- Berlin
- Demokratie
Bundespräsidentin der Herzen
Gesine Schwan ist nie Staatschefin geworden, tut aber bis heute in anderen Funktionen Gutes
Eine waschechte Langstielbürste bekommt auch eine Gesine Schwan nicht jeden Tag geschenkt, und das auch noch aus der Hand von Georg Friedrich Prinz von Preußen, einem Nachfahren von Wilhelm II., des letzten deutschen Kaisers. Die Übergabe erfolgte am Mittwochabend in der Potsdamer Oberlinkirche, wo Gesine Schwan die diesjährige Oberlin-Rede gehalten hatte. Die Professorin, Politikwissenschaftlerin und Philosophin Schwan ist zwar pensioniert, aber vielseitig engagiert und leitet unter anderem die Grundwertekommission der SPD. Eingeladen, eine Rede zu halten, war sie von der Babelsberger Oberlinstiftung.
Schwan war von 1999 bis 2008 Präsidentin der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) und nahm am Mittwoch zum Zustand der Demokratie in Deutschland Stellung. »Wir sind aktuell in einer sehr schwierigen Zeit«, bekannte sie in ihren verhältnismäßig kurzen und sehr politiktheoretischen Ausführungen. Darin legte sie unter anderem dar, dass Demokratie in heutigen Industriegesellschaften nicht Volksherrschaft bedeute. Sie sagte, Volksherrschaft »stimmt nicht, denn wir sind kein einheitliches Volk«. Oder auch, dass die direkte Demokratie, also das unmittelbare Abstimmen über konkrete Einzelfragen, im Allgemeinen die populäre Variante der Demokratie sei, gleichwohl nicht die beste. Die repräsentative Demokratie mit gewählten Parlamenten sei hingegen keineswegs die beliebtere Form, sondern die von Misstrauen begleitete. Aber an ihr führe eben kein Weg vorbei.
Am Beispiel der Entwicklung der Cottbuser Innenstadt war Schwan dann aber doch wieder bei den direkten Erfahrungen und sagte, dass es der unmittelbare Austausch sei, der zu allgemein akzeptierten Lösungen führe. Sie berichtete von einer Brache in der Stadtmitte, die in der sozialistischen Phase ein akzeptiertes neues Stadtzentrum war und seither der Verödung überantwortet sei. Schwan erwähnte die beliebte Eisdiele »Sternchen«, mit der ältere Cottbuser wehmütige und schöne Erinnerungen an Geburtstagsfeiern verbinden, und erzählte von jungen Cottbusern, die so nicht fühlen. Mittels intensiver, respektvoller Gespräche stoße man in einer solchen Situation zur »Gemeinwohl-Ebene« vor.
Dieses Beispiel sei eines von zehn Projekten eines »Entwicklungsbeirates«, dem sie angehöre. Und immerhin: Bis auf zwei konnten die Projekte mittlerweile zum Erfolg geführt werden. »Die Menschen sind gar nicht so schlecht«, sagte Schwan. In den Debatten habe sie auch »sehr konstruktive AfD-Leute« kennengelernt. Von denen sei ein Teil auch zurückzugewinnen.
Angesichts solchen Engagements »ist mir um die Lausitz überhaupt nicht bange«, sagte Oberlin-Pfarrer Matthias Fichtmüller im anschließenden Podiumsgespräch mit dem Ehrengast Gesine Schwan.
Als Schwan 2004 bei einer Dienstreise in den USA bemüht war, »Kontakte für meine kleine Universität zu knüpfen«, erreichte sie ein Vorschlag des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder (SPD), für das Amt der Bundespräsidentin zu kandidieren. Die Zuhörer in der Oberlinkirche, zu denen Regisseur Volker Schlöndorff, Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher (Grüne) und mit Dietlind Tiemann (CDU) auch die frühere Oberbürgermeisterin von Brandenburg/Havel gehörten, erfuhren, dass Schröder in seiner rüden Art ihre Zustimmung damals überhaupt nicht abgewartet habe, sondern eigenmächtig mit der Nachricht an die Öffentlichkeit gegangen sei. Ihr Mitarbeiter habe sie vom Oderstrand aus angerufen, hilflos angesichts der Vielzahl von Presseanfragen.
Schwans Bewerbung als Bundespräsidentin scheiterte 2004 im ersten Anlauf, genauso wie 2009 im zweiten. »Aber für die Viadrina ist das eine Gratiswerbung gewesen«, sagte sie. Als Sozialdemokratin ist Schwan eine bekennende Antikommunistin. Gleichwohl hätte sie nichts dagegen gehabt, mit den Stimmen der Linken gewählt zu werden, bekannte sie freimütig. Das aber habe der damalige SPD-Vorsitzende Franz Müntefering – katholisch wie Schwan selbst – unter keinen Umständen dulden wollen. »Parteiintern« sei dafür gesorgt worden, »dass ich nicht alle Stimmen von der SPD bekommen habe«.
Die Zeit des Mauerfalls war für Schwan alles andere als eine Freude, denn im November 1989 starb ihr erster Mann. Es habe eine Weile gedauert, bis sie Trost in ihrem Glauben habe finden können, sagte sie. Ihre Kinder seien zu diesem Zeitpunkt neun und elf Jahre alt gewesen. Von ihren Eltern berichtete sie, dass sie befreundet gewesen seien mit dem bekannten Gefängnispfarrer Harald Poelchau, der viele in der Nazizeit zum Tode Verurteilte auf ihrem letzten Weg zur Hinrichtung in Berlin-Plötzensee begleitet hatte. Poelchau habe für Verfolgte Verstecke gesucht und bei Gesine Schwans Eltern ein jüdisches Mädchen untergebracht.
Schwan fand freundliche Worte für die evangelische Oberlinstiftung, die seit 150 Jahren in Babelsberg beheimatet ist und sich der medizinischen Versorgung, der Pflege Behinderter, der Ausbildung in Gesundheitsberufen und vielem anderen bis hin zur Produktion von Speiseeis widmet. Eine Oberlin-Rede hatten auch schon Ex-Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) und die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gehalten.
In den Oberlin-Werkstätten für Behinderte wurde auch die Bürste hergestellt, die der Rednerin von Georg Friedrich Prinz von Preußen überreicht wurde. Er ist Mitglied im Beirat der Oberlinstiftung.
Gesine Schwan konnte sich bei dieser Gelegenheit eine Bemerkung nicht verkneifen: »Da fällt mir doch ein Cecilienhof ein.« Damit spielte sie auf eine jahrelange Auseinandersetzung um eine Entschädigung für die Hohenzollern an, von denen auch mal ein Wohnrecht der Familie im Potsdamer Schloss Cecilienhof ins Spiel gebracht worden war. Georg Friedrich Prinz von Preußen nahm die Anspielung nicht krumm: Er brachte seine Sorge über die Gefahren für die Demokratie in Deutschland zum Ausdruck und fand, die Rede der SPD-Politikerin habe »wie die Faust aufs Auge« gepasst. Immerhin hatte Gesine Schwan dabei auch unterstrichen, ihre Partei sei »reformistisch, nicht revolutionär«. Prinz von Preußen dankte »der Bundespräsidentin unserer Herzen«.
»Für die Viadrina ist das eine Gratiswerbung gewesen.«
Gesine Schwan Ex-Universitätspräsidentin
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.