Kanonen, Butter, Kriegskredite

Deutschland und andere Nato-Staaten erhöhen ihre Schulden, um massiv aufzurüsten. Können wir uns das leisten?

Geldsegen: Die Bundeswehr kann in den nächsten Jahren mit Hunderten von zusätzlichen Milliarden rechnen.
Geldsegen: Die Bundeswehr kann in den nächsten Jahren mit Hunderten von zusätzlichen Milliarden rechnen.

In Deutschland wird die Schuldenbremse reformiert, um künftig unbegrenzte Kredite für die Aufrüstung zu ermöglichen. Die EU verspricht ihren Mitgliedsstaaten mehr Freiheiten bei der Aufnahme von Schulden für Kriegsgerät. Auch die Regierungen der USA, Chinas und Großbritanniens planen Kredite über Tausende von Milliarden für die großangelegte Anschaffung von Waffen und Ausrüstung. Kreditgeber der Staaten sind die Finanzmärkte. Ihr Urteil entscheidet darüber, wie viel Rüstung ein Staat sich leisten kann und was ihn das kostet. Für die Bevölkerung ist das folgenreich.

Angesichts »geopolitischer Spannungen« stecken die Industriestaaten wachsende Summen in ihre Bewaffnung. Der US-Verteidigungshaushalt für 2025 wird auf 850 Milliarden Dollar geschätzt, ein Fünftel mehr als zu Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine. Andere Nato-Mitglieder verpflichten sich, ihre Verteidigungsbudgets auf zwei Prozent der Wirtschaftsleistung zu erhöhen, wobei inzwischen auch drei Prozent diskutiert werden. Für diesen Fall errechnet das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) allein für Deutschland eine Finanzierungslücke von 250 Milliarden Euro bis 2028.

Wie viel Geld genau für die Aufrüstung benötigt wird, ist unsicher. Das liegt an ihrem Zweck. Ziel für Deutschland sei die Schaffung einer »asymmetrischen Überlegenheit« im Kriegsfall, so ein Papier, das unter anderem vom Chef des Instituts für Weltwirtschaft (IfW), Moritz Schularick, verfasst wurde. Angestrebt wird also, stärker zu sein als potenzielle Gegner – die dasselbe versuchen. Das macht den dafür nötigen Aufwand schwer kalkulierbar.

Militär – kein Konjunkturmotor

Rüstung ist nicht nur teuer, sie ist auch begrenzt produktiv. Zwar werden die entsprechenden Ausgaben im Staatshaushalt unter »Investitionen« verbucht – tatsächlich aber handelt es sich eher um staatlichen Konsum, der die Wachstumspotenzen des Standortes kaum stärkt. »Deutschland kann keine Autos mehr verkaufen, deswegen baut es jetzt Panzer«, schreibt Yanis Varoufakis, Ökonom und ehemaliger griechischer Finanzminister. »Panzer aber halten Jahrzehnte und Konsumenten kaufen sie ohnehin nicht.«

Andere sind nicht ganz so pessimistisch. Kurzfristig, so eine Studie des IfW zu den Wachstumswirkungen von Militärausgaben, steigere die staatliche Nachfrage nicht nur die Profite der Rüstungsindustrie, sondern auch das Bruttoinlandsprodukt (BIP). Langfristig aber seien die Erträge sehr unsicher. Zwar treibe die militärische Forschung den technologischen Fortschritt an und habe in der Vergangenheit Nebenprodukte wie Laser, Internet und GPS hervorgebracht. Letztlich aber sei militärische Forschung ineffizienter als zivile. Insgesamt gebe es kaum Belege, dass Aufrüstung »sich selbst trägt«, also ihre Kosten einspielt in Form vermehrten Wachstums.

»Es gibt keine unpolitische Definition von nationalem Interesse.«

Adam Tooze Wirtschaftshistoriker

Die Politik hält dennoch an der Aufrüstung fest, sie gilt als alternativlos. Die Bundeswehr bekommt »Whatever it takes«, versprach CDU-Chef Friedrich Merz – der Bedarf an Kriegsgerät bestimmt die Ausgaben und zwar dauerhaft. Die »Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung« titelt daher: »Können wir uns das leisten?« Klar ist, dass eine Finanzierung über Steuererhöhungen oder Einsparungen illusorisch ist – dazu ist der angemeldete Rüstungsbedarf zu groß. Die Regierungen in Deutschland und anderen Staaten befreien sich daher von der Beschränkung »Man kann nur ausgeben, was vorher erwirtschaftet worden ist« und machen sich ihr eingespieltes Verhältnis zum globalen Finanzkapital zunutze: Sie verschulden sich und ziehen Kredit auf ihre militärische Machterweiterung. Das ist folgenreich.

Wundermittel Staatsverschuldung

Sich zu verschulden, ist für alle Hüter eines kapitalistischen Standortes attraktiv. Denn anders als bei Steuererhöhungen oder Einsparungen entziehen sie damit den privaten Wirtschaftsakteuren kein Geld. Denn wer dem Staat leiht, erhält dafür eine Gegenleistung: einen Schuldschein, eine Staatsanleihe, die Rückzahlung plus Zins garantiert. Solche Anleihen sind Wertpapiere, ein Stück Finanzvermögen, garantiert vom Staat selbst und damit so gut wie echtes Geld. Dieses Wertpapier kann man halten, man kann es verleihen oder verkaufen oder als Sicherheit für weitere Kredite verwenden. Das ist das Wunder der Geldvermehrung: Der Staat leiht sich eine Summe, gleichzeitig hat der Gläubiger nicht weniger.

