Werbung

Ukraine-Krieg: Der Anfang vom Ende?

Eine mögliche Entspannung und eine weitere Eskalation des Krieges in der Ukraine liegen nah beieinander

  • Felix Jaitner
  • Lesedauer: 6 Min.
14. November in der Region Kursk: ein russischer Soldat vor einem gepanzerten Fahrzeug, das laut Fotoagentur westlicher Bauart ist. Nach der ukrainischen Offensive in der Region im Sommer forciert Russland eine Gegenoffensive.
14. November in der Region Kursk: ein russischer Soldat vor einem gepanzerten Fahrzeug, das laut Fotoagentur westlicher Bauart ist. Nach der ukrainischen Offensive in der Region im Sommer forciert Russland eine Gegenoffensive.

Die Diplomatie zählt wohl nicht zu den Stärken Donald Trumps. Doch ausgerechnet der künftige US-Präsident könnte mit seinem Amtsantritt einen bislang unmöglich scheinenden diplomatischen Friedensprozess in Gang bringen. Denn Trumps vollmundige Wahlkampfankündigung, den Ukraine-Krieg binnen 24 Stunden beenden zu können, ermöglicht den Konfliktparteien einen Ausweg aus dem fast drei Jahre andauernden Massensterben. Denkbar ist etwa, dass es der künftigen Trump-Administration gelingt, den Krieg zumindest einzufrieren. Erschwert wird dies durch die Entscheidung des noch amtierenden US-Präsidenten Joe Biden, der Ukraine Luftschläge auf russisches Territorium zu erlauben.

Ein vorläufiges Einfrieren des Krieges käme der Regierung Wolodymyr Selenskyjs nicht ungelegen. Denn im Angesicht des langsamen, aber kontinuierlichen russischen Vormarsches im Donbass und der gezielten Zerstörung der (Energie-)Infrastruktur dreht sich die Stimmung im Land. Anders als zu Beginn des Krieges melden sich kaum noch Freiwillige zum Dienst an der Front. Demgegenüber steigt die Zahl derer, die sich den rabiaten Rekrutierungsmethoden der ukrainischen Behörden durch Flucht zu entziehen versuchen. Die Lage im Donbass gleicht den Materialschlachten des Ersten Weltkriegs und hier ist die russische Seite im Vorteil. Trotz der westlichen Militärunterstützung kann sie mehr Finanzmittel, Rohstoffe und Menschen für den Krieg mobilisieren und verfügt über eine größere industrielle Basis als die Ukraine. Die militärische Offensive der Ukraine im russischen Kursk im Sommer dieses Jahres hat die prekäre Lage sogar noch verschärft, denn sie bindet wichtige Truppen und schwächt die Verteidigungsfähigkeit im Donbass.

Ukraine: Debatte über Auswege aus dem Krieg

Seit einigen Monaten wird in der Ukraine über Auswege aus dem Krieg diskutiert. Zwar hält die Regierung Selenskyj offiziell an ihrem Versprechen fest, alle russisch besetzten Gebiete zurückzuerobern. Aber im Sommer äußerte der ukrainische Präsident in einem Interview mit BBC die Hoffnung, »die heiße Phase des Krieges bis zum Ende dieses Jahres zu beenden«. Am Mittwoch ging er einen Schritt weiter. »Vielleicht muss die Ukraine jemanden in Moskau überleben, um ihre Ziele zu erreichen und das gesamte Staatsgebiet wiederherzustellen«, sagte Selenskyj im Parlament und deutet damit an, eine zeitweilige russische Kontrolle über ukrainische Gebiete zu akzeptieren. Durch ein Einfrieren des Frontverlaufs hofft die ukrainische Regierung, Zeit zu gewinnen. Die Friedensverhandlungen und eine Rückgabe der russisch besetzten Territorien werden auf eine unbestimmte Zukunft mit einem Russland ohne Präsident Wladimir Putin vertagt.

Russland: Profiteure und Kritiker des Regierungskurses

In Russland werden die Äußerungen Selenskyjs aufmerksam verfolgt. Allerdings wähnt sich die Putin-Administration aufgrund des militärischen Vormarsches in einer günstigen Verhandlungsposition. Seit der Invasion in der Ukraine ist der Anteil des Verteidigungshaushalts am Staatsbudget von 14 Prozent auf 40 Prozent gestiegen. Die staatliche Nachfrage nach Rüstungsgütern ist ein effektives Konjunkturprogramm. Der Kriegskeynesianismus sorgt für ein starkes Wirtschaftswachstum und davon profitieren viele Angestellte in der Industrie. Im vergangenen Jahr stiegen die Realeinkommen nach Angaben des staatlichen russischen Statistikdienstes (Rosstat) um 5,8 Prozent. Dies schafft ein gefährliches innenpolitisches Gefüge: relevante gesellschaftliche Schichten – allen voran die Unternehmensführung und Angestellte aus den produzierenden Sektoren – haben ein Interesse an dem Konflikt mit dem Westen (und der Ukraine) oder zumindest an der Fortsetzung des Kriegskeynesianismus, da sie materiell oder politisch davon profitieren.

nd.DieWoche – unser wöchentlicher Newsletter

Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.

