Schmierenkomödie vor dem Abschluss

Die großen Fraktionen im Europaparlament einigen sich auf die Besetzung von Ursula von der Leyens neuer EU-Kommission

  • Fabian Lambeck, Brüssel
  • Lesedauer: 4 Min.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) warb um die Stimmen der rechtsextremen Abgeordneten.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) warb um die Stimmen der rechtsextremen Abgeordneten.

Während sich im Brüsseler EU-Viertel die meisten Angestellten bereits auf den verschneiten Heimweg gemacht hatten, meldeten die Agenturen, dass die spanische Sozialdemokratin Teresa Ribera vom EU-Parlament grünes Licht als zukünftige Wettbewerbskommissarin erhalten hatte.

Normalerweise hätte es so eine Meldung nur in die Randspalten der Zeitungen geschafft. Doch diesmal lag der Fall anders. Denn Ribera war Teil eines schmutzigen Deals um die Besetzung der neuen EU-Kommission. Die europäischen Christdemokraten hatten wochenlang gedroht, Ribera nicht zu unterstützen, sollte die sozialdemokratische S&D-Fraktion dem italienischen Kandidaten Raffaele Fitto die Zustimmung verweigern. Allerdings ist Fitto gar kein Kandidat der Christdemokraten, sondern der postfaschistischen Fratelli d’Italia, die wiederum in der Rechtsaußen-Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) sitzen. Fitto ist ein enger Vertrauter der italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni.

Alle fünf Jahre überprüft das EU-Parlament die Kandidaten für die EU-Kommission auf Integrität und Eignung. Früher wurden dabei kritische Fragen gestellt, Kandidaten ausgewechselt oder – wie 2004 bei der Kommission Buttiglione – sogar das gesamte Personalpaket abgelehnt. Dieses Mal jedoch lief alles anders: Schon die Anhörungen im Rechtsausschuss, der Interessenkonflikte prüfen sollte, waren auffällig kurz und ohne kritische Fragen.

Nachdem 19 der 26 Kandidaten angehört und bestätigt waren, traten die großen Fraktionen – EVP, S&D und Renew – plötzlich auf die Bremse. Statt, wie es die Regeln verlangen, nach den Anhörungen umgehend über die Kandidaten zu entscheiden, verschoben sie die Abstimmungen für die sechs Vizepräsidentschaftsposten sowie über den ungarischen Kommissarsanwärter auf unbestimmte Zeit. Der Verdacht lag nahe: Ein politischer Kuhhandel war im Gange.

Am Mittwoch kam es schließlich zur entscheidenden Sitzung. Doch weder Grüne noch Linke wurden rechtzeitig informiert, selbst die Mitarbeiter des Parlaments erfuhren erst am Nachmittag von dem Termin. Abgeordnete mussten hastig zum Treffen eilen – ein Affront, der kalkuliert schien.

Martin Schirdewan, Ko-Vorsitzender der europäischen Linksfraktion, war stinksauer: »Meine Fraktion lehnt diese Selbstentmachtung des Parlaments entschieden ab. Sozis, Liberale, Konservative und Rechte machen Hinterzimmerdeals, um ihre Posten zu sichern. Der europäischen Demokratie schadet diese Farce massiv!«

Bei dem mehrere Stunden dauernden Showdown spielte die stärkste Fraktion von CSU-Mann Manfred Weber ihre Karten gnadenlos aus. Sie forderte von Ribera, im Falle eines Strafverfahrens im Zusammenhang mit der Flutkatastrophe in Valencia zurückzutreten – eine Forderung, die Ribera de facto zum Bauernopfer macht, obwohl die Verantwortung für die Flutopfer klar bei der rechten Regionalregierung liegt. Ribera werde nur unterstützt, wenn darüber hinaus im Gegenzug Kandidaten wie Fitto und Várhelyi abgenickt würden. Weber zeigte damit, dass er keine Berührungsängste mit Rechtsextremen hat – ein Kurs, den er schon vor den Wahlen offen verfolgte.

So titelte dann auch die liberale »Financial Times«: »EU-Parlamentarier der Mitte-rechts-Parteien verbünden sich zunehmend mit der extremen Rechten«. Das zeigt, wie ernst die Lage in Brüssel ist. Die Rechtsaußen-Parteien, die bei den EU-Wahlen im Juni starke Zugewinne verbuchen konnten, münzen ihren Wahlerfolg in Macht und Posten um.

Das Schachern um die zukünftigen EU-Kommissare belegt das eindrucksvoll. Die christlich-konservative EVP-Fraktion wird dabei zum Steigbügelhalter von Meloni, Orbán und Co. EVP-Chef Manfred Weber flirtete bereits vor den Wahlen ganz offen mit den Rechten und war voll des Lobes über Giorgia Meloni.

Weber macht seinen Erfolg bereitwillig abhängig von Europas Antidemokraten. Denn der vormalige Machtblock im Parlament aus Konservativen, Sozialdemokraten und Liberalen verfügt über keine eigene Mehrheit. Weber und auch Ursula von der Leyen haben deshalb keine Skrupel, um die Stimmen der Rechtsextremen zu werben.

Letztlich war das Verfahren eine Farce: Von der Leyen und Weber sowie die rechtsnationalen Kräfte in Europa sind die Gewinner. Verlierer sind die Grünen, die bis vor Kurzem glaubten, Teil einer Koalition aus Christdemokraten, Sozialdemokraten und Liberalen zu sein, nachdem sie CDU-Frau Ursula von der Leyen mit zur Präsidentin der EU-Kommission gekrönt hatten.

Das Signal an die Bürger in der EU ist fatal: Das Europäische Parlament hat seine Rolle als Kontrollorgan aufgegeben und den Weg für rechtsextreme Kandidaten in die Kommission geebnet.

Kommenden Mittwoch muss das EU-Parlament nun die 26 Kommissarinnen und Kommissare en bloc bestätigen. Die Grünen halten sich offen, ob sie nach der Schmach der vergangenen Tage zustimmen. In der Fraktion der europäischen Sozialdemokraten rumort es heftig, viele Abgeordnete sind entsetzt über das Vorgehen der Vorsitzenden Iratxe Garcia, sämtliche »roten Linien« zugunsten der Forderungen der Christdemokraten aufzugeben. Die Wahl wird mit einfacher Mehrheit entschieden.

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