Werbung
  • Politik
  • Verfolgung wegen Homosexualität

Südsudan: Was es nicht geben darf

Homosexualität wird im Südsudan hart bestraft. Eine Polizistin musste deshalb ihre Heimat verlassen

  • Louisa Theresa Braun
  • Lesedauer: 8 Min.
Die frühere Polizistin Diana möchte nach Berlin ziehen und sich hier ein Leben aufbauen, vielleicht eine handwerkliche Ausbildung machen.
Die frühere Polizistin Diana möchte nach Berlin ziehen und sich hier ein Leben aufbauen, vielleicht eine handwerkliche Ausbildung machen.

Diana wollte eigentlich nie ihre Heimat verlassen. Sie kommt aus Juba, der Hauptstadt des Südsudan. Die 32-Jährige arbeitete als Polizistin, in ihrer Freizeit war sie Fußballtrainerin und ging in die Kirche. Viele Menschen kannten und respektierten sie – bis ihre Beziehung zu einer anderen Frau ans Licht kam. Schon zuvor hatte es Gerüchte gegeben, Diana könne lesbisch sein. Homosexuelle Handlungen sind im Südsudan verboten und können mit bis zu zehn Jahren Haft bestraft werden. Sicherheitshalber möchte Diana ihren Nachnamen nicht in der Zeitung lesen.

Meistens konnten die Gerüchte zerstreut werden, stets verleugnete Diana ihre Queerness und ihre Partnerin. »Ich sagte: ›Nani? Ich kenne keine Nani.‹ Dabei war das der Name meiner Freundin.« So erzählt sie von einem Gespräch mit einer Kollegin, die neugierige Fragen stellte. Der Status als Polizeibeamtin schützte sie ein Stück weit vor strafrechtlicher Verfolgung. Doch ein Beweisfoto änderte die Lage: Der Staatssicherheitsdienst wolle Diana ins »Blaue Haus« bringen. So lautete zumindest die Warnung einer Freundin, die bei einer Frauenrechtsorganisation aktiv ist, deren Name aus Sicherheitsgründen ebenfalls nicht genannt werden soll.

nd.Kompakt – unser täglicher Newsletter

Unser täglicher Newsletter nd.Kompakt bringt Ordnung in den Nachrichtenwahnsinn. Sie erhalten jeden Tag einen Überblick zu den spannendsten Geschichten aus der Redaktion. Hier das kostenlose Abo holen.

Im »Blauen Haus« verschwinden

Laut einem Bericht der Menschenrechtsorganisation Amnesty International ist das »Blaue Haus« eine Hafteinrichtung des Nationalen Sicherheitsdienstes. »Wer dort reinkommt, kommt lebendig nicht mehr raus«, sagt Diana. »Dann ist man eine politische Gefangene.« Bevor es so weit kommen konnte, organisierte die Freundin ihre vorübergehende Ausreise ins Nachbarland Uganda.

Im Juli dieses Jahres dann die Weiterreise nach Deutschland. »Zuerst habe ich abgelehnt. Ich wollte nirgendwohin. Ich wusste nicht einmal, wo Deutschland liegt«, erzählt Diana. In Juba zahlte sie die Schulgebühren für Neffen und Nichten. Schließlich ließ sie sich doch von der Flucht überzeugen – tot könne sie ihrer Familie nun mal auch nicht helfen, sagt sie.

Ihre Angehörigen wissen bis heute nicht, dass Diana lesbisch und deswegen geflohen ist, obwohl sie es wahrscheinlich vermuten. Wenn sie mit ihren Geschwistern telefoniert, wird sie immer wieder danach gefragt. Und obwohl die wahrheitsgemäße Antwort keine Gefahr mehr darstellt, »streite ich es immer ab, sonst werden sie mich für den Rest ihres Lebens hassen«, ist Diana überzeugt. Stattdessen fand sie im Laufe des zurückliegenden Jahres immer neue Ausreden: dass sie in Deutschland einen Fußballkurs mache; dass sie vor dem Fußball- noch einen Sprachkurs machen musste und zuletzt, dass sie ihn nicht bestanden habe und wiederholen müsse. Dass sie ihnen irgendwann die Wahrheit sagen muss, belastet sie jeden Tag. Ihr ganzes bisheriges Leben hat sie sich vor ihrer Familie versteckt.

