Die Linkspartei in Brandenburg ist eine Katastrophe

nd-Serie »Die Linke – vorwärts oder vorbei?«: Aufstieg und Fall der brandenburgischen Linken

  • Matthias Krauß
  • Lesedauer: 8 Min.
Ein Bild aus deutlich besseren Zeiten: Der Brandenburger Lothar Bisky war Mitbegründer der PDS und der Linken. Kürzlich flog Brandenburgs Linke aus dem Landtag – ein Negativnovum in Ostdeutschland.
Ein Bild aus deutlich besseren Zeiten: Der Brandenburger Lothar Bisky war Mitbegründer der PDS und der Linken. Kürzlich flog Brandenburgs Linke aus dem Landtag – ein Negativnovum in Ostdeutschland.

Als der brandenburgische Landeswahlleiter das amtliche Endergebnis der Landtagswahl vom 22. September 2024 verkündete, wies er der Linken 2,98 Prozent zu. Vor fast 35 Jahren, es lief die Debatte um das Wahlgesetz im Bundesland, hatte sich die Fraktion der PDS für eine Drei-Prozent-Hürde bei Landtagswahlen ausgesprochen. Selbst diese – niedrigere – Hürde hätte der Linken also diesmal den Wiedereinzug in den Landtag streitig gemacht. Vor 20 Jahren war die Linke mit fast 28 Prozent zweitstärkste Kraft im Bundesland. Nun flog diese Partei nach einem langen beispiellosen Marathon des Rück- und Untergangs aus dem Potsdamer Parlament.

Phänomenal ist, in welchem Ausmaß zwei Dinge auseinanderfallen können: wie man selbst gesehen werden möchte und wie man real gesehen wird. Als ein Kriterium von Wahnsinn gilt, immer und immer wieder dieselben Mittel einzusetzen, obwohl man mit diesem Mitteln (und Personen) seit 15 Jahren scheitert.

Mit kläglichen 10 Prozent war Die Linke vor fünf Jahren in den Landtag eingezogen und bekam schon damals weniger Stimmen als die PDS 1990 bei der ersten Landtagswahl (13,4 Prozent). Eine Partei, die sich unter Lothar Bisky mit Abstand zur zweitstärkste Kraft im Land Brandenburg entwickelt hatte, torkelte nun hinter SPD, AfD, CDU und Grünen auf Platz fünf. Die vergangenen fünf Jahre in der Opposition haben nicht zu einer Erholung geführt, sondern den Absturz noch beschleunigt.

War diese Entwicklung gesetzmäßig oder gar Gottes Wille? Oder handelt es sich vielleicht doch um irdisches Machwerk? War sie unausweichlich oder notwendige Folge ganz konkreten Politikerverhaltens? Da dieser Personenkreis sich auf diese Entwicklung niemals einen Reim machen konnte und jegliche wirkliche Aufarbeitung unterband – von der Übernahme von Verantwortung und dem allfälligen Rücktritt ganz zu schweigen –, bleibt nichts anderes übrig, als ihm das nachzureichen. Man sei vielleicht zu wenig bei den Menschen im Kleingarten gewesen und »zu viel in Marx-Lesekreisen«, vermutete Spitzenkandidat Sebastian Walter. Ob man nun zu viel oder zu wenig Marx gelesen hat, darüber streiten indessen die Gelehrten.

Der Autor

Matthias Krauß, Jahrgang 1960, ist Journalist und schreibt seit Jahrzehnten über die Brandenburger Landespolitik, unter anderem für »nd«. Er veröffentlichte mehrere Bücher, zuletzt 2021 »In eins gespalten. Sind wir wirklich ein Volk?«.

In der Corona-Politik hielten die oppositionellen Linken unerschütterlich zum Regierungslager. Alle wirksame Kritik an der Finanzpolitik ging von der AfD aus – niemals von der Linken. Beim RBB-Skandal war es ihr mehr um das Abwiegeln als um das Aufklären zu tun. Sie verhalf verlässlich der Regierung zur Zweidrittelmehrheit bei Verfassungsänderungen, deren Wert sich eher auf einen Schauwert reduzierte. Ihre Initiativen im Kita- und Schulbereich (keine Kita-Gebühren, freies Schulessen für alle Kinder) zielten nicht auf die Verbesserung der Lage armer Kinder, denn deren Eltern müssen schon seit Jahrzehnten keine Gebühren und kein Essengeld zahlen. Nein, es ging darum, dass wohlhabende Eltern hier auch noch einen schönen Euro sparen sollten. Und Die Linke dachte wirklich, das bekomme keiner mit. Glücklicherweise setzte sie sich nicht mit dem Vorhaben durch, für jede der fast 1000 Schulen im Land eine Schulkrankenschwester einzustellen. Denn das hätte das ohnehin unterbesetzte Gesundheitswesen noch zusätzlich personell gebeutelt.

