Keine Lust auf Selbstkritik

Ehemalige Minister Heiko Maas und Gerd Müller sagen vor dem Afghanistan-Untersuchungsausschuss aus

  • Cyrus Salimi-Asl
  • Lesedauer: 4 Min.
Ex-Außenminister Heiko Maas (SPD) am Donnerstag als Zeuge in der Sitzung des Afghanistan-Untersuchungsausschuss des Bundestags
Ex-Außenminister Heiko Maas (SPD) am Donnerstag als Zeuge in der Sitzung des Afghanistan-Untersuchungsausschuss des Bundestags

Wie schief lag die Bundesregierung 2021 bei ihrer Einschätzung der Lage in Afghanistan, bevor die Taliban Mitte August die Macht zurückeroberten? Um diese Frage und die damit verbundenen Folgen zu beantworten, befragte der parlamentarische Untersuchungsausschuss des Bundestages am Donnerstag Ex-Bundesminister, die eine Schlüsselrolle innehatten – so wie Heiko Maas (SPD). Der damalige Außenminister gilt als einer der Hauptverantwortlichen der überstürzten Evakuierung, gefolgt von der schleppenden Aufnahme von Ortskräften, die für die Bundeswehr oder deutsche Entwicklungsorganisationen tätig waren.

Maas sieht den wesentlichen Grund für das entstandene Chaos in der einseitigen Entscheidung der Regierung des damaligen US-Präsidenten Donald Trump, die US-Truppen abzuziehen. Die USA hatten am 29. August 2020 in der katarischen Hauptstadt Doha ein Abkommen mit den Taliban unterzeichnet, wonach alle ausländischen Truppen zum 11. September 2021 das Land verlassen haben sollten.

Keine Abstimmung zwischen den USA und Afghanistan

Dabei habe die US-Regierung sich nicht mit der afghanischen Regierung abgestimmt, sagte Maas vor dem Untersuchungsausschuss, dieser quasi »den Stuhl vor die Tür« gestellt. Die Taliban seien dann »deutlich selbstbewusster gewesen«: Die Angriffe auf die afghanische Armee hätten zugenommen und seien immer erfolgreicher geworden. Kurzum: Die USA hätten sich nicht um Bedenken ihrer europäischen Partner geschert oder Interesse an einem koordinierten Abzug gezeigt.

Schon bei vorangegangenen Vernehmungsrunden tauchte immer wieder die Frage auf, ob die Bundesregierung falsch beraten war bei ihrer Einschätzung der Lage vor Ort; dabei ist viel Schuld auf Nachrichtendienste abgeladen worden, auch auf den Bundesnachrichtendienst (BND). Maas erwähnte eine BND-Einschätzung vom 13. August 2021, wonach die afghanische Regierung vor dem 11. September 2021 nicht zusammenbrechen werde. Die Taliban hatten die Hauptstadt Kabul dann schon am 14./15. August 2021 eingenommen.

Interesse für Lage in Afghanistan kam zu spät

Gut informierte Quellen berichten jedoch, dass der BND schon im April 2021 vor einer Gefährdung der Ortskräfte gewarnt habe, das Auswärtige Amt und das Bundesinnenministerium aber nicht reagiert hätten. Heiko Maas vermittelte dem Untersuchungsausschuss seine Erfahrung von einem Besuch in der afghanischen Hauptstadt Kabul Ende April 2021: Er habe »nicht den Eindruck eines zusammenbrechenden Regimes« gehabt.

Sara Nanni, Obfrau der Grünen im Untersuchungsausschuss, verweist auf Dokumente, die belegen würden, »dass der Außenminister Heiko Maas erst sehr spät das Interesse an Afghanistan intensiviert hat und das, obwohl er Kenntnis hatte über eine sich verschlechternde Sicherheitslage«.

Ex-Entwicklungsminister zieht positive Bilanz

An Selbstkritik mangelt es auch dem damaligen Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU). Sein Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) beschäftigte die meisten afghanischen Ortskräfte als maßgeblicher Auftraggeber der GIZ, Deutschlands wichtigster Durchführungsorganisation für Entwicklungszusammenarbeit. Er zog eine positive Bilanz seiner Arbeit.

Trotz der »dramatischen Umstände des Abzugs« nach der Machtübernahme der Taliban 2021 habe es keinen Toten unter den afghanischen Ortskräften der deutschen Entwicklungszusammenarbeit gegeben, sagte er vor dem Untersuchungsausschuss, »keine ernsthaften Bedrohungen« der Ortskräfte in seinem Entscheidungsbereich, und: Es sitze auch niemand im Gefängnis. Dass der Abzug die sich stetig verschlechternde Sicherheitslage ignoriert hat, müssen nun die Ortskräfte ausbaden, die weiter unter Gefahr in Afghanistan leben.

Bundesaufnahmeprogramm war Reinfall

Das Bundesaufnahmeprogramm, mit dem Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und Innenministerin Nancy Faeser (SPD) seit Oktober 2022 monatlich bis zu 1000 besonders gefährdete Afghan*innen aufnehmen wollten, war ein Reinfall. Angekommen sind nach Medienberichten bis dato nur 864. »Eine ernüchternde Zahl«, kommentiert auf X Clara Bünger, Bundestagsabgeordnete der Linken.

»Sie steht auch in krassem Widerspruch zu den von Rechten gerne verbreiteten Darstellungen, dass massenhaft Menschen aus Afghanistan nach Deutschland kommen.« Deutschland habe entgegen der vereinbarten Aufnahmezusagen »nur einen Bruchteil der Menschen« in Sicherheit gebracht.

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