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Neuwahl: Bündnis Sahra Bundestag

Die Wagenknecht-Partei begrüßt die Neuwahl, obwohl sie auch für den Berliner Landesverband eine organisatorische Herausforderung ist

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 5 Min.
In Berlin ist das Bündnis Sahra Wagenknecht schon stärker aufgestellt als anderswo, aber noch immer eine kleine Partei.
In Berlin ist das Bündnis Sahra Wagenknecht schon stärker aufgestellt als anderswo, aber noch immer eine kleine Partei.

Seit Wochen hält sich hartnäckig das Gerücht, die BSW-Vorsitzende Sahra Wagenknecht werde bei der kommenden Bundestagswahl in Berlin-Lichtenberg kandidieren. Nun, da die Wahl von September auf Februar 2025 vorgezogen wird, muss sich bald herausstellen, was an der Sache dran ist. Der Berliner BSW-Landesvorsitzende Alexander King lässt sich dazu nichts entlocken. Er nennt überhaupt keine Namen, obwohl er natürlich welche im Kopf hat. Anders geht es gar nicht. Die Zeit drängt. Schon in der ersten Dezemberhälfte sollen bei einem Landesparteitag die Landesliste und auch gleich die Direktkandidaten für die zwölf Bundestagswahlkreise der Hauptstadt aufgestellt werden.

Nur eins verrät Alexander King: Er selbst werde nicht antreten. 2021, als er noch der Linken angehörte, war King gleichzeitig Kandidat für das Berliner Abgeordnetenhaus und für den Bundestag. Damals sagte Sahra Wagenknecht bei einer Kundgebung in seinem Wahlkreis in Tempelhof: »Ich kenne Alex King schon lange. Er würde sich nie von Lobbyisten kaufen lassen. Solche Leute braucht es mehr im Bundestag.«

Doch jetzt will King, statt erstmals in den Bundestag einzuziehen, lieber 2026 wieder ins Berliner Abgeordnetenhaus und dann dort das BSW nicht mehr ganz allein repräsentieren, sondern Teil einer großen Fraktion sein. Seit seinem Wechsel zum BSW sitzt King im Plenarsaal des Abgeordnetenhauses etwas abseits hinter seinen ehemaligen Genossen – direkt vor sich Ex-Kultursenator Klaus Lederer und vier andere, die kürzlich nach einem Antisemitismusstreit aus der Linkspartei austraten. Im Gegensatz zu King gehören diese fünf der Linksfraktion jedoch weiter an und zeigen keine Neigung, eine eigene Partei aufzumachen.

»Wir haben in Westberlin unsere Hochburgen da, wo die meisten Migranten leben.«

Alexander King BSW-Landeschef

Alexander King gehörte Ende 2023 zu dem engen Kreis, der das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) zunächst als Verein mit ganz wenigen Mitgliedern gründete, bevor im Januar 2024 eine Partei daraus wurde. Im Januar zählte der Bundesverband in Berlin 50 Mitglieder, bei der Gründung des Landesverbandes am 14. Juli im Theater Ost in Adlershof waren es dann schon 80 Mitglieder, mittlerweile sind es 110. Gemessen an der Bevölkerungszahl der Hauptstadt sind das verglichen mit anderen BSW-Landesverbänden viele Mitglieder – und trotzdem wenige im Vergleich zu anderen Parteien.

King begreift die vorgezogene Bundestagswahl als Herausforderung. Wegen des organisatorischen Aufwands wäre ihm etwas mehr Zeit und kein vorgezogener Wahltermin lieber gewesen, doch politisch wünschte er sich schon lange, dass die Koalition aus SPD, Grünen und FDP ein Einsehen hat und Platz für einen Neuanfang macht. King ist »total froh«, dass es nun endlich so weit sei. »Es konnte nicht mehr so weitergehen. Die Bevölkerung will Neuwahlen.« King bestätigt: »Ein kurzer, knackiger Wahlkampf könnte für eine kleine Partei wie das BSW ein Vorteil sein.«

Als wichtigstes Wahlkampfthema seiner Partei sieht King den Frieden, gefolgt von der Wirtschaft. Dabei stehen für ihn Frieden und wirtschaftliche Erholung in engem Zusammenhang. Es müsste ja nun endlich jeder begreifen, dass die Sanktionen gegen Russland ihr Ziel nicht erreichen, den Krieg in der Ukraine nicht beenden und nicht Russland schaden, sondern nur »uns selbst«, sagt der 55-Jährige. Denn Deutschland sei als rohstoffarmes Land für seine Industriebetriebe auf billiges Öl und Gas aus Sibirien angewiesen.