Allerdings stößt der wirtschaftspolitische Kurs in einflussreichen Fraktionen im russischen Machtblock auf massive Kritik. Bereits im Sommer bezeichnete der Aluminiummagnat Oleg Deripaska in einem Interview mit der japanischen Zeitung »Nikkei Asia« den Krieg in der Ukraine als »verrückt« und forderte einen »sofortigen, bedingungslosen Waffenstillstand«. Um die eigene Verhandlungsposition zu verbessern, forciert die russische Regierung eine Gegenoffensive im Gebiet Kursk. Eine vollständige Rückeroberung würde der Ukraine ihr wichtigstes Druckmittel berauben: einen möglichen Tausch besetzter Territorien. Damit knüpft Putin sein eigenes Schicksal immer enger an den erfolgreichen Ausgang des Krieges. Allerdings bleibt unklar, welcher Ausgang für die russische Führung akzeptabel wäre. Die Forderung einer Demilitarisierung ist aus ukrainischer Sicht genauso undenkbar wie Gebietsabtretungen.

US-Entscheidung wird die militärische Lage der Ukraine kaum grundlegend verbessern

Die Chancen der künftigen Trump-Administration, den Krieg zumindest einzufrieren, das heißt, einen Waffenstillstand entlang der Front zu erreichen, stehen dabei nicht schlecht. Doch eine Entscheidung des noch amtierenden US-Präsidenten Joe Biden könnte sogar diese Aussicht wieder zunichte machen. Die Anfang dieser Woche erteilte Freigabe für Luftschläge auf das russische Territorium mit US-Raketen wird die militärische Lage der Ukraine kaum grundlegend verbessern. Die westlichen Waffenlieferungen haben bisher eine Niederlage der Ukraine verhindert, versetzen sie jedoch nicht in die Lage, eine weitere Gegenoffensive zu führen.

Vor diesem Hintergrund stellt die Entscheidung Bidens eine neue Eskalation im Kriege dar. Am Donnerstag vermeldete die Ukraine den erfolgreichen Einsatz von britischen Marschflugkörpern auf Ziele in Russland. Putin begründete seinerseits den erstmaligen Einsatz der Mittelstreckenrakete Oreschnik mit der Entscheidung des US-Präsidenten. Der Angriff mit westlichen Langstreckenraketen auf russisches Territorium verleihe dem Krieg endgültig einen »globalen Charakter«, so der russische Präsident. Bidens Entscheidung könnte die künftige Außenpolitik der Trump-Administration bereits vor ihrem Amtsbeginn sabotieren und signalisiert zudem, dass der Konflikt zwischen Russland und dem Westen auch nach einem Einfrieren des Krieges fortbestehen wird.

Zuspitzung der Diskussion in Deutschland ist erstaunlich

Die Bundesregierung hat sich einer Verhandlungslösung bisher immer mit dem Argument verweigert, eine Entscheidung über akzeptable Friedensbedingungen könne nur die Ukraine treffen. Das beraubt sie der Möglichkeit, eigene Verhandlungsinitiativen im Rahmen der EU oder mit einzelnen Mitgliedsstaaten wie Frankreich anzustoßen. Besonders deutlich wurde dies vor zwei Wochen, als Olaf Scholz nach fast zwei Jahren Funkstille wieder mit Putin telefonierte. Der Appell des Bundeskanzlers, Verhandlungen aufzunehmen, verläuft ins Leere. Denn anders als früher kann Deutschland nicht mehr eine Vermittlerposition zwischen Russland und dem Westen einnehmen.

Die extreme Zuspitzung der innenpolitischen Diskussion, die jegliche Forderungen nach Frieden oder Vermittlung als pro-russische Vereinnahmung zurückweist, ist erstaunlich. Denn sowohl in den USA als auch in der Ukraine werden Verhandlungen als eine mögliche Option diskutiert. Damit dürfte Deutschland im Prozess zur Lösung des Ukraine-Krieges bestenfalls die Rolle eines Nebendarstellers einnehmen.

Trumps Vorstoß, den Krieg in der Ukraine zu beenden, könnte also einen erneuten Verhandlungsprozess in Gang setzen. Der Einsatz von Langstreckenraketen und die anstehende russische Offensive im Kursker Gebiet erschwert diesen Prozess und könnte ihn zunichte machen. Die Tatsache, dass eine mögliche Entspannung und eine weitere Eskalation des Krieges so nah beieinander liegen, macht diplomatische Initiativen zur Vermittlung eines Waffenstillstandes dringend notwendig, doch die deutsche Politik ist dazu weder willens noch in der Lage.

In dieser Situation zeigt sich zudem einmal mehr der dramatische Bedeutungsverlust der Vereinten Nationen. Eine Friedenslösung für die Ukraine im Rahmen der UN erscheint sehr unwahrscheinlich. Stattdessen sind es die Großmächte (USA, Russland, China, Indien und eventuell die EU) sowie regionale Akteure, die die künftige Architektur der sich im Entstehen befindenden multipolaren Weltordnung aushandeln. Die Umgehung der UN durch die Großmächte destabilisiert die internationale Ordnung, denn sie schwächt das Völkerrecht und fördert die Militarisierung staatlicher Konflikte. Ein solches internationales Umfeld verschärft die zwei großen Herausforderungen unserer Zeit: die Klimakrise und die Gefahr einer nuklearen Konfrontation.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.