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Berlins koloniale Wurzeln
Die Ausstellung »Dekoloniale – was bleibt?!« will Schauplätze markieren und mit einer Perspektive Schwarzen Widerstands überschreiben
Das Afrikanische Viertel in Wedding, die Wilhelmstraße 92, in der 1884/85 die Berliner Afrika-Konferenz stattfand, und das Museum Nikolaikirche, in dem koloniale Akteur*innen begraben liegen – die Schauplätze des historischen Kolonialismus werfen die Frage auf: Was bleibt im Gedächtnis vom kolonialen Erbe Berlins? Am vergangenen Donnerstag, ziemlich genau 140 Jahre nach dem Auftakt der Afrika-Konferenz, wurde eine Ausstellung am Standort Nikolaikirche eröffnet, die sich Antworten auf diese Frage annähert.
Hinter der dezentralen Ausstellung »Dekoloniale – was bleibt?!« stehen das Modellprojekt »Dekoloniale Erinnerungskultur in der Stadt« (Dekoloniale) und das Stadtmuseum Berlin. »In der Nikolaikirche geht es auch um die koloniale Verantwortung und die Verstrickung des Stadtmuseums«, begründet Danielle Rosales, visuelle Konzepterin und Gestalterin der Ausstellung, gegenüber »nd« die Auswahl des Ortes.
Die Nikolaikirche ist gleichzeitig Grabstätte und fester Erinnerungsort für namhafte Akteur*innen der Kolonialzeit. »Dekoloniale – was bleibt?!« stellt dem Schwarze, widerständige Perspektiven entgegen, wie die der Plantagenarbeiterin Mary Thomas, eine der Anführer*innen des sogenannten Fire-Burn-Aufstandes auf der von Dänemark angeeigneten Insel St. Croix im Karibischen Meer. Der Aufstand, mit dem die Zuckerrohr-Arbeiter*innen ihre Situation verbessern wollten, gipfelte in gewalttätigen Unruhen und gilt als größter Gewerkschaftsaufstand der dänischen Geschichte.
Mit Zitaten und Texten auf dreidimensionalen, möbelartigen Gebilden in Schwarz und Weiß soll eine neue Perspektive auf die Zeit des Kolonialismus geschaffen werden. Die Bilder der Schwarzen Akteur*innen dazwischen erscheinen groß, in Farbe, »fast auf Augenhöhe«, wie Suy Lan Hopmann, Programmkuratorin des Stadtmuseums Berlin, dem »nd« erläutert. Die mit der Nikolaikirche in Verbindung stehenden kolonialen Akteur*innen dagegen tauchen unscheinbarer und auf Kniehöhe auf, in Schwarz-Weiß gehalten und auf dem Kopf stehend. »Es handelt sich um Geschichten, die schon immer da gewesen sind, aber vielleicht im Bewusstsein noch nicht so präsent waren«, erklärt Rosales den Fokus der Ausstellung auf die Schwarzen Perspektiven dieser Zeit.
Die Möbelgebilde in der Kirche bilden einen harten Kontrast zu dem in katholischer Tradition stehenden Gebäude. An Stellen wie den hohen Kirchenfenstern wurde die Schwarze Geschichte einfach in die Strukturen des Kirchengebäudes eingearbeitet. Große Patchworkstoffe mit Darstellungen Schwarzer Menschen hängen da, wo sonst so oft Heiligenbilder die Kirchengewölbe zieren, ohne auf den ersten Blick überhaupt aufzufallen.
Im Afrikanischen Viertel im Wedding sind die kolonialen Spuren vor allem in Straßennamen zu lesen. Tatsächlich bezeugen Namen wie Togo-, Sansibar- oder Guineastraße die einstigen Ambitionen, hier Menschen aus den Kolonien unterzubringen und für die deutschen Bürger*innen Völkerschauen nach Vorbild des Hagenbeck-Tierparks in Hamburg einzurichten. Diese Idee ist nie realisiert worden, da den bereits handfesten Plänen der Erste Weltkrieg in die Quere kam.
Viel unauffälliger, dafür aber umso bedeutender für die Geschichte Westafrikas ist die Adresse Wilhelmstraße 92 in Berlin-Mitte. Der 70er-Jahre-Betonbau lässt kaum vermuten, dass hier vor 140 Jahren Otto von Bismarck einlud, die Aufteilung Westafrikas zu beschließen. Erst Infotexte im Fenster des hier heute ansässigen Projektraums der Dekoloniale markieren seine koloniale Vergangenheit.