Diana ist das jüngste von acht Geschwistern und bei ihrer älteren Schwester aufgewachsen. Mit nur sieben Jahren machte diese sie zum Kindermädchen ihrer eigenen Kinder. Das sei Tradition und habe sie schnell erwachsen werden lassen, sagt Diana. Offen über ihre Gefühle reden konnte sie im Haus ihrer Schwester nie: »Was immer passiert, egal was ich fühle, ich behalte es für mich.« Das habe sie sich angewöhnt und auch so gehalten, als sie ihre Sexualität entdeckte. Zumal sie das Gefühl hatte: »Da stimmt etwas nicht.«

»Die Bischöfe bringen uns dazu, uns selbst zu hassen.«

Diana, aus dem Südsudan vor Verfolgung wegen ihrer Sexualität geflüchtet

Schuldgefühle

Mit 18 ging sie auf ein College auf dem Gebiet es heutigen Sudan und bekam ihr erstes Smartphone, mit dem sie anfing zu recherchieren, was es bedeutet, etwas für Frauen zu empfinden. Über die sozialen Medien lernte sie ihre erste Freundin kennen, eine Kenianerin. »Das war das erste Mal, dass ich mich wie ich selbst fühlte«, erzählt die junge Frau.

Gleichzeitig empfand sie ihre sexuelle Orientierung als Konflikt mit ihrem christlichen Glauben. Ihr Vater sei Pastor gewesen, sie sei faktisch in der Kirche groß geworden, habe im Chor gesungen. Doch die Bischöfe hätten das Tabu der Homosexuaität im Südsudan überhaupt erst stark gemacht. »Sie bringen uns dazu, uns selbst zu hassen«, reflektiert sie heute.

Als der Südsudan 2011 unabhängig vom Sudan wurde, musste Diana ihr Studium abbrechen, kehrte nach Juba zurück und besuchte dort die Polizeischule. Als Polizistin beschäftigte sie sich später mit Sexualstraftaten, häuslicher Gewalt und Zwangsehen. Als 2013 ihre Mutter starb, verfiel sie in eine Depression und beendete ihre erste Beziehung. »Es war für mich, als würde ich das Leben verlieren.« Fünf Jahre später starb auch ihr Vater.

Liebe im Geheimen

2021 lernte sie Nani kennen, eine junge Frau aus ihrem Fußballteam, mit der sie »eine perfekte Beziehung« und eine »wirklich schöne Zeit« hatte – im Verborgenen natürlich. Bis eine Freundin von Nani herumerzählte, dass die beiden ein Paar sind. Das sei das Schlimme an der Queerfeindlichkeit im Südsudan sei, dass man sich niemandem anvertrauen könne: »Selbst enge Freund*innen werden dir in den Rücken fallen und dich anzeigen.« Sicherheitshalber trennten sie und Nani sich. Dianas Familie reichte das nicht: Sie müsse heiraten, um zu beweisen, dass sie nicht lesbisch sei. Diana willigte in die arrangierte Ehe ein, trennte sich nach einem halben Jahr jedoch von ihrem Mann.

Im Juni 2022 kam sie wieder mit Nani zusammen. Diesmal wollten sie vorsichtiger sein, erzählten niemandem davon und trafen sich nur in einer Mietwohnung. »Wir waren so verliebt«, schwärmt Diana noch heute. Doch sie waren nicht vorsichtig genug: Sie machten Fotos miteinander, auf denen sie sich küssen. Die Schwester von Nani fand die Bilder auf ihrem Handy, erzählte der Mutter davon, und die ging zur Polizei. Nani ist acht Jahre jünger als Diana und war zu diesem Zeitpunkt erst 22 Jahre alt – natürlich erwachsen, doch die Verantwortung wurde Diana zugeschoben. »Ich bin innerlich fast gestorben.«

Drei Tage verbrachte sie in Untersuchungshaft, wurde aus Mangel an Beweisen jedoch wieder entlassen. Nani hatte sämtliche Fotos gelöscht. Ihr Bruder verprügelte Diana – so brutal, dass sie ins Krankenhaus musste. Dann fand Nanis Familie die Kuss-Fotos im »Papierkorb« des Handys und ging damit zu einem Verwandten, der beim Nationalen Sicherheitsdienst arbeitete. Gegen diesen Feind half nur noch die Flucht. Im Gegensatz zu vielen anderen Schutzsuchenden bekam Diana ein Visum für Deutschland und von der Frauenrechtsorganisation auch ein Flugticket. Mit einem Zwischenstopp in Istanbul flog sie nach Berlin.

