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Jetzt wird’s ernst für »Bibi«
Israels Regierungschef Netanjahu reagiert harsch auf die Haftbefehle des Internationalen Strafgerichtshofs
Die israelische Armee führt ihren Krieg im Gazastreifen mit erhöhter Intensität fort. Allein am Donnerstagmorgen wurden bei Angriffen über 80 Menschen getötet. Wie viele davon bewaffneten palästinensischen Gruppen angehörten, wie viele Zivilisten waren, lässt sich nicht sagen, genauso wie bei den rund 44 000 Menschen die seit Kriegsbeginn im Oktober 2023 in dem dicht bevölkerten Landstrich getötet wurden.
Nun hat eine Kammer des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) Haftbefehle gegen den israelischen Regierungschef Benjamin Netanjahu und Joaw Galant erlassen, der bis zu seiner Entlassung vor einigen Wochen Verteidigungsminister war. Die komplexe Entscheidung reicht in ihrer Bedeutung weit über Israel und die palästinensischen Gebiete hinaus.
Palästinensische Autonomiebehörde tritt Römischem Statut bei
Da wäre die Frage der Zuständigkeit: Auch wenn der Strafgerichtshof in Europa großes Ansehen und Bedeutung genießt – zahlreiche Länder, darunter Israel, China, die USA, Russland und die meisten Staaten des Nahen und Mittleren Ostens, haben das Römische Statut, das die vertragliche Grundlage des Gerichts bildet, entweder nicht unterschrieben, nicht ratifiziert oder, wie die USA, die Unterschrift zurückgezogen. Damit wollte man Soldaten und Entscheidungsträger in Zusammenhang mit Militäreinsätzen im Ausland vor Strafverfolgung durch das Gericht schützen. Die Haltung: Wenn ein Staat das Römische Statut nicht unterzeichnet habe, dann könnten seine Bürger auch nicht belangt werden, egal wo die Tat begangen wurde.
Schon Jahre vor den Kriegen in der Ukraine und im Gazastreifen hatte die damalige Chefanklägerin Fatouh Bensouda erstmals die Ansicht beworben, dass der IStGH auch dann tätig werden könne, wenn jemand Verbrechen in einem Unterzeichner-Staat begehe und zu vermuten sei, dass die Person dafür nicht belangt wird. Die Palästinensische Autonomiebehörde war daraufhin dem Römischen Statut beigetreten. Darauf stützen sich jetzt auch die Haftbefehle gegen Netanjahu und Galant – zum zweiten Mal, nachdem das Gericht 2023 wegen des Ukraine-Krieges Haftbefehl gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin erlassen hatte. Damit ist nun klar: Alle, die in einem Unterzeichnerstaat Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit begehen, können belangt werden, auch wenn sie sich selbst dort nie aufgehalten haben. Und jeder Staat kann innerhalb kürzester Zeit das Römische Statut unterzeichnen.
Die Entscheidung der Richter in Den Haag war kaum unterzeichnet, als der irakische Parlamentssprecher Mahmud Al-Maschhadani in einem kurzen Telefonat mit »nd« erklärt, damit werde »natürlich auch Anweisung 20 wieder ein Thema«. 2005 hatte Regierungschef Iyad Allawi in dieser Anweisung den Beitritt zum Römischen Statut entschieden. Auf Druck der USA unterblieb aber die Veröffentlichung im Amtsblatt. Nun scheinen vor allem die proiranischen Fraktionen im irakischen Parlament Druck zu machen. Denn mit einem Beitritt zum Römischen Statut könnte auch das Handeln des US-Militärs im Irak in Den Haag auf den Prüfstand gestellt werden.
Der IStGH droht damit zum Spielball politischer Interessen in der internationalen Arena zu werden. Israels Regierung verurteilte die Entscheidung natürlich umgehend. Netanjahu hält sie gar für »antisemitisch«; Israels rechtsextremer Polizeiminister Itamar Ben Gwir will als Reaktion eine vollständige Annexion des besetzten Westjordanlandes. Schon vor Jahren hatten Regierungsmitarbeiter offen eine Strategie durchgespielt: Man müsse auch Unterzeichnerstaaten dazu bringen, eventuelle Haftbefehle zu ignorieren. Denn das Gericht hat keine Möglichkeit, Staaten dazu zu zwingen, Haftbefehle auch tatsächlich durchzusetzen.
USA finden Haftbefehl gegen Putin gut, gegen Netanjahu schlecht
Die US-Regierung indes hatte den Haftbefehl gegen Putin begrüßt; jene gegen Netanjahu und Galant verurteilt man nun. In den staatlich gelenkten iranischen Medien gab es indes erste Berichte, in denen die Entscheidung in Den Haag als »harter Schlag gegen den zionistisch-amerikanischen Genozid« bezeichnet wird.
Es ist nicht damit zu rechnen, dass die Haftbefehle jemals durchgesetzt werden und es zu einem Verfahren in Den Haag kommt. Doch aus den ersten öffentlichen Reaktionen in sozialen Netzwerken und Medien lässt sich auch schließen, dass vor allem im Irak, in Syrien und im Jemen die Hoffnung auf mehr besteht: auf Gerechtigkeit oder wenigstens Anerkennung des eigenen Leids. Im Jemen beispielsweise wurden 2017 bei nur zwei Bombenangriffen der saudischen Luftwaffe auf belebte Märkte mit US-Unterstützung 847 Menschen getötet. Die Angehörigen der Opfer warten noch immer auf Gerechtigkeit und dass die Schuldigen ihre Strafe erhalten.
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