Corruptio optimi pessima – Die Korruptheit des Besten ist die schlimmste aller Korruptionen, das ist ein Satz aus dem alten Rom. Politische Kräfte, mit denen der Mensch ohnehin nichts verbindet, können ihn auch nicht enttäuschen. Anders diejenigen, mit denen er Hoffnungen verband. Der Beobachter konnte an der brandenburgischen Linken, bei deren Führungspersonal nach keiner Niederlage die Gesichter wechselten, studieren, wie persönlicher Ehrgeiz, Einkommensbewusstsein gemixt mit Prinzipienpreisgabe in eine politische Katastrophe führten.

Die Akteure reden sich damit heraus, sie seien vom Volk nicht verstanden worden. Tatsächlich aber hat dieses Volk sehr gut verstanden, was sich bei der Linken abgespielt hat. Und ließ sich nicht länger dafür in Haftung nehmen.

Lassen wir einmal beiseite, dass es letztlich nur darum gegangen war, einem Kreis von drei, vier Dutzend Menschen gute Einkommens- und Versorgungsaussichten zu verschaffen. Wenn am Ende ihres politischen Wirkens eine Linke in Brandenburg gestanden hätte, eine Hoffnung der Abgehängten, selbstbewusst und stark genug, es mit der AfD aufnehmen zu können, dann hätte man ihnen die Privilegien gönnen können. Aber es bleibt ein Trümmerhaufen. Bei der Landtagswahl hatte die AfD ein zehnfach stärkeres Ergebnis als Die Linke. Gerechtigkeit sucht man schon längst nicht mehr bei der Linken; all das hat sie selbst zu verantworten bzw. mitzuverantworten. Man kann ihr nur entgegenhalten: Buchstabiert nicht länger die nichtswürdigen Gegebenheiten nach euren kruden Maßstäben. Und spekuliert nicht länger auf die Vergesslichkeit der Menschen.

Ein äußeres, wiederum nur für Insider erkennbares Zeichen für den politischen Verfall der Linken sind die seit Langem nicht mehr öffentlichen Fraktionssitzungen. Seit 1990 Lothar Bisky, Michael Schumann und Heinz Vietze die damalige PDS-Fraktion auf den Erfolgskurs geführt hatten, waren die Fraktionssitzungen öffentlich, nur Personalfragen wurden hinter verschlossenen Türen verhandelt. Das ist Geschichte, und Die Linke schien auch in dieser Form den Ehrgeiz entwickelt zu haben, der politischen Konkurrenz so ähnlich wie möglich zu sein. Mitglieder und Wähler sollen eben lieber doch nicht erfahren, welche oder welcher Linke-Abgeordnete sich wie zu einer politischen Frage äußert.

Wenn die DDR mal bei der Linken Thema war, dann nicht, ohne dass ihre bösen Seiten gebührend herausgestrichen wurden. Und das bei einer Partei, die das Einzige ist, was von der DDR politisch übrig blieb – man kann es drehen und wenden, wie man will. Wenn Linke-Abgeordnete gemeinsam mit SPD-, CDU- und Grünen-Abgeordneten gefühlvolle Kulturprogramme im Landtagsgebäude aufgeführt haben, dann weist das nicht nur auf eine geringe Auslastung dieser Leute hin. Es deutet auch darauf hin, dass bei diesen Politikern aller traditionellen Parteien schon längst ein höheres Verständnis füreinander existiert als für die eigene Klientel oder gar die Wähler, diese komische, unverständliche Masse.

Das sind sichtbare Zeichen für den moralischen und politischen Untergang einer Kraft, die sich nicht etwa bis zur Unkenntlichkeit verändert hat, wie manche glauben. Sondern bis zur Kenntlichkeit. Wer wissen will, warum inzwischen das politische System als solches in einen Erdrutsch gerät, der betrachte die brandenburgische Linke. Was stürzt, soll man stoßen, empfahl Friedrich Nietzsche. Es gibt nicht den einen Sündenfall, es gibt vielmehr den Wandel der Grundhaltung. Die Linke in Brandenburg ist keine sozialistische Partei, sie ist eine reformistische, bestenfalls eine sozialdemokratische Partei und in allen wesentlichen Punkten in die Rolle der historischen SPD geschlüpft.

»Vorwärts oder vorbei?«: Debattenserie über die Krise in der Linkspartei
25.08.2018, Sachsen, Hoyerswerda: Wimpel der Partei Die Linke mi...