So emanzipieren sich Regierung und Finanzkapital von den finanziellen Beschränkungen. »Die staatliche Fähigkeit, Schuldscheine zu verkaufen, spielt eine zentrale Rolle bei der Bearbeitung nationaler Krisen – von Kriegen bis zu Pandemien«, so der US-Ökonom Barry Eichengreen. Diese Fähigkeit sei daher essenziell für staatliches Überleben.

Der Haken dabei: »Wert« hat das Wertpapier nur, weil es ein Anrecht auf künftige Einnahmen ist. Es ist ein staatliches Zahlungsversprechen, und diesem Versprechen muss geglaubt werden. Hier kommt das vielzitierte »Investorenvertrauen« ins Spiel – ein Vertrauen, das auch entzogen werden kann. Das erlebte im September 2022 die britische Regierung: Als sie große Steuersenkungen und damit Schuldenerhöhungen ankündigte, ließen die Finanzmärkte das britische Pfund und britische Aktien abstürzen. Die Zinsen, die London auf neue Schulden zahlen musste, schossen in die Höhe. Das kostete die Premierministerin Liz Truss und ihren Finanzminister den Job.

Staaten müssen sich also verschulden. Inwieweit sie das aber auch können, ist dem Urteil der Finanzanleger*innen anheimgestellt, die weltweit Investments nach Risiko und Ertrag bewerten. Diesen Test hat Deutschland bislang bestanden. Die Ankündigung von Infrastruktur-Sondervermögen und einer Aufweichung der Schuldenbremse ließ die Zinsen auf deutsche Staatsanleihen nur leicht steigen, der Euro legte zu. Dies wie auch die steigenden Aktienkurse von Rüstungsunternehmen zeigen, dass die Finanzmärkte auf einen Erfolg der deutschen Aufrüstung spekulieren.

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Deutschland hat also Kredit an den Märkten. Gleichzeitig strapaziert es durch die Schuldenaufnahme seine Kreditwürdigkeit, die Schuldenlast wächst relativ zum BIP. Denn jeder zusätzliche Rüstungs-Euro erhöhe die Wirtschaftsleistung nur um 50 Cent, kalkuliert die Investmentbank Goldman Sachs. Deutschland kann das noch gut verkraften, da es relativ gering verschuldet ist. Andere Länder dagegen, wie die USA und einige EU-Staaten, »gehen mit einer hohen Schuldenlast in diese Zeit geopolitischer Spannungen«, so die Commerzbank.

Die Staaten werben also um das Vertrauen der Märkte, indem sie zum einen ihren Rüstungsaufwand ökonomisieren: Statt Militärgerät zu importieren, zielen sie darauf, eigene Produktionskapazitäten aufzubauen, damit die Aufrüstung das heimische BIP stärkt. Zudem ist ein Anstieg der Rüstungsexporte zu erwarten, um Gelder aus dem Waffenverkauf zu erlösen.

Mehr Arbeit und Sozialkürzungen voraus

Zum anderen stärken die Standorte ihre Wachstumspotenzen, indem sie die Bedingungen für Investitionen verbessern. »Jeder Tag, jede Entscheidung meiner zukünftigen Regierung wird nur eine einzige Frage haben: Ist sie gut für die Wettbewerbsfähigkeit unserer Industrie?«, kündigte Merz an. CDU und SPD planen ein Sondervermögen über Infrastruktur über 500 Milliarden Euro, das »keinesfalls in Richtung soziale Zwecke, insbesondere Rentenpolitik« verschoben werden darf, warnt das arbeitgebernahe Institut IW. Dazu kommen – nicht nur in Deutschland – die Senkung von Unternehmenssteuern und Energiekosten, die Abschaffung von Klimaschutzmaßnahmen, die Ausweitung der Arbeitszeit und mehr Druck auf Arbeitslose, was nicht nur Ausgaben spart, sondern gleichzeitig den Zwang zur Arbeit für alle erhöht und sie abhängiger vom Markt macht. Weitere Vorschläge beinhalten die Abschaffung eines Feiertags oder die Erhöhung des Renteneintrittsalters. »Einschnitte in das Leistungsversprechen der Sozialversicherungssysteme sind unvermeidbar«, so das IW, um die Arbeitskosten zu senken und so die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken.

So soll das Wirtschaftswachstum angekurbelt werden, um das Vertrauen der Finanzmärkte zu erhalten, das der Staat braucht, um die Aufrüstung zu finanzieren. Hieß es noch kürzlich, staatliche Schulden seien nur zur Stärkung des Wachstums erlaubt, so wird diese Gleichung nun umgedreht. Da die Schulden wachsen, muss mehr Wachstum her. Die Folge: »Die Sozialausgaben werden unter dauerhaften Druck der steigenden Schuldenlast geraten«, so der britische Wirtschaftshistoriker Adam Tooze. Dies werde von der Politik zwar als schlichte Notwendigkeit propagiert. »Aber es gibt keine unpolitische Definition von nationalem Interesse«, erklärt Tooze. Angesichts der Pläne von CDU und SPD stelle sich die Frage: »Ist Russland wirklich eine größere Bedrohung der nationalen Sicherheit als die globale Klimakrise oder die Tatsache, dass eine alarmierende Zahl von Kindern in Deutschland in Armut aufwächst?«

Ein Echo dieser Bedenken findet sich selbst im Unternehmerlager: Bei der jüngsten Umfrage des IW nach den größten Bedrohungen für den deutschen Wohlstand nannten die Unternehmer – nach den Kosten der Krankenversicherung und der maroden Infrastruktur – als dritten Punkt den »gesellschaftliche Zusammenhalt«, weit vor Verteidigungsfähigkeit und Fachkräftemangel.

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