Die Ausstellung will koloniale Orte in Berlin sichtbar machen. »Gleichzeitig wollen wir ihre Geschichte überschreiben und mit widerständigen Perspektiven neue Geschichten mit den Orten verbinden«, sagt Rosales. Rosales und Hopmann beschreiben die in Berlin vorherrschende Erinnerungskultur als sehr einseitig, durch Perspektiven weißer Kolonialist*innen geprägt. »Ich glaube, dass an viele koloniale Akteur*innen erinnert wird, weil sie vom Kolonialismus profitiert haben. Sie haben Privilegien und Macht dazugewonnen, und gleichzeitig wird an die Herkunft dieser Privilegien wenig erinnert«, sagt Hopmann.
»Es handelt sich um Geschichten, die schon immer da gewesen sind, aber vielleicht im Bewusstsein noch nicht so präsent waren.«
Danielle Rosales
Visuelle Konzepterin der Ausstellung
Vor allem würden die Errungenschaften dieser Personen in Bereichen wie Wissenschaft oder Handel im Vordergrund stehen, die durch Besatzung und Menschenhandel überhaupt erst möglich gemacht wurden. »Die Kirche steht für viele andere Erinnerungsorte, die eine sehr einseitige Erinnerungskultur erwirken«, erklärt Rosales – unter dem Porträt eines jener Kolonialherren stehend.
Die feste Wandgestaltung der BVG in der U-Bahnstation Afrikanische Straße zeichne die eurozentristische Perspektive Safari-Afrikas. Giraffen und Wasserbüffel springen auf den Kacheln durch die Savanne. Dem stehen die eigens dafür angemieteten Plakatwände in der Station gegenüber, auf denen die Künstlerin Tonderai Koschke mittels Texten und Collagen im Sinne der Aufklärung auf die Besetzung Afrikas aufmerksam macht.
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Die Werke der Künstlerin Theresa Weber sollen den Schmerz vermitteln, der den europäischen Wohlstand genährt hat. In der Nikolaikirche hängen Stränge aus indigoblauen Stoffkugeln und Perlen wie ein Wurzelgebilde von der Gewölbedecke fast bis zum Boden hinab. Weber vergleicht ihre Gebilde mit den tiefen Wurzeln, die der Kolonialismus in die Schwarze Geschichte geschlagen hat.
In der Wilhelmstraße 92 zieren abstrakte Fensterbilder die Scheiben des hier heute ansässigen Dekoloniale-Projektraums. Auch hier ist das Indigoblau sehr präsent. Bei einem Pressetermin am Mittwoch erzählt Weber die Geschichte hinter der Farbe. Indigo wurde gerade zu Zeiten der Sklaverei unter brutalen Umständen in Westafrika abgebaut. Als Symbol für die Schmerzen und die Narben dieser Zeit wurden oft die Hände der Arbeiter*innen dargestellt, die von der Indigoproduktion blau verfärbt waren.
Dass die Ausstellung überhaupt entstehen konnte, rechnet Rosales auch dem jahrzehntelangen Engagement von Zivilgesellschaft und Aktivist*innen zu. »Das wir jetzt in einem öffentlichen Diskurs darüber sprechen können, liegt genau an diesen Kämpfen.«
Ein weiterer Ansatzpunkt der Aufarbeitung ist die Umbenennung von Straßen. Wohl prominentestes Beispiel ist die Straße in Mitte, die nach jahrelanger Debatte nun nach dem westafrikanischen Philosophen Anton Wilhelm Amo benannt werden soll. Das hat gedauert. »Da stecken Mechanismen dahinter, die bedeuten, dass wenn man Verantwortung übernimmt, auch einige Dinge rückgängig gemacht werden müssen«, erklärt Rosales. Natürlich ist die Auseinandersetzung mit der eigenen Schuld auch nicht unbedingt angenehm. »Es ist unbequem, weil es Konsequenzen hat«, fasst Hopmann das Problem zusammen.
»Dekoloniale – was bleibt?!«, bis 25. Mai 2025, Museum Nikolaikirche, Nikolaikirchplatz, 10178 Berlin, Eintritt 7 Euro, mit Ermäßigungsnachweis und bis zum 17. November Eintritt frei; weitere Ausstellungsorte im Afrikanischen Viertel und in der Wilhelmstraße 92 in Berlin-Mitte.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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