Die Linkspartei steckt tief in der Krise, braucht neues Führungspersonal und dringend einen neuen Aufbruch. Aber wie und wohin? »nd« startet eine Debattenserie über Probleme und Perspektiven: »Die Linke – vorwärts oder vorbei?« Alle Texte der Serie finden Sie hier.

Wenn aber nur halbwegs Aufrichtigkeit, Gewissen, Verantwortungsbewusstsein das Handeln der Akteure bestimmt hätten, dann hätten sie unmöglich eine Politik fortsetzen können, die ihnen von der eigenen Anhängerschaft so übel genommen worden ist. Und das betrifft längst nicht nur den Kurswechsel in der Kohle- oder in der Sicherheitspolitik. In der Ausländerpolitik, in der Bildungspolitik, in der Gender-Themenstellung vertritt Die Linke nicht die Meinung der in der DDR geprägten Anhängerschaft.

Ihr verheerendes Bild bei der gescheiterten Kreisgebietsreform, bei der Flughafenpolitik, bei den Straßenausbau-Gebühren tat ein Übriges. Einen Ausstieg aus der Kohleverstromung könne es nur geben, wenn verlässliche Speicherverfahren für den diskontinuierlich entstehenden Strom aus erneuerbaren Quellen eine Angebotssicherheit herstellen, war jahrelang die Position der Linken. Diese Speicherung ist nicht in Sicht, der Ausstieg hingegen beschlossene Sache. Erklärt wird nichts. Brandenburg bezahlt den Ehrgeiz seiner Politiker, bei den Erneuerbaren eine Vorreiterrolle zu spielen – eine von der Linken immer unterstützte Haltung –, mit einem Strompreis, der um fünf Cent pro Kilowattstunde über dem bayerischen liegt.

Alles bis hierher Aufgeführte hätte man vielleicht übersehen können, wenn die brandenburgischen Linke-Protagonisten wenigstens an einem Punkt nicht versagt und kapituliert hätten. Die schwersten Schläge hinsichtlich der politischen Moral und des Ansehens im eigenen Lager versetzte Die Linke sich selbst in der so enorm wichtigen Vergangenheitsdebatte. Wahlverlierer waren all jene Menschen in Brandenburg, die sich von einer Regierungsbeteiligung der Linken eine Politik zugunsten der Wendeverlierer und den Schutz vor Verfolgung und vor Verleumdung ihrer Vergangenheit versprochen hatten. Doch unter Rot-Rot wurde es noch viel schlimmer. Das ist das Gegenteil von Versöhnung und gehört zur Bilanz, die nicht den Sozialdemokraten angelastet wird. (Von denen erwartet man nichts anderes.) Wie man sieht: Es gibt nun einmal kein richtiges Leben im falschen. Die Brandenburger haben sich nun auch mit Billigung der Linken dafür zu schämen, dass sie die DDR nicht bekämpft haben. Parteien, die serbischen Schulkindern Bomben auf den Kopf geworfen haben, werden nicht zur Rechenschaft gezogen.

20 Jahre lang kam Brandenburg ohne eine staatlich geförderte Struktur der »Aufarbeitung« aus; noch unter Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) erklärte die Landesregierung offiziell, dass Opfer der DDR im Bundesland keinerlei Nachteil erfahren. Auch mit den Stimmen der Linken wurde ein Landtags-Versöhnungsbeschluss von 1994 (»Mit menschlichem Maß die Vergangenheit bewerten«) 2014 durch einen Landtagsbeschluss mit dem Ziel der endlosen Abrechnung ersetzt. Rechtfertigt man mit einem solchen Verhalten ein Drittel der Wählerstimmen?

Wie man die Welt sozial gerechter macht, hat die brandenburgische Linke nicht bewiesen. Die sozialen Abstände in Brandenburg sind längst asoziale Abstände. Dann sollen sich die verantwortlichen Politiker auch von den Begünstigten wählen lassen.

Es geht den Wählern gar nicht so sehr darum, dass eine Landesregierung alle ihre Probleme löst. Es geht aber darum, dass sie sich verstanden und ernst genommen fühlen. Offenbar hat es Die Linke in ihren Regierungsjahren verlernt, soziale Probleme anzusprechen. Sie hat den Kern verloren; das Wissen um den Unterschied zwischen richtig und falsch ist ihr in ihrer unermüdlichen Geld- und Postenjagd abhandengekommen. Wie die Landtagswahl vor wenigen Wochen bewies: Diese Linke wird nicht mehr als die Lösung wahrgenommen, sondern als Teil des Problems.

Zuletzt erschien in der nd-Serie »Die Linke – vorwärts oder vorbei?«: »Gemeinsame Sicherheit – bewegende Fragen« (»nd.DerTag« 5.11.) von Dieter Klein.

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