- Kommentare
- Meinungsfreiheit auf X
Kein Recht auf Arschlochsein
Matthias Monroy zur Debatte über Meinungsfreiheit auf X
Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut, offline wie online. Sie endet dort, wo Beleidigungen beginnen. Fälle wie die Bezeichnung des Hamburger Innensenators als »Pimmel« oder des Bundeswirtschaftsministers als »Schwachkopf« bewegen sich an dieser Grenze des Sagbaren. Die Polizeieinsätze dazu waren überzogen. Ob derartige Äußerungen strafrechtlich relevant sind, sollten zuletzt Gerichte entscheiden, nachdem die Betroffenen Anzeige erstattet und die Täter*innen gegen einen möglichen Strafbefehl Widerspruch eingelegt haben. So ist bei #Pimmelgate dann auch zugunsten des Beschuldigten erfolgt.
Rund 1300 Strafanzeigen wegen Beleidigungen im Netz wurden in dieser Legislaturperiode von Bundesminister*innen gestellt, fast zwei Drittel davon von Robert Habeck. Sie sind auch eine Antwort auf eine rechte Kampagne von physischen und digitalen Angriffen gegen die Ampel-Koalition und insbesondere die Grünen. Auch die Debatte über angeblich bedrohte Meinungsfreiheit im Netz wurde mit diesem Ziel von der »Welt« und dem rechten Portal »Nius« unter Julian Reichelt angefeuert – ausgerechnet mit dem Vorwurf, dass die grünengeführte Bundesnetzagentur den von allen EU-Staaten beschlossenen Digital Service Acts gegen digitale Gewalt korrekt umsetzt.
Die Empörung über den »Schwachkopf«-Vorwurf offenbart deshalb auch die Sorge einer rechten Filterblase, ihr aggressives Verhalten könnte mit dem DSA zunehmend Konsequenzen haben. Meinungsfreiheit bedeutet aber nicht das Recht, sich im Netz wie ein Arschloch benehmen zu dürfen.
Am vergangenen Dienstag wurde die Polizei bei einem Mann aus Unterfranken vorstellig, der den Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) auf der Plattform X beleidigt haben soll. Der 64-Jährige hatte laut der Staatsanwaltschaft Bamberg im Frühjahr unter ein Porträtfoto Habecks »Schwachkopf« geschrieben – wohl als Anspielung auf den Haarwaschmittel-Hersteller Schwarzkopf. Habeck hatte dies anschließend angezeigt. Die Polizeiaktion erfolgte an einem bundesweiten Aktionstag gegen antisemitische Hasskriminalität im Netz: Der Beschuldigte soll auch ein Bild mit einem SS- oder SA-Mann auf X mit »Deutsche kauft nicht bei Juden« betitelt haben, was Volksverhetzung darstellen könnte. Möglicherweise wollte er damit aber vor NS-Zuständen warnen. Zuerst hatte das Krawall-Portal Nius auf den Fall aufmerksam gemacht, den Antisemitismus-Vorwurf und den Fakt, dass die Polizei von einer Durchsuchung absah, nachdem der Mann ein Tablet herausgegeben hatte, aber verschwiegen. In sozialen Medien gibt es seitdem eine Debatte über Verhältnismäßigkeit. Auch Habeck ließ verlauten, dass er das Vorgehen der Polizei für überzogen hält.
Wir behalten den Überblick!
Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.