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BVG verschärft Arbeitskampfregeln
Im Streikfall soll die Arbeit auch spontan noch ins Homeoffice verlagert werden können
Ruhig war es in den letzten Wochen geworden. Vor der im Januar beginnenden Entgelttarifrunde bei den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) hatte sich die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, nachdem sie ihre Forderungen im Oktober bekannt gegeben hatte, bedeckt gehalten. Auch die BVG verzichtete erwartungsgemäß auf öffentliche Stellungnahmen. Unabhängig davon laufen die Vorbereitungen aber auf Hochtouren. So müssen beide Lager für die Vereinbarungen von Notdiensten im Fall von Streiks zusammenfinden. Dabei kommt es bereits jetzt zu Reibereien.
Insbesondere eine BVG-seitige Aufhebung der Einschränkung des mobilen Arbeitens im Streikfall stößt bei der Gewerkschaft und ihr zufolge auch bei Beschäftigten auf Unmut. In einer internen Mitteilung zum Stand der Notdienstverhandlungen wird den Führungskräften der BVG mitgeteilt, »dass die Bekanntmachung zu den Arbeitskampfmaßnahmen, welche die Regelung zum mobilen Arbeiten eingeschränkt hatte, von Seiten der BVG aufgehoben wurde«. In der Folge sei nun »mobiles Arbeiten im Sinne der Dienstvereinbarung ›Mobiles Arbeiten‹ im Streikfall uneingeschränkt möglich«.
Die Dienstvereinbarung »Mobiles Arbeiten« sieht vor, dass die Beschäftigten bis zu zehn Tage im Monat von zu Hause aus arbeiten können. »Nach den bisherigen Regelungen der BVG war es nach einer Ankündigung von Arbeitskampfmaßnahmen durch Verdi innerhalb der BVG nicht mehr möglich, mobiles Arbeiten zu beantragen beziehungsweise genehmigen zu lassen.« Das erläutert der Verdi-Verhandlungsführer Jeremy Arndt gegenüber »nd«. Wenn also der Betrieb etwa durch einen Streik dermaßen gelähmt war, dass die Beschäftigten nicht in ihre Büros kamen, war ein spontanes Ausweichen ersatzweise aufs Home-Office bisher nicht möglich. Die Arbeit, auch von arbeitswilligen Kolleg*innen, hatte zu ruhen. Das gilt nun nicht mehr. Die BVG selbst teilt »nd« auf Nachfrage mit, Arbeitseinsätze und Entlohnung würden im Streikfall nach geltendem Streikrecht erfolgen. »Alle Beschäftigten, die ihre Arbeit vollumfänglich erbringen können und dies tun, werden auch entlohnt«, so das landeseigene Unternehmen.
»Die Arbeitgeberseite versucht, bereits jetzt unsere eventuellen Arbeitskampfmaßnahmen zu schwächen und zu unterlaufen.«
Jeremy Arndt Verdi-Verhandlungsführer
Gewerkschafter Arndt kritisiert nun das Vorgehen der BVG. Die Arbeitgeberseite versuche mit der Aufhebung der Regelung, bereits jetzt eventuelle Arbeitskampfmaßnahmen zu schwächen und zu unterlaufen, damit möglichst viele Beschäftigte sich nicht beteiligten und von zu Hause arbeiten. »Dieser Spaltungsversuch wird von den Beschäftigten und von uns scharf kritisiert«, teilt Arndt mit. Von der Regelung könnten ohnehin nur Beschäftigte in der Verwaltung Gebrauch machen, nicht aber jene im Fahrdienst und in der Technik. An die Beschäftigten appelliert Arndt, »sich nicht auf dieses vergiftete und spalterische Angebot der Arbeitgeber einzulassen und sich solidarisch mit allen Beschäftigten zu zeigen und so gemeinsam für bessere Löhne zu kämpfen«.
Auch Janine Köhler, die neu gewählte Vorsitzende des Gesamtpersonalrates der BVG äußert sich gegenüber »nd« zu der Maßnahme. Sie habe den Eindruck, »dass der Arbeitgeber mobiles Arbeiten als Mittel zur Untergrabung der Streikbereitschaft nutzen möchte«. Sollte er dies nun nutzen, um einem kleinen ausgewählten Kreis der Beschäftigten explizit für den Streikfall das mobile Arbeiten zu ermöglichen, werde man als Vertragspartner den weiteren Bestand dieser Dienstvereinbarung überdenken, teilt Köhler mit, die ebenfalls Mitglied der Verdi-Tarifkommission ist.
Am 15. Januar findet das erste Verhandlungsgespräch zwischen der BVG und Verdi statt. Die Gewerkschaft fordert 750 Euro mehr Gehalt pro Monat, eine Fahrdienst- beziehungsweise Wechselschichtzulage von 300 Euro, eine Schichtzulage von 200 Euro und ein 13. Monatsgehalt als Weihnachtszuwendung. Für einen neu eingestellten Busfahrer wäre das eine Lohnsteigerung um 26,7 Prozent auf 3556,79 Euro im Monat.
Jeremy Arndt sieht die Gewerkschaft gut gewappnet. Die Vorbereitungen zur anstehenden Tarifrunde innerhalb der BVG und der Berlin Transport liefen sehr gut, man habe eine hohe Mobilisierung feststellen können. »Verdi geht davon aus, dass die Tarifauseinandersetzung ähnlich intensiv wird wie 2008«, hatte Arndt bereits im Oktober der »Berliner Zeitung« gesagt. »Damals haben wir die BVG in mehreren Wellen insgesamt rund sechs Wochen lang bestreikt.« Mit dem letzten Tarifvertrag von 2021 wurden ab Januar 2022 die Löhne schrittweise um 4,5 Prozent erhöht, die Arbeitszeit von 39 auf 37,7 Stunden pro Woche gesenkt. Im gleichen Zeitraum sind die Verbraucherpreise in Berlin um etwa 15 Prozent gestiegen. Die BVG sei Verdi zufolge das größte Nahverkehrsunternehmen Europas und deutschlandweit Schlusslicht bei der Bezahlung. Wie lange der neue Tarifvertrag gelten soll, lässt Verdi bisher offen.
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