die Kanzlei bezahlen.
In dem Schreiben werden dem 26-Jährigen »wiederholte Falschbehauptungen« vorgeworfen, darunter die Aussage, »L’amour toujours« sei von den zwei DJs mehrfach gespielt worden. Reitz hatte aber in Interviews gesagt, die Gesänge seien wiederholt worden – nicht das Musikstück. Auch die Justiz ist zu diesem Ergebnis gekommen, sagte der zuständige Oberstaatsanwalt Dominik Mies »nd«.
Das Lied sei dann nach Einschätzung der Staatsanwaltschaft »aufgrund der gesungenen Parolen« gestoppt worden. Darauf insistiert auch der Anwalt des Vereins und sagte einer Lokalzeitung, einer der DJs habe, nachdem die Parolen angestimmt wurden, »geistesgegenwärtig« reagiert und das als »Musikdarbietung« bezeichnete Lied »abrupt« gestoppt.
In den von Reitz veröffentlichten Aufnahmen ist das aber nicht zu sehen: In einem der Videos läuft das Lied nach einer Schleife des Refrains fast 20 Sekunden, ohne dass es angehalten wird. Auch dass – wie vom Anwalt des Kerbevereins behauptet – von den über 300 Personen im Zelt »nur eine Handvoll« Anwesende Ausländer-raus-Gesänge angestimmt habe, scheint nach Ansicht der Filmsequenzen, in denen diese Gesänge die laute Musik übertönen, zweifelhaft.
Es stellt sich die Frage, warum die DJs das seit Monaten in der Kritik stehende Lied überhaupt aufgelegt haben. Man habe »nur ein Partylied anstimmen wollen«, zitiert die »Hessenschau« die aus dem Hochtaunus stammenden Männer. Reitz hält das für wenig glaubwürdig: »Wer nicht mitbekommen haben will, dass sich sogar unser Bundeskanzler zu den Vorfällen in Sylt geäußert hat, lebt entweder hinter dem Mond oder versucht sich der Verantwortung zu entledigen«, sagt er dazu gegenüber »nd«.
Reitz sieht in dem Vorgehen des Kerbevereins einen klaren Versuch, ihn als Kritiker mundtot zu machen. Die Unterlassungserklärung hat er nicht unterschrieben, da dies dem Verein ermögliche, ihn als Lügner darzustellen.
Für den zu erwartenden Rechtsstreit hat der Techniker selbst eine Anwaltskanzlei aus Berlin beauftragt und ruft zu Spenden auf. Jeder Überschuss werde an Organisationen gespendet, die sich gegen rechte Hetze einsetzen. Diese Erklärung nimmt der Kerbeverein zum Anlass für eine Schmähung: Über seinen Anwalt lässt er erklären, Reitz wolle mit dem Crowdfunding »Kasse machen«. So steht es in dem Schreiben aus Düsseldorf, das »nd« einsehen konnte.
Aus welchem Grund der Verein die Auseinandersetzung derart eskaliert, lässt sich nicht in Erfahrung bringen; auf eine – allerdings kurzfristige – Anfrage des »nd« antwortete der Vorstand nicht. Auch Bürgermeister Lars Keitel möchte sich nicht zu dem Fall äußern. Er habe jedoch nach dem Vorfall mit dem Kerbeverein und der Polizei gesprochen und Sitzungen von Magistrat und Ausländerbeirat anberaumt.
Die Stadt ziehe aber Konsequenzen, sagt der Grünen-Politiker, und werde etwa die Verwaltung schulen, um derartige Situationen zu vermeiden. Das scheint auch notwendig, wie ein Bericht der »Frankfurter Rundschau« belegt. Allein in Hessen hat das Landeskriminalamt demnach bis zum Sommer in zwölf weiteren Fällen ermittelt, bei denen zu »L’amour toujours« rechte Parolen skandiert wurden. Seit Bekanntwerden des Sylt-Videos Ende Mai habe die »Schlagzahl« an Vorfällen der Zeitung zufolge zugenommen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.