Wahlkampfthema Nummer drei ist für King, wenn auch mit einem gewissen Abstand zu Frieden und Wirtschaft, die Migration. »Wir wollen keine Ressentiments gegen Flüchtlinge schüren«, betont er. »Die sind ja auch nicht schuld an der schlechten Asylpolitik.« King sagt auch: »Wir wollen den Zustrom begrenzen.« Daran führe letztlich kein Weg vorbei. Deshalb befürwortet der Abgeordnete die Einführung der umstrittenen Bezahlkarte. Flüchtlinge könnten dann monatlich nur noch 50 Euro Bargeld abheben. Sie könnten nicht mehr Schlepper bezahlen oder Geld in ihre alte Heimat überweisen. Den Familien, die einen Angehörigen nach Deutschland schicken, damit er sie von dort aus versorge, wolle er das nicht vorwerfen, versichert King. Er könne das verstehen. Doch es sei weltfremd, so zu tun, als ob das nicht geschieht.

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Im Moment sieht der Abgeordnete keine andere Möglichkeit, als die notdürftige Massenunterkunft für Geflüchtete am alten Berliner Flughafen Tegel weiterzunutzen. »Dezentrale Unterbringung wäre natürlich am besten«, findet er. Aber mehrere Hundert bis über 1000 Flüchtlinge an anderen Orten als Tegel innerstädtisch zu konzentrieren, wie es der Berliner Senat jetzt vorhat, um Tegel zu ersetzen, schaffe Unmut und Verunsicherung in der Nachbarschaft und wäre eine schlechte Alternative.

Solche politischen Positionen führen indes nicht dazu, dass die Wagenknecht-Partei im Milieu der einstigen türkischen Gastarbeiter schlecht ankommt. »Wir haben in Westberlin unsere Hochburgen da, wo die meisten Migranten leben. Migrantische Arbeiter sind eine unserer wichtigsten Wählergruppen«, sagt King. »Die Linke hat weniger migrantische Wähler als das BSW, würde ich behaupten.«

Anders als erwartet trifft das BSW überdies in der queeren Szene durchaus auf Zustimmung. King hatte erst Bedenken, einen BSW-Stand beim lesbisch-schwulen Motzstraßenfest anzumelden. »Aber die Resonanz war unglaublich gut.« King gesteht: »Ich hatte vorher die schlimmsten Befürchtungen.« Das kam nicht von ungefähr. Schließlich sorgte es einst für einen Sturm der Entrüstung, als Wagenknecht in ihrem 2021 veröffentlichten Buch »Die Selbstgerechten« über Linksliberale und deren Faible für »skurrile Minderheiten« spottete.

Doch im Berliner BSW gibt es nicht nur Lesben und Schwule, sondern sogar Transpersonen, wie King berichtet – und eine Arbeitsgemeinschaft Antidiskriminierung. King nennt erst die englische Abkürzung für dergleichen Zusammenschlüsse. Er kommt aber nach L, G und B ins Stocken, sucht nach dem nächsten Buchstaben – es wäre T für Transgender – und winkt dann ab. »Man kann auch queer sein, ohne die queere Ideologie ständig vor sich herzutragen«, sagt er.

»Wir definieren uns nicht als linke Partei, weil die Leute heute unter links etwas anderes verstehen, als das ursprünglich mal der Fall war«, erklärt King. Selbst bezeichnet sich der 55-Jährige durchaus als links. Er bedauert es aber keineswegs, nicht in einer linken Partei zu sein. Das BSW ermögliche ihm die Begegnung und den Austausch mit Menschen, mit denen das sonst so nicht möglich gewesen wäre, sagt er. »Das möchte ich nicht mehr missen.«

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