Die ersten zehn Tage in Deutschland verbrachte Diana in der Erstaufnahmeeinrichtung im brandenburgischen Eisenhüttenstadt, danach drei Monate in einer Flüchtlingsunterkunft in Frankfurt (Oder). »Dort war es am schlimmsten.« Diana gehörte zu den wenigen Schwarzen und nicht-muslimischen Geflüchteten. Auch unter ihnen herrschte Rassismus und Queerfeindlichkeit.

Sie konnte sich dort nicht sicher fühlen, sei kaum vor die Tür gegangen. Im November 2023 zog sie nach Schöneiche östlich von Berlin, in einem Wohnheim in dem Ort lebt sie immer noch. Wirklich wohl fühlt sie sich auch dort nicht. Außer einer anderen Frau aus dem Südsudan, mit der sie sich ein Zimmer teilt, hat sie keine Freund*innen. Bis Oktober arbeitete sie in einer Eisdiele, aber generell sei es nicht so einfach, sich zu integrieren.

Auch Erfahrungen mit Rassismus sind an der Tagesordnung: Auf Bahnfahrten wolle niemand neben ihr sitzen, stellt Diana fest. Im Zug von Frankfurt (Oder) nach Berlin wurde sie von der Polizei kontrolliert und mitgenommen, obwohl sie ein gültiges Ausweisdokument besaß, mit dem sie sich in ganz Deutschland frei bewegen durfte. Deswegen ließ man sie wohl auch laufen – nachdem sie auf der Wache eine ganze Weile schikaniert und »wie eine Kriminelle behandelt« worden sei.

»Verdachtsunabhängige Kontrollen« nennt die Bundespolizei solche Maßnahmen, die im vergangenen Jahr an den Grenzen zu Tschechien und Polen verstärkt wurden, um illegale Einreisen zu verhindern. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes und der Mediendienst Integration sprechen dagegen von »Racial Profiling«, also Kontrollen aufgrund eines »nichtdeutschen« Aussehens. Hinterher habe sie geweint und sich schlecht gefühlt, erzählt Diana.

Im August – knapp ein Jahr nach Antragstellung – wurde ihr Asylantrag positiv beschieden. Nun soll sie deutsch lernen und einen Beruf ergreifen. Mit einen Sprachkurs hat sie angefangen und legt bald ihre erste Prüfung ab. Wieder als Polizistin zu arbeiten, kann sie sich nicht vorstellen, eher eine Ausbildung in einem handwerklichen Beruf oder einen Job für einen Sicherheitsdienst.

Die Angst besiegen

Obwohl sie ihr Zuhause wahnsinnig vermisst, möchte Diana nun in Deutschland bleiben, weil sie sich hier als queerer Mensch nicht verstecken muss, heiraten und eine Familie gründen kann – wenn auch nicht mit Nani. Zu Nani hat sie zwar noch Kontakt, aber die beiden haben sich inzwischen getrennt.

Verfolgung wegen Homosexualität – Südsudan: Was es nicht geben darf

Zugleich fällt es Diana immer noch schwer, offen mit der ihrer Homosexualität umzugehen und die Furcht loszuwerden, dass andere Menschen sie dafür hassen oder angreifen könnten. Eine Therapeutin hilft ihr dabei, damit sie irgendwann vielleicht sogar mit ihrer Familie darüber reden kann. »Unglaublich« waren für sie Erfahrungen wie der Christopher Street Day in Berlin gewesen, wo Queerness laut und bunt gefeiert wird. Oder ein Besuch der Oya Bar in Berlin-Kreuzberg, in der sie andere queere Schwarze Menschen traf. Deshalb sucht sie aktuell eine eigene Wohnung in Berlin, einen Ort, an dem sie sich als lesbische Frau »sicher und frei fühlen« kann.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.