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Mietergewerkschaft: Den europäischen Mietstreik vor Augen
Was Berliner Mieter*innen aus Kämpfen in anderen Städten lernen können
Für viele Mietenaktivist*innen aus der ganzen Welt sind die Kämpfe und Erfolge der Berliner Mietenbewegung ein Vorbild. Weit strahlte der 2020 für eine kurze Zeit eingeführte Mietendeckel und der, zumindest was die Wahl anging, erfolgreiche Volksentscheid zur Enteignung vor drei Jahren. Dagegen ist die Innenansicht der Berliner Bewegung eher nüchtern. Zu schwer wiegen die Niederlagen, die seitdem folgten. Eine stabile Organisierung der Berliner Mieter*innen fehlt, um mittelfristig echte Veränderungen durchzusetzen und zu verteidigen. Umso mehr lohnt der Blick aus Berlin in andere Städte, in denen mutige Basisorganisationen in den vergangenen Jahren echte Erfolge erzielt haben.
Es sind nicht die üblichen Parolen, die die Bewohner*innen hören, die vergangenen Samstagabend im Stadtteil Raval in Barcelona ans Fenster treten. In den engen Gassen der Altstadt zwischen der Rambla, wo der Strom der Tourist*innen nie abreißt, und den gleichförmigen Blocks von San Antoni kennen sie das »Sí se puede!« (»Ja wir schaffen es!«) der Plataforma de Afectados por la Hipoteca (Plattform für Menschen, die von Hypotheken betroffen sind, PAH). Sie ist eine beeindruckende Basisorganisation, die sich gegen Zwangsversteigerungen und Zwangsräumungen stemmt. Im Zuge der Finanz- und Immobilienkrise 2009 gegründet, ist sie in Barcelona mittlerweile 40 000 Mitglieder stark. Doch in Spaniens Metropole erklingen an diesem Abend auch Gesänge von Mieter*innen aus Paris, Dublin, Belgrad, New York, Johannesburg und Rio de Janeiro.
Am Ende sind es 93 Organisationen von Mieter*innen aus 22 Ländern auf vier Kontinenten, die sich in Barcelona versammeln. Eingeladen haben die PAH und die European Action Coalition for Housing Rights (Europäisches Aktionsbündnis für Wohnrechte). Auch aus Berlin sind Delegierte von der Mieter*innengewerkschaft und dem Bündnis »Zwangsräumung verhindern« angereist. Was alle zusammenbringt? Eine Wohnungskrise, die längst sich nicht mehr nur auf einige Orte beschränkt, sondern global geworden ist. Und die eng zusammenhängt mit global agierenden und risikofreudigen Investmentfonds wie Blackstone, die nach und nach mehr Märkte erschließen.
»Wenn bei uns jemand zwangsgeräumt wird, kommt der Staat nicht mit einem Brief. Er schickt Leute mit Äxten.«
Thuso von der südamerikanischen Mieter*innenorganisation Abahlali baseMjondolo
»Es gibt ein vor und ein nach der Finanzkrise«, erklärt der Soziologe Brett Christophers aus Stockholm zum Auftakt der Konferenz. Anfang der 2000er wurden vor allem in den USA und auch in Deutschland mit dem Geld der Private Equity Fonds große Wohnungsbestände aufgekauft. Ab 2008 wurde global in den Wohnungsmarkt eingestiegen. In fast allen Großstädten ist die Wohnungsfrage seitdem zur sozialen Frage geworden. Mit Folgen für alle.
Auf der Konferenz erläutert die bekannte Feministin Silvia Federici, »dass wir in einer globalisierten Welt das, was in unserer Straße, in unseren Häusern passiert, nicht verstehen, ohne dass wir verstehen, was global passiert«. Die meisten Menschen hätten sich gewöhnt an das Elend, dass sich vor ihnen auftut, ohne dass sie es begreifen können. »Unsere Wohnungen sind heute nicht mehr als die Fabrik, in der wir unsere Arbeitskraft wiederherstellen – nur, dass wir gleichzeitig Miete zahlen.« Es gehe darum, einen Kampf um die »Rehumanisierung« zu führen, darum, die Menschlichkeit wiederzugewinnen. Vom Kampf um Wohnraum als Menschenrecht wird in Barcelona immer erzählt. Der Appell: Als Mieter*innenorganisationen müssen wir raus aus der Defensive.
