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Waffenruhe mit Fallstricken im Libanon
Israel und die Hisbollah-Miliz einigen sich auf einen Stopp der Kampfhandlungen im Libanon
Seit 4 Uhr am Mittwochmorgen gilt eine 60-tägige Waffenruhe zwischen der libanesischen Hisbollah-Miliz und der israelischen Armee, die Kämpfe wurden von beiden Konfliktparteien eingestellt. Oder fast, denn das israelische Militär teilte mit, nach Inkrafttreten der Waffenruhe mehrere Zwischenfälle verzeichnet zu haben. So hätten Soldaten »ein Fahrzeug mit mehreren Verdächtigen in einer Zone ausgemacht, in der Bewegung verboten ist«, und das Fahrzeug mit Schüssen zum Abdrehen gebracht.
Weder lässt sich überprüfen, was an diesen Meldungen dran ist, noch ob diese Vorfälle als Verstöße gegen die vereinbarte Feuerpause gewertet werden. Sicher ist, dass Israel auf jedwede, als Verstoß gewertete Handlung reagieren will. Das hatte Ministerpräsident Benjamin Netanjahu schon am Dienstagabend nach Verkündung der Waffenruhe erklärt. Verteidigungsminister Israel Katz teilte nun mit, wegen des Vorfalls habe er die Armee angewiesen, »entschlossen und kompromisslos gegen solche Phänomene vorzugehen«. Jede mit der Hisbollah identifizierte Person, die sich den Verbotszonen nähere, müsse festgenommen werden. Bei Gefahr für die israelischen Truppen müssten diese angreifen.
Die Waffenruhe ist auf 60 Tage angelegt, also kein endgültiger Waffenstillstand, der den Konflikt beilegen würde. Letztlich sind die Unterschiede eher terminologischer als substanzieller Natur: Der maßgebliche völkerrechtliche Vertrag ist die Haager Landkriegsordnung von 1907 – und die kennt nur den Begriff Waffenstillstand. Laut Artikel 36 unterbricht ein Waffenstillstand die Kriegsunternehmungen. »Ist eine bestimmte Dauer nicht vereinbart worden, so können die Kriegsparteien jederzeit die Feindseligkeiten wieder aufnehmen.« Heißt auch, auf einen Waffenstillstand muss nicht notwendigerweise Frieden folgen.
Besonders relevant für den vorliegenden Fall sind Artikel 40 und 41. »Jede schwere Verletzung des Waffenstillstandes durch eine der Parteien gibt der anderen das Recht, ihn zu kündigen und in dringenden Fällen sogar die Feindseligkeiten unverzüglich wieder aufzunehmen«, heißt es in Artikel 40. Es wird auf die Auslegung ankommen, ob ein Verstoß als »schwer« zu werten ist oder nicht; im Zweifel könnte die israelische Armee also da weiterbomben, wo sie am Dienstag aufgehört hat.
Artikel 41 bezieht sich auf Fälle, in denen »Privatpersonen, die aus eigenem Antrieb handeln«, gegen die Waffenstillstandsvereinbarungen verstoßen. Die Frage wäre dann, ob man Waffenruhe-Brecher eindeutig der Hisbollah zurechnen kann. Falls nicht, dürfte Israel nur »die Bestrafung der Schuldigen« fordern, nicht aber die Kampfhandlungen wieder aufnehmen.
Der Waffenruhe-Deal ist somit nicht frei von Fallstricken. Viel hängt von der Umsetzung ab, dabei kommt der libanesischen Armee die Aufgabe zu, mit 10 000 Soldaten in das Gebiet südlich des Litani-Flusses einzurücken. Diese sollen dann zusammen mit der etwa gleich starken UN-Beobachtermission Unifil den Rückzug der Hisbollah-Kämpfer überwachen – und auch, dass Israel seine Soldaten bis zum Ablauf der Waffenruhe komplett aus dem Libanon zurückgezogen hat. Was aus dem Waffenarsenal der Hisbollah werden soll, ist unklar.
Eine unter US-amerikanischer Federführung operierende fünfköpfige Beobachtermission soll die Umsetzung der vereinbarten Punkte verifizieren. Der US-Sondergesandte Amos Hochstein, maßgeblich verantwortlich für das Zustandekommen der Waffenruhe, sagte: »Wir müssen nicht schnell vorgehen, sondern klug und effektiv.« Damit bezog er sich auf das Waffenstillstandsabkommen nach dem Krieg von 2006, als die UN-Resolution 1701 de facto nie umgesetzt wurde, unter anderem die Entwaffnung der Hisbollah.
Zwei Monate für den Abzug von Israels Bodentruppen sind lang, da bleibt viel Raum für Fehler, Verstöße oder Streitigkeiten über Details. Hassan Barari, Professor für Internationale Beziehungen an der Qatar University, fragt sich, ob die libanesische Armee tatsächlich Hisbollah-Kämpfer mit Waffengewalt dazu zwingen würde, sich hinter den Litani-Fluss zurückzuziehen, Libanesen also Libanesen bekämpfen würden? Den Auftrag an die Armee, sich zwischen die Konfliktparteien zu schieben, müsste de jure der Staatspräsident erteilen, nach libanesischer Verfassung ist er Oberkommandierender der Streitkräfte. Nur: Das Amt ist seit zwei Jahren vakant. »Wer also hat die moralische Autorität, diesen Befehl zu erteilen?«, fragt Barari.
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