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Kiew: Ein Maidan im Kleinen
Die Neugestaltung eines Sportplatzes in Kiew ist ein Brennglas gesellschaftlicher Diskussionen in der Ukraine
Verwunschen lag der Maidantschik, wie man in der Ukraine kleinere Plätze nennt, am Stadtrand von Kiew. Jeden zweiten Morgen habe ich hier meine Runden gedreht. Es war ein alter schon ausgedienter Sportplatz, nicht weit von meiner Wohnung entfernt, mit einer sehr holprigen und löchrigen Laufbahn, auf der man schon mal stolpern konnte.
Und das ist auch passiert, vor allem Männern und Frauen, die zum ersten Mal diesen Platz aufgesucht hatten. Nichtsdestotrotz war der Platz in der Nachbarschaft sehr beliebt. Hundebesitzer und Freizeitsportler konnten hier gleichermaßen ihre Ruhe finden, auch wenn das Zusammenspiel von Sportlern und Hundebesitzern nicht immer friedlich ablief. Gleichwohl war es wohl vor allem die Gemütlichkeit, ob derer man diesen Platz so sehr schätzte.
Aus dem Kleinod wird eine Baustelle
Nach einer mehrwöchigen Pause musste ich zu meiner Bestürzung feststellen: Diesen Maidantschik gibt es nicht mehr. Dort, wo sich Huckel und Schlaglöcher abgelöst hatten, wo Pappeln, Kastanien, Birken, Linden und Ahorne für etwas frische Luft gesorgt hatten, findet sich nun eine plattgewalzte lehmige Fläche, auf der niemand seine Runden drehen will. Jeder zweite Baum ist gefällt, die Lücken geben nun die Sicht auf die Straße frei, mit Holzpflöcken und Brettern wird ein Terrain abgesteckt.
Zwei Stapel Betonplatten zeigen, dass man hier etwas vorhat, was mit dem Erhalt eines Reststückes von Natur nicht mehr kompatibel ist. »Es ist schlimm«, schimpft eine ältere Frau, die mit ihrem Hund auf das schaut, was mal der Sportplatz war. »Jetzt nehmen sie uns auch noch die Bäume weg an diesem schönen Sportplatz. Jeden Morgen habe ich hier mit meinem Hund für ein paar Augenblicke meine Ruhe gefunden und nun gibt es diesen Ort nicht mehr.« »Nein, nein«, mischt sich eine deutlich jüngere Frau in das Gespräch ein. »Es wird alles besser werden, als es bisher war.«
Einer freut sich doch auf was Neues
Auf dem alten Sportplatz habe man ja nicht einmal mehr Wettkämpfe durchführen können. Und nun erhalte man ein richtig modernes Stadion mit Kunststofflaufbahn, Trainingsgeräten und einer Tribüne. Da sei es doch klar, dass viele Bäume nur im Weg seien. Auch Alik, ein Aserbaidschaner mit ukrainischem Pass, freut sich, dass er nun von seinem Haus auf einen modernen Sportplatz sehen könne. Die Panikmache ob der gefällten Bäume will er nicht gelten lassen. »Es ist doch nur ein Drittel der Bäume, die gefällt sind«, sagt er. »Und dafür bekommen wir eine schöne Tribüne.«
Eigentlich ist Alik kein Nachbar mehr. Er war kurz nach seinem 60. Geburtstag nach Deutschland gezogen, sieht nur gelegentlich mal in Kiew vorbei. Da er neben Ukrainisch und Russisch auch noch fließend Türkisch, Aserbaidschanisch und Farsi spricht, hat er immer Jobs in persischen oder türkischen Firmen in Deutschland. Aktuell kellnert er in einem türkischen Teehaus in Hannover.
Die richtige Priorität im Krieg?
Wieder kommt die Rentnerin auf die Gesprächsgruppe zu, um sich noch einmal über die neue Sportanlage und die gefällten Bäume zu beklagen. Kiew sei doch immer eine grüne Stadt gewesen. Noch vor drei Wochen, also vor dem großen Dauerregen, habe sie kein Fenster öffnen können, wegen des Rauches, der von den brennenden Torffeldern in der Umgebung von Kiew gekommen war. Und in solchen Situationen wisse man es zu schätzen, dass man vor seinem Haus einen Platz mit vielen Bäumen habe. »Und überhaupt: wir haben Krieg. Wäre es da nicht angebrachter, das Geld für wichtigere Dinge auszugeben als für Sportanlagen?«
Eine Einigung ist nicht in Sicht: während die einen um die gefällten Bäume trauern, freuen sich die anderen auf den modernen Sportplatz.
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