Wie das klappen kann, berichtet Zad von der London Renters Union während einer Mittagspause. Es gibt Couscous und gebackene Kochbananen von einem Kollektiv. »Was wir brauchen, sind lokale Gewerkschaften, in denen sich wirklich die Menschen organisieren, die besonders betroffen sind, die direkt mit Vermieter*innen in die Auseinandersetzung gehen, und die darauf ausgelegt sind zu wachsen.« In den vergangenen zehn Jahren hat Zads Gewerkschaft Dutzende erfolgreiche Kämpfe geführt und ist auf 8000 Mitglieder gewachsen. »Wir führen viele direkte Gespräche, klingeln an Haustüren und setzen auf Training. Es ist wichtig, dass wir lernen, uns selbst zu helfen, dass wir uns wehren können – ohne Anwält*innen und Gerichte.« Als Zwischenziel will sie in den nächsten Jahren einen erfolgreichen Mietstreik organisieren. »Am Ende ist das die einzige materielle Kraft, die wir haben.«
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Die spannendsten Geschichten erfährt man nicht in den großen Veranstaltungen, sondern in persönlichen Gesprächen. Im Flur der PAH-Zentrale steht Roberto de la Riva von einer Gewerkschaft aus Minneapolis. Er kommt aus der Nachbarschaft, in der George Floyd erschossen wurde und die Black-Lives-Matter-Proteste starteten. In den Armen hält er sein Kind. Er erzählt von ihrem Mietstreik, der in den ganzen USA für Schlagzeilen gesorgt hat. 200 Mieter*innen eines großen Wohnblocks, vor allem aus Lateinamerika, viele ohne Krankenversicherung und sichere Jobs, waren nach acht Jahren Kampf so wütend, aber auch so gut organisiert, dass sie in den Mietstreik traten. »Es waren nicht die Organizer*innen, die das gepusht haben, es waren die Leute aus den Häusern, die das wollten«, erklärt Roberto. Es folgten zwei Jahre Mietstreik, erfolglose Räumungsversuche und tatsächlich ein Gerichtsverfahren, in dem der Vermieter zu zwei Monaten Haft wegen wiederholter Falschangaben verurteilt wurde. Am Ende war der Druck so groß und der Atem der Mieter so lang, dass der Eigentümer die Häuserblocks an die von den Bewohner*innen gegründete Kooperative verkaufte. »Dieser Kampf war unfassbar. Wir haben mehr gewonnen, als wir am Anfang überhaupt erreichen wollten«, sagt Roberto, bevor er mit seinem Kind wieder spielen geht. Es sind diese Erfahrungen, die Mut machen.
Zugleich zeigen die Tage in Barcelona auch, wie sehr sich die Realitäten unterscheiden. Thuso von Abahlali baseMjondolo aus Südafrika, einer Organisation mit 150 000 Mitgliedern, die sich gegen brutale Zwangsräumungen wehrt, erzählt, wie vorletztes Jahr drei seiner Mitstreiter*innen ermordet wurden. »Wenn bei uns jemand zwangsgeräumt wird, kommt der Staat nicht mit einem Brief. Er schickt Leute mit Äxten.« Auch die rechtlichen Voraussetzungen gehen weit auseinander. Während Thuso davon berichtet, dass seine Mitstreiter kaum auf rechtlichen Schutz setzen können, gibt es in Schweden sogar ein Gesetz, mit dem Mietstreiks legal möglich sind.
Trotz dieser Unterschiede »ist es jedoch notwendig, die verschiedenen Kämpfe zusammenzuführen«, sagt eine erschöpfte, aber zufriedene Noelia Riaño am letzten Tag der Konferenz. Als Teil der PAH war sie in den vergangenen Tagen fast durchgängig auf den Beinen. Für sie hat es sich gelohnt. »Es ist klar, dass hier ist nur ein Auftakt. Es liegt an uns allen, jetzt mit der Arbeit zu beginnen.« Den Auftrag dazu erteilt das Abschlussplenum: Gemeinsam einigen sich die europäischen Gruppen darauf, bis 2030 kleine lokale Mietstreiks zu organisieren und anschließend in den nächsten zehn Jahren einen europaweiten Mietstreik gegen einen der globalen Großkonzerne wie Blackstone durchzuführen. Das ist es auch, was die Delegierten der Berliner Mieter*innengewerkschaft mitnehmen: In den nächsten Jahren gilt es, weitere Erfahrungen zu sammeln in direkten Auseinandersetzungen mit Vermieter*innen. Über strukturiertes Organizing und Erfolge im Kleinen gilt es eine Basis zu schaffen, mit der wir bald den Mieter*innen in Minneapolis folgen können. »Es klingt banal, ist es aber nicht«, sagt Maria von Habitat aus Lissabon am Ende der Konferenz. »Was ich mitnehme, ist sehr viel Hoffnung. Dass wir nicht alleine sind – das hilft enorm.« Bestimmt auch der Berliner Mieter*innenbewegung.
Mio Decker ist Mitglied der Berliner Mieter*innengewerkschaft.
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